Süddeutsche Zeitung

Maxvorstadt:Solidarität tut gut

Die Schwestern Jeanne und Justine Seibert übernehmen für hilfsbedürftige Menschen aus ihrer Nachbarschaft den Einkauf

Von Daria Gladkov, Maxvorstadt

Es ist das fünfte Mal, dass Jeanne Seibert die Einkäufe für ihre Nachbarin erledigt. Normalerweise bekommt sie zuvor dann einen Anruf, und wenn Jeanne Zeit hat, zieht sie los. Die Frühlingssonne scheint am Freitagnachmittag, als sie mit der Einkaufsliste den Supermarkt im Univiertel betritt. Die Schlange an der Kasse ist lang, aber das ist eher dem Sicherheitsabstand geschuldet. Es geht schnell voran. Vier Tomaten, eine Gurke, das Tiefkühlgemüse der Eigenmarke und Bio-Zitronen zieht die Kassiererin über den Laserscanner.

Jeanne packt alles ein und trägt es in den dritten Stock eines Mehrfamilienhauses an der Adalbertstraße. Wenn es nicht gerade ein Großeinkauf ist, legt sie das Geld für ihre Nachbarin aus. Vor der Wohnungstür stellt sie die Tüte ab, klingelt. Die Dame lebt allein und gehört zur Risikogruppe, geht nicht mehr aus dem Haus. Vor Kurzem wurde sie operiert. Um das Ansteckungsrisiko so gering wie möglich zu halten, unterhalten sich die beiden durch die geschlossene Tür. Ob Jeanne auch alles bekommen hat und was es kostet, will die Dame wissen. Das Geld schiebt sie dann durch den Briefschlitz durch.

"Statt nur zu Hause zu sitzen, kann man auch was beitragen, man fühlt sich einfach gut dabei", sagt Jeanne. Die 18-Jährige arbeitet im Rettungsdienst, aber ihr Arbeitgeber hat sie wegen der Corona-Pandemie freigestellt. Vor einigen Wochen hatte sie im Hausflur eine alte Frau getroffen, die Schwierigkeiten beim Tragen ihrer Einkäufe hatte. Da kam Jeanne die Idee mit der Nachbarschaftshilfe. Gemeinsam mit ihrer Schwester Justine haben sie erst einen Aushang für das eigene Haus geschrieben, kurz darauf online auf nebenan.de inseriert. "Unterstützen, um die Wahrscheinlichkeit einer Infektion gering zu halten" ist das Ziel der Schwestern, die zusammen in einer WG in der Maxvorstadt leben.

Inzwischen haben sie schon eine Routine entwickelt: Justine nimmt die Anrufe entgegen und organisiert den Ablauf, Jeanne ist für die Umsetzung verantwortlich. Neben den Besorgungen für ihre Nachbarn geht sie täglich drei Stunden Babysitten. Die Dankbarkeit und der Respekt, den die Schwestern bei ihrer Arbeit erfahren sind enorm. Auf der Nachbarschaftsplattform nebenan.de loben viele User die Hilfsbereitschaft der jungen Frauen. Ein Nachbar möchte sie zum Dank einmal einladen. "Wir sind letztes Jahr eingezogen und haben vier Nachbarn kennengelernt seither. Man hatte irgendwie das Gefühl, dass man nie richtig angekommen ist", sagt Jeanne Seibert. Inzwischen sollte dieses Gefühl verschwunden sein.

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Quelle:
SZ vom 03.04.2020
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