Maxvorstadt:Inniges Verlangen

Maxvorstadt: Die Weite, die Ferne, die Nähe: Auf einem Papier-Bootübers Meer fahren (Frank Bölter).

Die Weite, die Ferne, die Nähe: Auf einem Papier-Bootübers Meer fahren (Frank Bölter).

(Foto: Gerald von Foris/oh)

Die Sehnsucht nach Menschen, Orten und dem schlichten Glück - nie war sie größer als in diesen Abstandszeiten. Eine Ausstellung im DG Kunstraum

Von Nicole Graner

Es ist ein Gluckern und Glucksen. Manchmal auch ein Schmatzen. Dann plätschert sich das Gluckern etwas aus. So, als ob es Luft holen würde, um von Neuem zu beginnen. Es ist das Geräusch des Wassers, des Meeres. Nicht mitten in der Brandung, sondern am Strandufer, wo sich die Wellen ganz sanft brechen. Poetisch und doch gewaltig. Und es erzählt Geschichten, nimmt den Lauschenden am Sehnsuchtsort mitten hinein in die Weite, mitten hinein in den Klang unter Wasser. Man schließt die Augen und träumt sich ans Meer.

Genau das will die Münchner Künstlerin Judith Egger mit ihrer Video-Installation "Transmission Waves" auch: Den Menschen still, eins werden lassen - mit der Natur, mit sich selbst. Das "Hineinlauschen" in die Dinge könnte man es vielleicht nennen oder den Versuch, mit dem Element Wasser in eine Art Dialog zu treten. Dafür hat sich die 47-jährige Künstlerin in Alicante eine Konstruktion um die Hüfte gebunden, die aussieht, als hätte sie drei lange Angelruten zu einem Wasser-Rechen zusammengebaut. An den dünnen Enden hängen Schwimmer aus Styropor mit eingebauten Mikrofonen. Egger geht vorsichtig ins Wasser, legt die Mikros auf die Wellen. Schont beginnt das Glucksen. Und das Träumen.

Maxvorstadt: Verloren gegangene Berührungen sichtbar machen (Birthe Blauth) - die Sehnsucht ist groß.

Verloren gegangene Berührungen sichtbar machen (Birthe Blauth) - die Sehnsucht ist groß.

(Foto: Gerald von Foris)

Die Video-Installation ist eine von sieben weiteren, die in einer wunderbar stillen und berührenden Ausstellung im Kunstraum der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst zu sehen sind. Arbeiten, die dem innigen Verlangen des Menschen nach dem Geborgensein, dem Glücklichsein nachspüren. Also der Sehnsucht, die mal schmerzhaft sein kann, weil man so sehr einem geliebten Menschen nahe sein möchte, oder die mal nur ein Schwelgen ist. Nie war das Verlangen nach Glück größer, als jetzt in einer Zeit, da das Abtauchen an Sehnsuchtsorte erschwert ist, menschliche Nähe kaum mehr möglich ist. In fünf Wochen habe man, als es endlich wieder möglich war, diese Ausstellung konzipiert, erklärt Kuratorin Benita Meißner. Das Thema Sehnsucht sollte im Fokus stehen, künstlerische Bilderwelten offenbaren, die beim Betrachter neue Sichtweisen wecken.

Eine große Rolle spielt in vielen Arbeiten natürlich das Wasser. Denn nichts mehr scheint den Menschen zufriedener zu machen als die Glückskulissen Meer, Seen oder Flüsse. Das gilt auch für die Arbeit des in Leipzig lebenden Sebastian Stumpf. Er flüchtet sich auf Inseln. In Anlehnung an Caspar David Friedrichs "Wanderer" steht er zu verschiedenen Jahreszeiten auf immer anderen Steinen - mitten in einer wassergefluteten, postindustriellen Tagebaulandschaft. Pseudoromantisch und doch magisch zugleich. Und dann das riesige Boot, das gleich im Eingang steht! Aus festem Tetrapak-Material gefaltet, bündelt es die Träume vom Verreisen, vom Aufbruch in ferne Länder. Doch so plakativ denkt Künstler Frank Bölter nicht. Das Boot ist für ihn ein Synonym für den Menschen an sich und die Fähigkeit, miteinander Träume zu verwirklichen. Sein Film dokumentiert den Prozess, ein Faltboot zu bauen, und in See zu stechen. An einem kleinen Strand von Sri Lanka beginnt er mit dem Projekt, faltet das Papier. Kinder helfen plötzlich und Fischer. Alle haben nur einen Wunsch: Dieses Boot seetauglich zu machen. Irgendwann ist es so weit, die Jungfernfahrt scheitert. Das "Paper Boat" sinkt. Doch die Menschen applaudieren, denn sie haben zusammen einen Traum geträumt.

Maxvorstadt: Poetisch verreisen (Leonie Felle).

Poetisch verreisen (Leonie Felle).

(Foto: Gerald von Foris)

Das Reisen ist ebenfalls Thema der Ausstellung wie in der Projektion "Deine Reise" von Leonie Felle, oder über die Erfahrung, an einen Ort gelangt zu sein, der keine Provokation verträgt, sondern vielmehr Heilendes. So ändert Künstler Boris Maximowitz seinen Plan, mit einer Kunstaktion in St. Petersburg für Aufsehen zu sorgen. Er zieht los, um ein bröckelndes Stück Hausfassade zu erneuern, zu "kitten". Eine Reise ins All unternimmt auf humorvolle Weise Susanne Wagner. In der Ferne blitzen im Dunkel die Sterne des Großen Wagens. Doch plötzlich bewegt sich ein Stern. Es ist der Scheinwerfer eines Autos, und die anderen Lichter sind Menschen mit Taschenlampen. Menschen, die die in München lebende Künstlerin liebt: ihre Familie. Für sie holt sie den Himmel auf Erden.

Heilen - auch das ist eine Form der Sehnsucht. Oder eins werden mit etwas. Im Einklang zu sein mit der Natur - damit beschäftigt sich die Projektion "Creating an image while sleeping" von Heike Mutter und Ulrich Genth. Der Betrachter sieht die Künstlerin in einem Tropenhaus auf einem Stein schlafen: Eidechsen huschen an ihr vorbei. Sie bewegt sich nicht - versunken in eine andere Welt, in der sie letztlich doch eine Störende bleibt.

Alle Projektionen, jede auf ihre Weise, bezaubern. Sie machen spürbar, wie empfindsam, aber auch aufnahmebereit man in diesen Tagen ist, und auch sein will, um sich das Leben zurückzuholen. Wer sich den gut miteinander harmonierenden Projektionen hingibt, wird träumend den Kunstraum verlassen. Wird plötzlich seine eigenen Sehnsüchte besser formulieren können und das Leben mit seinen Einschränkungen trotzdem lieben und unsichtbare Grenzen verwischen wollen. Grenzen, die die Videokünstlerin Birthe Blauth mit "Trapped" an der Fensterfront des Kunstraums täglich von 20 Uhr an sichtbar macht: Sie drückt in Farbe getauchte Fingerspitzen an eine Glasscheibe. Je länger sie diese an die Scheibe drückt, umso dunkler werden die Abdrücke. Immer dichter werden die Punkte, immer sichtbarer wird die Barriere - und die Sehnsucht beim Betrachter umso größer, sie zu durchbrechen.

Sehnsucht: Videoarbeiten und installative Momente; Kunstraum der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst, Finkenstraße 4. Zu sehen bis 6. August. Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag, 12 bis 18 Uhr.

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