Süddeutsche Zeitung

Maxvorstadt:Eigentümer wollen Mietshaus in München räumen - um es dann zu viert zu bewohnen

  • Die Eigentümer eines Hauses in der Maxvorstadt haben Eigenbedarf angemeldet und verklagen nun zwei langjährige Mieter, weil die sich weigern auszuziehen.
  • Die beiden 86 und 71 Jahre alten Männer, die dort mit ihren Ehefrauen leben, sagen, sie würden einen Umzug körperlich nicht mehr aushalten.
  • Der Anwalt der Mieter wirft den Eigentümern "völlig überzogene Nutzungsansprüchen" vor.
  • Die Eigentümer sagen, sie wollten das Mietshaus zu ihrem Familienwohnsitz umgestalten.

Von Stefan Mühleisen

Reiner Zimnik formuliert es so, wie es wohl seine berühmte Figur, der liebenswerte Grantler Sebastian Gsangl, sagen würde: "Ich will meinen Löffel hier abgeben und mit den Füßen voran herausgetragen werden." Der 86-Jährige, bekannter Maler und Illustrator, sitzt in seinem Wohnzimmer im ersten Stock des Hauses an der Veterinärstraße 8, sein Zuhause seit 54 Jahren. Daneben der verbliebene Nachbar Peter Stilijanov, 71, Pianist, seit 22 Jahren im Haus. Vor ihnen liegt ein Stapel Dokumente, darunter ein Schriftstück des neuen Eigentümers mit dem Betreff: "Eigenbedarfskündigung". "Ich werde in zwei Jahren abkratzen", sagt Zimnik, wieder im Gsangl-Duktus, "und in dieser Zeit will ich hier wohnen bleiben".

Ein paar Tage später, die neuen Eigentümer haben im zweiten Stock zum Gespräch geladen: Ein junges Paar, sie wollen namentlich nicht genannt werden - sie sollen hier Verena, 32, und Hans Müller, 46, heißen. Die Frau hält einen Säugling auf dem Schoß. "Wir haben das Haus gekauft, um es zum Familienwohnsitz für uns und die beiden Kinder umzugestalten", sagt Hans Müller. "Alles Erdenkliche", so beteuert er, habe man getan, um die Kündigung so sozial wie möglich zu gestalten: "Wir bitten um Verständnis, dass wir in unser Eigentum ziehen wollen."

So klingt das, wenn Vermieter und Mieter in diesem Haus übereinander reden, miteinander sprechen sie schon seit Monaten nicht mehr. Das junge Paar hat Räumungsklage eingereicht. Ursprünglich wohnten hier drei Mietparteien, jetzt sind noch Zimnik und Stilijanov da, jeweils mit Ehefrauen. Dafür zog die Schwägerin des Eigentümers ein. Laut Deutschem Mieterbund ist "Eigenbedarf" der häufigste Kündigungsgrund; Mieter wehren sich oft erfolglos dagegen. Nach der Erfahrung von Experten sehen die Gerichte das vom Gesetz verlangte "berechtigte Interesse" meist erfüllt, wenn der Eigentümer nachvollziehbar begründen kann, das Objekt für sich, seine Familie oder seine Angehörigen zu nutzen. Das mag rechtens sein, doch wann ist es gerechtfertigt? Der Fall der Veterinärstraße 8 wirft diese Frage auf. Ist es nachvollziehbar, dass wegen des Wunsches der Müllers nach einem Eigenheim alte Menschen nach Jahrzehnten ausziehen müssen? Eine vierköpfige Familie, die derzeit auf 210 Quadratmetern zur Miete wohnt - und nun ein ganzes Mietshaus als "Eigenbedarf" anmeldet?

Reiner Zimnik zog nach dem Studium in das denkmalgeschützte Haus, das Anfang des 19. Jahrhunderts erbaut wurde und den Zweiten Weltkrieg weitgehend unbeschadet überstanden hat. Hier schuf er seine Erzählungen, aus denen Ende der Fünfzigerjahre Sendungen fürs BR-Fernsehen gemacht wurden. Der berühmteste Protagonist war der Gsangl, ein bärbeißiger Jedermann, der das Münchner Zeitgeschehen kommentierte. Jahrzehntelang ging das Leben in dem Künstlerhaus seinen Gang. Bis dann im November 2015 die Kündigung kam.

Reiner Zimnik führt durchs Atelier im Obergeschoss, überall stapeln sich Bilder, Skizzen, Farbtöpfe. Es ist allerdings bereits sein Ex-Atelier. Da die Räume als Gewerbe-Fläche firmieren, gelten hier keine Mieterschutzklauseln. Qua eines Teil-Urteils des Amtsgerichtes muss Zimnik hier raus. Doch seine Wohnung will er nicht räumen. Er will auch nicht in die Ersatzwohnung ziehen, die ihm Müller angeboten hat. "Ich schaffe das nicht", sagt Zimnik und berichtet von einem Schlaganfall, mehreren Herzoperationen: "Einen Umzug überlebe ich nicht." Stilijanov glaubt ebenfalls, einen Umzug gesundheitlich nicht zu überstehen. Dessen Anwältin Lisa Matuschek glaubt ohnehin, dass die Familie Müller das Anwesen gar nicht nutzen will. Offensichtlich solle hier ein Investment getätigt werden, "um ein altbedingtes Münchner Künstlerhaus umzubauen und Werte abzuschöpfen", formuliert sie in einem Brief ans Amtsgericht.

Der Münchner Mieterverein ist beim Thema Eigenbedarf hellhörig. Laut eines Sprechers kommt es immer wieder zu "vorgetäuschten Eigenbedarfskündigungen". Das läuft so: Nachdem die Mieter ausgezogen sind, ziehen die Hausherren doch nicht ein; die Wohnungen werden verkauft oder teuer vermietet. Das kommt selten heraus, denn öffentliche Hand und Mieteraktivisten sind nicht in der Lage, das zu überwachen. Hans Müller ist im Handelsregister als Geschäftsführer der Yulia GmbH eingetragen, einer Maklerfirma. Die Unterstellung eines "vorgetäuschten Eigenbedarfs" streiten die Müllers vehement ab. Die Firma Yulia GmbH sei "ruhend gestellt", so Müller, sie verfüge über kein operatives Geschäft. Mit seiner Frau führe er eine Hausverwaltung für mehrere Eigentümer. "Wir möchten uns unseren Traum erfüllen und die Veterinärstraße 8 familiengerecht gestalten", versichert Hans Müller.

Die Eigentümer sagen, sie seien den Mietern entgegengekommen

Zimniks Anwalt Erwin Heller wirft dem Paar jedoch vor, dass sein Mandant diesem Traum zum Opfer fallen soll. Er spricht, wie auch Stilijanovs Anwältin, von "völlig überzogene Nutzungsansprüchen". "Nur weil diese Familie ein noch luxuriöseres Leben führen will, vertreibt man keine alten und kranken Menschen", sagt Heller. Und er kündigt an, diese Position "bis in die allerletzte Instanz zu verteidigen". Das Paar lebt mit den beiden Kindern derzeit in einer Altbauwohnung auf 210 Quadratmetern zur Miete. Die Wohn- und Bürofläche des Anwesens Veterinärstraße 8 hat insgesamt 300 Quadratmeter.

Was sagen die Eigentümer zum Vorwurf, die Mieter müssten ihrem luxuriösen Lebensstil weichen? Hans Müller: "Herr Zimnik wohnt und arbeitet auf über 150 Quadratmetern, seine Frau besitzt eine eigene Wohnung in der Nähe. Die beiden haben also einen ähnlichen Platz wie wir zur Verfügung." Es gehe aber nicht darum, ob das "luxuriös" sei. "Es geht darum, dass wir zur Miete wohnen und, dass wir in unsere eigenen vier Wände ziehen möchten." Er betont zudem, sie hätten Zimnik eine in ihrem Besitz befindliche, sanierte Dreizimmerwohnung mit 86 Quadratmetern in der Nähe als Ersatz angeboten - und zwar zu den gleichen Konditionen wie bisher, also 550 Euro Monatsmiete. Dazu will das Paar die Umzugskosten sowie einen Hotelaufhalt bezahlen. Für das Ehepaar Stilijanov gibt es kein solches Angebot. Der Mietvertrag, so führt das Eigentümer-Paar an, laufe auf Stilijanovs Frau, die allerdings in Regensburg gemeldet sei, ebenso wie Peter Stilijanov selbst.

Ist der Eigenbedarf nun angemessen, ist er recht und billig? Darüber muss das Gericht entscheiden. Für den Mieterverein steht außer Frage, dass Eigentümer das Recht haben müssen, in ihr Haus zu ziehen: "Es gibt nachvollziehbare Eigenbedarfsgründe. Doch in diesem Fall muss das soziale Gewissen eine Rolle spielen. Das Schutzbedürfnis der alten und kranken Leute wiegt schwerer als die Interessen der Familie."

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Quelle:
SZ vom 28.09.2016/eca
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