Medizinische Versorgung:Düstere Aussichten

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Für alle Fälle: Am Klinik-Konzept gibt es Zweifel. (Foto: Robert Haas)

Der Verein "Bürger für unser Stadtklinikum", Ärzte, Gewerkschaftler und Patientenvertreter warnen eindringlich vor dem Klinik-Sanierungsprogramm. Sie befürchten stadtweit einen drohenden Mangel

Von Julian Raff, München

Wer in den Wintermonaten Hilfe in der Notaufnahme des Klinikums Harlaching suchte, bekam die Kapazitätsengpässe mitunter am eigenen Leib zu spüren. Nicht von ungefähr malen Initiativen das Risiko einer stadtweit und dauerhaft drohenden Versorgungskrise in düsteren Farben an die Wand. Den meisten Münchnern aber sei diese Gefahr immer noch nicht bewusst, wie Ärzte, Gewerkschaftler und Patientenvertreter bei einer Diskussionsrunde im Gewerkschaftshaus zu den Auswirkungen des umstrittenen Klinik-Sanierungsprogramms warnten. Eingeladen hatten der Verein "Bürger für unser Stadtklinikum" (Bums), die "Initiative Klinikum Harlaching" und andere Interessengruppen, die im Sanierungskonzept der Boston Consulting einen Ausstieg aus der kommunalen Daseinsvorsorge sehen.

Geradezu widersinnig erscheinen Streichungen, etwa in Harlaching und Schwabing, den an der Diskussion Beteiligten vor dem Hintergrund der jüngsten, stark nach oben korrigierten Prognose, wonach München bis 2035 um knapp ein Fünftel, auf nahezu 1,85 Millionen Bürger anwachsen dürfte. Ulrich Drexel von der Harlaching-Initiative erneuerte umso eindringlicher seine Warnung davor, den drittgrößten Münchner Standort um gut ein Viertel auf 550 Betten zu verkleinern und de facto vom medizinischen Vollversorger zur "Portalklinik" herabzustufen, also zur Durchgangsstation für andere Häuser. Eine besonders deutliche Verschlechterung drohe, wie Drexel betonte, bei der Inneren Medizin sowie bei der Intensivversorgung, die von zwölf auf vier Betten reduziert werden solle. Immerhin, so Drexel, lasse die Verschiebung des jetzt erst für Sommer 2018 angesetzten Baubeginns in Harlaching noch eine kleine Chance, das medizinische Konzept zu überdenken.

Ungeplante Bedenkzeit dürfte sich auch am Schwabinger Krankenhaus ergeben, da das runderneuerte Klinikum Bogenhausen dort abgezogene Kapazitäten wohl erst zwei bis drei Jahre später aufnehmen kann als ursprünglich geplant. Welche Planungsfehler bei den Umschichtungen gemacht worden seien, legte die Bums-Sprecherin Ingrid Seyfarth-Metzger anhand zahlreicher Details dar. So sei beispielsweise bei der geplanten Verlegung einer Fachabteilung für hochansteckende Krankheiten nach Bogenhausen nicht bedacht worden, dass dies nach einem separaten Eingang verlangt. Insgesamt hält Seyfarth-Metzger aber die Verkleinerung des Schwabinger Krankenhaus-Campus schon im Ansatz für verfehlt - allein schon, weil die Klinik besonders günstig in der Nähe zahlreicher Altenheime liegt. Besonders verärgert kommentiert die früher als Anästhesistin dort tätige Bürger-Aktivistin die unlängst vorgestellten Pläne, Teile des Klinikgeländes für den Bau von Wohnungen und Geschäften zu verwerten - für neue Läden sei in Schwabing ja nun wirklich kein Bedarf. Dass es bei alldem nicht nur um die Befindlichkeiten der älteren Harlachinger und Schwabinger geht, machten diverse Referenten klar. Eine stadtweite Unterversorgung herrscht demnach schon jetzt in der stationären Diabetestherapie sowie in der Kinder-, Jugend- und Geburtsmedizin. Aus Personalsicht beleuchtete Verdi-Gewerkschaftssekretär Josef Fehlandt das Problem: Häufige Ausfälle wegen psychischer Erkrankungen seien in der Pflege seit Jahren bekannt, ein relativ neues Phänomen beobachtet Fehlandt hingegen in der "Flucht in die Teilzeit" vor der erheblichen Arbeitsbelastung. Peter Hofmann vom Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte rechnete mit dem Fallpauschalen-System ab, das kommunale Investitionen ebenso bestrafe wie das Vorhalten von freien Betten und Überkapazitäten - was sich zwangsläufig und regelmäßig räche, sobald der Bedarf steigt, etwa im Winter.

Mit 70 bis 80 Zuhörern im Saal des DGB-Hauses konnten die Veranstalter angesichts widrigster Witterung zufrieden sein. Aus dem Stadtrat war dabei lediglich Brigitte Wolf (Linke) erschienen und bis zur Diskussionsrunde geblieben. Ähnlich skeptisch wie die Sanierungskritiker auf dem Podium beurteilte sie dabei das Argument, wonach schon das Wettbewerbsgebot im EU-Recht die Kommunen daran hindere, für unvermeidbare Defizite ihrer Kliniken aufzukommen. Der Stadt, so Wolf, bleibe doch ohnehin nur, was kein Geld bringt, wie etwa die Notfallversorgung: "Den Privaten möchte ich sehen, der da klagt."

© SZ vom 03.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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