Süddeutsche Zeitung

Gesundheit:Wie ein Röntgen-Roboter Ärzte und Patienten entlasten soll

Im Klinikum München Süd gibt es jetzt einen Roboter, der verletzten Patienten viele Schmerzen ersparen kann. Den Ärzten in der Radiologie eröffnet das Gerät ganz neue Möglichkeiten für Untersuchungen.

Von Stephan Handel

Rudi surrt durch den Raum. Rudi dreht sich und windet sich, und als er in wenigen Sekunden seine Position erreicht hat, eine runde, souveräne Bewegung, da schaut Amir Bigdeli so stolz wie ein Vater, dessen Sohn im Turnunterricht gerade zum ersten Mal einen Felgaufschwung geschafft hat. "Mit Rudi haben wir ganz neue Möglichkeiten", sagt Bigdeli.

Amir Bigdeli ist Leitender Arzt in der Radiologie des Klinikums München Süd in Thalkirchen, das zur Artemed-Gruppe gehört. Rudi hingegen heißt mit bürgerlichem Namen Multitom Rax, Nachname: Siemens - das erste roboterunterstützte Röntgensystem der Welt. In ganz Deutschland stehen noch keine 20 Exemplare des Geräts, in Bayern gibt es nur welche in Franken. Rudi in Thalkirchen ist der erste seiner Art in Oberbayern, vor wenigen Tagen ist er in Betrieb gegangen, nach dreieinhalb Jahren Planung.

Rudi hat seinen Spitznamen nach dem ersten Patienten, der ihm vor die Linse kam. Den Anstoß, ihn nach Thalkirchen zu holen kam aber nicht von den Radiologen, sondern vom Chef der Endoprothetik Heinz Röttinger: Der hatte eine Idee, warum künstliche Kniegelenke immer mal wieder nicht funktionierten. Um seine These beweisen zu können benötige er aber eine 3D-Darstellung des Gelenks, und zwar beim stehenden Patienten. Das können Computertomographen nicht leisten, in sie wird immer noch der liegende Patient geschoben. Er habe aber, sagte Röttinger, neulich auf einem Symposium so ein Gerät gesehen, das könnte interessant sein.

Das Wirkprinzip des Multitom Rax ist ein genial einfaches: Wenn der Patient nicht zum Röntgengerät kommen kann, muss eben das Röntgengerät zum Patienten kommen. Dies geschieht mittels zweier jeweils 800 Kilogramm schwerer Roboterarme und Fahrschienen an der Decke des Röntgenraums. Mit ihrer Hilfe können die beiden Arme - einer trägt die Röntgenröhre, der andere den so genannten Detektor, sozusagen das Aufnahmegerät - an jede Position des Raums gefahren werden; nach oben, nach unten, nach rechts, nach links, nach hinten, nach vorne. Und weil Detektor und Röhre zusätzlich noch an ihren Armen schwenkbar sind, entstehen so fünf "Freiheitsgrade" - mehr geht im dreidimensionalen Raum nicht.

Für den Patienten hat das ganz unmittelbare Vorteile. Kommt er etwa mit einem gebrochenen Bein in die Notaufnahme, so benötigt der Arzt für die Diagnose mehrere Röntgenbilder, eventuell sogar noch ein CT. Für jede dieser Prozeduren musste der Patient bislang umgelagert, gedreht, transportiert werden - mit einem Knochenbruch im Bein ein eher schmerzhaftes Vergnügen, auch bei noch so großer Behutsamkeit des Pflegepersonals. Seit es Rudi gibt, kann der Patient in einer Position liegenbleiben, während der Roboter um ihn herumfährt. Auch ins CT muss er nicht mehr, Rudi kann auch 3D.

Auch bei manchen orthopädischen Defekten kann Röntgen-Rudi sein segensreiches Wirken entfalten: Die sind gelegentlich nur erkennbar, wenn beispielsweise das Bein auch belastet ist, also im Stehen - schwierig bei den stationären Geräten, kein Problem für Rudi: Der Patient steht in einer Art Kabine, Rudi surrt, dreht und windet sich, schon ist er an der richtigen Position. Er kann auch Bewegt-Bilder aufnehmen,er kann - wenn der Patient ein Kontrastmittel bekommen hat - Gefäße durchleuchten - und das alles, sagt Amir Bigdeli, bei insgesamt geringerer Strahlendosis als bei anderen Geräten.

Auch für die Diagnose von Skoliosen kann Rudi herangezogen werden

Wie viel sich die Artemed-Gruppe das neue Wunder-Gerät kosten hat lassen, wollen sie nicht sagen, nur so viel: Es ging nicht nur um den Kaufpreis, der bisherige Röntgenraum musste vergrößert und um zwei Zentimeter abgesenkt werden, um Platz für Rudi zu schaffen. Oben wurde eine Schwerlast-Decke eingezogen, die das mehr als eineinhalb Tonnen wiegende Gerät trägt. Immerhin sind sie jetzt Referenz-Klinik für Siemens, das heißt sie teilen ihre Erfahrungen mit dem Unternehmen und tragen so zur Weiterentwicklung des Geräts bei.

Bigdeli hofft, dass nicht nur die Patienten seines Klinikums in den Genuss der Vorzüge der neuen Apparatur kommen - sie leistet zum Beispiel auch gute Dienste bei der Diagnose von Skoliosen, also Verkrümmungen der Wirbelsäule. Diese treten oftmals schon im Kindesalter auf und können umso besser behandelt werden, je früher der Arzt sie erkennt. Auch hier gilt: Eine Aufnahme unter Belastung, also im Stehen, verbessert die Möglichkeiten. Sowieso ist Bigdeli, der sein ganzes Berufsleben mit Aufnahmen aus dem Körperinneren verbracht hat, schwer verliebt in Rudi, nicht nur wegen der technischen Möglichkeiten, sondern auch wegen der Bildqualität, die er im Vergleich zu älteren Geräten liefert. "Und jetzt", sagt der Mediziner Bigdeli, "freu' ich mich auf Patienten."

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SZ vom 28.04.2021/van, wean
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