Süddeutsche Zeitung

Mein Deutschland:Echte Demokratie

In Seminaren brachten man uns sowjetischen Journalisten echte Demokratie bei. Angesichts der Kundus-Affäre muss ich an diese Zeiten denken.

Andrey Kobyakov

Ich erinnere mich noch gut an die Zeiten, als man in Deutschland für uns, die ehemaligen sowjetischen Journalisten, Seminare veranstaltete. Man brachte uns die echte Demokratie bei, man unterrichtete die wahre Pressefreiheit und man erklärte uns, wie gut die demokratischen Mechanismen des deutschen Staats funktionieren - im Gegensatz zur zusammengebrochenen Sowjetunion und auch zur neugeborenen Russischen Föderation. Wir hörten zu, beneideten und bewunderten Deutschland. Die Bundesrepublik war und bleibt bis jetzt im Bewusstsein vieler Russen ein Musterland. Propaganda hatten unsere damaligen Mentoren mit Sicherheit nicht im Sinn. Und doch muss ich jetzt, angesichts der Kundus-Affäre, an diese Seminare denken.

"Afghanistan" klingt für alle Russen meiner Generation wie ein hartes Urteil, es hört sich für uns an wie "Vietnam" für die Amerikaner. Natürlich mit einem großen Unterschied: Die Invasion in Afghanistan wurde von einer sozialistischen Diktatur befehligt, den Krieg gegen Vietnam führte eine demokratische Großmacht. "Wir hatten keine Chance den Krieg zu gewinnen, ich verstand das schon einer Woche nach meiner Ankunft nach Kandahar", erzählte mir Ende der Achtziger Jahre ein Freund, damals sowjetischer Soldat. "In den afghanischen Bergen waren wir hilflos, in den Städten und Dörfern beschossen uns nachts dieselben Leute, die uns tagsüber zulächelten. Niemand mag es, von Fremden belehrt zu werden, und schon gar nicht, wenn sie eine Waffe in der Hand halten."

Das geopolitische Abenteuer dauerte neun Jahre und kostete 15000 sowjetische Soldaten das Leben, gut drei Viertel davon waren junge Männer im Alter von 18 bis 25 Jahre. Die Verluste in Afghanistan selbst werden, je nach Quelle, auf 300.000 bis 600. 000 Menschen geschätzt. Ein sinnloses, scheußliches und unentschuldbares Verbrechen, dessen Name lautet: Krieg.

Die Bomben, die Oberst Klein im September 2009 am afghanischen Fluss Kundus bei der Nato-Luftabwehr angefordert hatte, explodierten auch am Spreeufer. Die entlassenen Offiziere und Beamten wurden nur von Bombensplittern getroffen. Das Epizentrum der Explosion liegt aber anderswo, und zwar dort, wo die fatale Entscheidung getroffen wurde, die Bundeswehr nach Afghanistan zu schicken, in einer seltsamen Mission, die den Soldaten keine Befugnisse gibt.

Besonders anstößig am Verhalten von Politikern empfinde ich ihre Kunst, mit Begriffen zu spielen. Die sowjetische Intervention in Afghanistan hieß offiziell "Internationale Pflicht", die amerikanische Offensive in Vietnam nannten die Generäle "Vergeltungsangriffe", der tschetschenische Krieg heißt "Antiterroristische Operation". Am skurrilsten klingt die Definition, die vom Kreml für den kurzen Krieg in Georgien erfunden wurde: "Zwang zum Frieden". Wie soll man die Nato-Mission nennen? Internationale Sicherungsunterstützungstruppe Isaf? Aber was sind diese Truppen? Bewaffnete Engelchen oder Soldaten mit Heiligenscheinen?

Es ist unbestritten: Der Einsatz in Afghanistan ist, anders als der sowjetische Feldzug, ehrenwert, weil er zum Ziel hat, eine demokratische Entwicklung in dem Land zu ermöglichen. Aber das Problem, vor dem Deutschland und die Nato stehen, heißt: Krieg. Und das sollte man auch so nennen, und man muss auch damit rechnen, dass bei jedem Krieg Opfer unvermeidlich sind.

An dieser Stelle schreiben jeden Samstag Auslandskorrespondenten über Deutschland. Andrey Kobyakov arbeitet in der russischen Redaktion der Deutschen Welle in Bonn.

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SZ vom 19.12.2009
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