Süddeutsche Zeitung

Maxvorstadt:Mit der Flex gegen den Denkmalschutz

  • 80 Handwerker rissen am 1. Februar das Treppenhaus in einem Miethaus-Komplex in der Schellingstraße ab.
  • Die Mieter wussten nichts davon und vermuten, dass der neue Vermieter den Denkmalschutz für das Gebäude verhindern will.
  • Die Firma, der das Gebäude neuerdings gehört, hat bereits einen Ruf, "nicht geschickt" mit Mietern umzugehen.

Von Stefan Mühleisen, Maxvorstadt

Es müssen etwa 80 Handwerker gewesen sein, schätzt Bernhard Kitzinger; genau hat er nicht zählen können, zu überrascht war er vom plötzlichen Aufmarsch der Arbeiter am 1. Februar 2018 in den Mietshaus-Komplex Schellingstraße 25 und 27; und ziemlich perplex war er von dem, was sie taten: Die einen begannen, das Treppenhaus abzubrechen, rissen das Treppen-Geländer und die Stufen heraus; andere widmeten sich den Fenstern, tauschten sie durch neue aus.

Im Hinterhof sei tags darauf ein Metallgeländer am Kellerabgang "weggeflext" worden, berichtet Kitzinger; es wurde ebenso durch eine einfache Holzkonstruktion ersetzt wie das Treppenhaus-Geländer. "Die haben systematisch historische Bausubstanz zerstört", sagt er, immer noch fassungslos.

Kitzinger und viele andere Mieter in dem Komplex - die angrenzende Türkenstraße 66 zählt ebenfalls dazu - sind nachhaltig geschockt vom Vorgehen ihres neuen Vermieters: Nachdem das Gebäudegefüge Ende 2017 den Eigentümer gewechselt hatte, haben die neuen Hausherren Jahrzehnte alte Bauteile durch Provisorien ersetzen lassen.

Erst am Tag danach, so berichtet es die Hausgemeinschaft, habe der Vermieter per Postwurf und Aushang informiert, was es mit der Aktion auf sich haben soll: Es handle sich um "Notsicherungsmaßnahmen", heißt es in dem Schreiben, datiert vom 2. Februar. Der allgemeine Zustand des Hauses sei äußerst kritisch; das Treppenhaus sei nicht mehr verkehrssicher, "es herrscht akute Sturz- und Absturzgefahr", schrieb die Omega Schellingstraße 25/27 GmbH, eine Projektgesellschaft, die zum Münchner Immobilienunternehmen Omega AG gehört, die insgesamt als Omega Gruppe auftritt.

Allein, die Begründung glauben einige Mieter nicht. "Das ist doch vorgeschoben. In Wahrheit wollten sie Tatsachen schaffen und jedwede historisch wertvolle Ausstattung entfernen", sagt Christian Bendomir. Der 62-jährige Architekt steht im Laden von Bernhard Kitzinger, 59, dem Antiquariat mit Buchhandlung J. Kitzinger, das seit 1892 in diesem Gebäude als Familienbetrieb geführt wird, eines der ältesten Antiquariate der Stadt. Aufgewühlt und wütend berichten die beiden Männer von einer "Nacht-und-Nebel-Aktion", schildern ihre Angst, womöglich bald die Kündigung zu erhalten. "Wir können ja nur vermuten, was die vorhaben", sagt Bendomir.

Der Komplex an der Ecke Schelling-/Türkenstraße ist ein äußerlich unscheinbares Hausgefüge, neben dem Antiquariat gibt es noch die Pizzeria "Ciao Ragazzi", an der Türkenstraße das asiatische Lokal "Halong Bay". Nach Angaben des Eigentümers sind von den 19 Wohnungen 15 vermietet. Unter Denkmalschutz steht keines der drei Gebäude, das wissen auch Kitzinger und Bendomir. Was sie aber wissen: Das Landesamt für Denkmalpflege (BLfD) hatte einen Besichtigungstermin angesetzt.

"Doch inzwischen ist die Kolonne von Vandalen angerückt und hat alles zerlegt", sagt Kitzinger. Der Verdacht des Buchhändlers und seines Nachbarn Bendomir: Die Firma habe prophylaktisch denkmalschutzrelevante Bauteile verschwinden lassen, um einen Abriss genehmigt zu bekommen. Beide räumen ein, dass es durchaus einen Sanierungsstau gebe, etwa die alte Heizanlage. "Ich bin hier aufgewachsen, es ist noch nie jemand die Treppe runtergefallen. Weshalb Notsicherungsmaßnahmen nötig sein sollen, erschließt sich mir in keinster Weise", sagt Kitzinger.

Ein Sprecher des städtischen Planungsreferats teilt mit, dass sich Vertreter des Eigentümers im Januar bei der Unteren Denkmalschutzbehörde "über Abriss und Neubau des Hauses informiert haben". Ein angesetzter Termin zur Prüfung der Denkmaleigenschaft sei aber "auf Wunsch des Eigentümers" auf Ende Februar verschoben worden, wie eine BLfD-Sprecherin sagt. Nach ihren Worten kommt es selten vor, dass Häuser allein aufgrund ihrer Ausstattung in die Denkmalliste eingetragen werden.

Gleichwohl, es kommt vor: Sie nennt das Gebäude an der Aldringenstraße 9 in München als Beispiel, ein Mietshaus, erbaut 1907. Das Fassadendekor sei 1935 entfernt worden, doch im Inneren hätten sich Ausstattungselemente in Formen des Jugend- und Reformstils erhalten.

Die Omega AG weist die Kritik an den Baumaßnahmen vehement zurück. "Selbstverständlich haben wir uns als Eigentümer über die Legitimität der Maßnahmen erkundigt", versichert der Vorstand der Omega AG, Ralph Reinhold, zugleich Geschäftsführer der Projektgesellschaft, in einer Stellungnahme.

Ein konsultierter Experte habe "keinerlei Anhaltspunkte für eine Denkmalwürdigkeit des Objekts gesehen". Insofern habe man schon beim Ankauf der Liegenschaft nicht ansatzweise vermuten müssen, dass die Immobilie unter Denkmalschutz gestellt werden könnte. "Unser Ziel war es, rasch die Verkehrsicherheit für Leib und Leben wieder herzustellen", sagt Reinhold.

Nach seinen Angaben haben die Brandschutzbeschau "aus vergangenen Jahren" sowie ein von der Omega beauftragtes Gutachten "nicht behobene Mängel" festgestellt. Diese bezögen sich auf die "nicht vorhandene Verkehrsicherheit" des Treppenhauses, konkret die "unzureichende Absturzhöhe", fehlende Rauchableitungen sowie unzureichende Standsicherheit. Dies sei durch die Branddirektion, mehreren Sachverständige sowie Architekten und Bauingenieure nachgewiesen.

Planung und Beauftragung der Arbeiten seien im Dezember 2017 erfolgt. Reinhold äußert die Auffassung, dass "die bloße Ankündigung eines Ortstermins durch das Denkmalamt (. . .) keinen hinreichenden Grund für eine Unterbrechung von laufenden Baumaßnahmen" darstelle. Der Termin sei verschoben worden, weil er im Urlaub gewesen sei, aber bei dem Termin habe anwesend sein wollen. Alle entfernten Gegenstände seien eingelagert, sie könnten - sollten Behörden dies verlangen - "wiederaufgearbeitet und eingebaut werden". Zum Vorwurf der "Nacht-und-Nebel-Aktion" sagt Reinhold: Die Mieter seien per Aushang und Einwurf informiert worden.

Die Omega Gruppe hält in München einige Objekte, darunter auch das "Blaue Haus" Ecke Schelling-/ Schleißheimer Straße, welches die Firma derzeit saniert. Die Abendzeitung berichtete zuletzt von verunsicherten Mietern in dem Haus und deren Angst, wie es für sie weitergehe. "Der Umgang mit den Mietern", so beschied ein Omega-Sprecher dem Blatt, sei "teilweise nicht geschickt" verlaufen.

Die Bewohner im Komplex Schelling-/Türkenstraße haben inzwischen eine Mietergemeinschaft gegründet; 13 Unterzeichner haben sich per Fax geweigert, den Austausch der Wohnungseingangstüren und der Badfenster zuzustimmen. "Wir fordern Sie auf, uns über das Gesamtvorhaben und ihre Zielsetzung (. . .) aufzuklären", verlangen die Mieter.

Bisher gab es dazu laut Kitzinger keine Antwort. Auf SZ-Anfrage heißt es von der Omega, es würden derzeit "alle Opportunitäten" hinsichtlich Umbau, Erweiterung oder Abriss/Neubau geprüft. Die Arbeiten im Treppenhaus sind laut Planungsreferat übrigens völlig legal: "Das Haus ist ja kein Denkmal; der Eigentümer darf deshalb Veränderungen vornehmen", sagt ein Sprecher.

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Quelle:
SZ vom 27.02.2018/tpa
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