Süddeutsche Zeitung

Mehrarbeit statt Neueinstellungen in Bayern:Die Politik verrechnet sich - und Lehrer baden's aus

SZ-Leser quittieren die Ankündigung des Kultusministers Piazolo mit harscher Kritik und fordern stattdessen Geld für mehr Lehrer

"Lehrer müssen mehr arbeiten" vom 8. Januar:

Planlos und desaströs

Nun also ein weiterer Offenbarungseid der Bayerischen Staatsregierung! Seit Jahren hat man es nicht geschafft, die Bedarfszahlen für Grundschullehrer richtig zu ermitteln. Nun sollen die vorhandenen Lehrkräfte durch Mehrarbeit den arroganten Dilettantismus der bayerischen Kultusbürokratie ausbaden. Interessanterweise findet man in der gleichen Ausgabe Ihrer Zeitung den Artikel "Notausgang". Dort wird die zunehmende Not vieler Lehrkräfte thematisiert, die den immer maßloser werdenden Anforderungen von allen Seiten nicht mehr standhalten können oder wollen. Sie kündigen!

Glaubt jemand ernsthaft, eine einzige Grundschul-Lehrkraft alleine könnte bei einer 25-köpfigen Klasse den Ansprüchen ehrgeiziger Helikopter-Eltern, schwieriger Kinder, die keine Unterstützung durch ihre Familien bekommen, sowie kaum Deutsch sprechender Migrantenkinder umfassend gerecht werden? Zugleich die starren Lehrpläne durchziehen, ständig steigendem bürokratischem Aufwand gerecht werden, IT-Kompetenz erwerben und vermitteln und vielfach desinteressierten oder überforderten Eltern auf die Sprünge helfen? Es ist höchste Zeit, die Situation zu analysieren, über eine zukunftsfeste Ausgestaltung unserer Schulen nachzudenken und bisherige Versäumnisse zu korrigieren. Stattdessen fällt der Bayerischen Staatsregierung nichts Besseres ein, als die Situation auf dem Rücken der Lehrkräfte nochmals zu verschlimmern. Etwa wegen des Geldes - ist Söderchens Mondfahrt wichtiger? Oder mangels Kompetenzen und Konzepten? Oder weil es so am bequemsten ist?

Und wie passt zusammen, dass die bayerische Staatsregierung sich damit brüstet, durch mehr Ganztagsangebote den Eltern (Teilzeit-)Arbeit zu erleichtern, genau das aber den eigenen Lehrkräften erschweren will?

Wie lange lassen sich die bayerischen Eltern, Schüler und Lehrkräfte diese desaströse, planlose und zukunftsvergessene Schulpolitik noch gefallen? Peter Lankes, Mering

Rechnen, Planen: ungenügend

1985 wurde ich vom Kultusministerium auf die Warteliste gesetzt, weil mein zweites Staatsexamen nicht den Erfordernissen entsprach. Das Begleitschreiben riet mir, mich beruflich anders zu orientieren, denn nach den aktuellen Berechnungen bräuchte man erst im Jahr 2015 neue Lehrer. Drei Jahre später wurde ich wieder eingestellt, arbeitete drei Jahre mit einer geringeren Bezahlung als meine Kollegen, einige Jahre später mussten wir ein Jahr mehr arbeiten, weil man keine neuen Lehrer einstellen wollte.

Im Spiegel erschien damals eine Karikatur, die das Versagen der Bildungspolitik deutlich machte: Ein übervoller Hörsaal, ein kleines Männchen am Pult, das sagte: "Ich bin die Lehrerschwemme. Seid ihr der Pillenknick?" Katharina Kalojanidis, Neufahrn bei Freising

Grandios lachhaft - und bitter

Um das gleich klar zu stellen: Ich bin kein Lehrer! Aber es empört mich, wie schnell und wendig auch die Freien Wähler diese über Jahrzehnte von der CSU geübten Rechentricksereien gelernt und verinnerlicht haben. Wir rechnen den Lehrermangel einfach weg! Dabei ist es genau das, was ihnen jetzt auf die Füße fällt! Die aus wahltaktischen Gründen getürkten Statistiken und Berechnungen. Und nicht die Wohltaten für übersättigte Lehrer. Und das zeigt einmal mehr: Es kommt nicht auf den Politiker an der Spitze eines Ministeriums an, sondern auf das Haus, welches ja dasselbe geblieben ist. Und der Insider, den Sie zitieren, wird ja wohl aus diesen Reihen stammen. Da spricht also einer, der die Suppe mit angerührt hat. Und deutet auf die, die seit Jahren schon mit dem Auslöffeln überfordert sind.

Die Lehrer sind also schuld, wenn es zu wenige von ihnen gibt! Grandios lachhaft! Das hätte der CSU einfallen können. Denn das Kultusministerium hat ja richtig gerechnet. Ich weiß, dem Kultusministerium (KuMi) zu unterstellen nicht rechnen zu können, ist frech. Aber zum richtigen Rechnen gehört halt mehr als nur Addieren und Mittelwertbildung. Schönes Beispiel im Text: Es fehlen 1400 Vollzeitstellen, das aber nur vorübergehend, denn bald kommen ja 700 neue Lehramtsstudenten an die Grundschulen.

Die Aussage aber, es gäbe genug Lehrer, sofern die sich nicht bloß dauernd um ihre Familien oder ihre Wehwehchen kümmern würden, ist der Gipfel! Dass diese Lehrer die Angebote, die ihnen ihr Dienstherr macht, auch annehmen, damit konnte doch wohl wirklich niemand rechnen Da bleibt mir - ich bin kein Lehrer - das Lachen im Hals stecken!

Jahrzehnte lang wurden, trotz der Warnungen der Lehrerverbände, fertig ausgebildete Anwärter nicht übernommen und auf die Straße geschickt. Und dass Lehrer oft schon nach wenigen Jahren mit den Nerven fertig sind und deshalb dringend die angebotenen Auszeiten oder Teilzeiten brauchen, konnte wohl auch keiner wissen? Vor allem wohl diejenigen nicht, die sich rechtzeitig ins KuMi retten konnten. Insofern sind dann doch wieder Lehrer schuld, nämlich die Ministerialen.

Das ist unser wahres Problem: Alles auf Kante nähen und dann einen Schuldigen suchen, wenn es kracht. Bildung muss uns etwas wert sein, wie oft muss das denn noch gesagt werden? Denn was nix kostet, ist auch nix wert! Liege ich da falsch? Wenn es um Autos geht, weiß das jeder... Ich frage mich allerdings, warum Herr Piazolo den üblichen Reflex noch nicht kann - den, nach mehr Geld zu rufen. Weil das hier vielleicht wirklich etwas brächte? Dr. Horst Häußinger, Gauting

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Quelle:
SZ vom 14.01.2020
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