Maxvorstadt:Drehscheibe für Kreative

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"Wir bringen die Leute mit den gleichen Zielen zusammen", sagen die Macher des temporären Projekts "T 156" an der Theresienstraße, das mehr sein soll als eine Galerie im klassischen Sinn

Von Stefan Mühleisen, Maxvorstadt

Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit, lautet eine Weisheit, die Karl Valentin zugeschrieben wird. Das gilt immer noch, auch wenn der Spruch nach heutiger Lage der Münchner Kreativszene anders lauten muss: Es wäre schön, wenn es möglich wäre, sich viel Arbeit mit der Kunst zu machen. Denn die große Kunst für Künstler in München ist es, überhaupt Räume zu finden. Da muss es als Glücksfall gelten, wenn eine Truppe junger Künstler einen kleinen Laden zur Zwischennutzung anmieten kann - und dieses Objekt nicht nur als Kunstraum, sondern als ein Labor versteht, um eine Art Kunstnetzwerk-Organisation zu gründen. "Wir verstehen uns als Präsentations-, Diskussions- und Vermittlungsforum", beschreibt Jesaja Rüschenschmidt das Projekt an der Theresienstraße 156, Arbeitstitel "T 156".

Der 27-jährige Absolvent der Münchner Akademie der Schönen Künste steht in dem vollkommen leeren, etwa 16 Quadratmeter großen Raum. Neonröhren beleuchten die frisch gestrichenen weißen Wände und den grauen Estrichboden, rechts und links führt jeweils eine Tür zu kleinen Zimmern, dazu gibt es eine einfache Küche. Draußen ist der Maßmannpark nur wenige Schritte entfernt, in die andere Richtung überspannt in der Ferne die Gebäudebrücke der TU die Theresienstraße. Eine gute Lage, weder ab vom Schuss noch zentral gelegen. Klein zwar, aber das spielt keine Rolle, wie Rüschenschmidt erklärt: Bisher haben zwei Ausstellungen stattgefunden, jeweils besucht von gut 300 Leuten. "Da war der Gehsteig voll", ergänzt Jonathan Hohberg im grellen Licht der Neonröhren. Der 35-Jährige ist kein Künstler, sondern Gastronom, Ex-Betreiber etwa der Bar "Beverly Kills" an der Müllerstraße, befreundet mit Rüschenschmidt und mit dem Grafikdesigner Marco Kawan, der in diesen Räumen zuletzt mit einer Wohngemeinschaft lebte. Über Kawans Vermittlung eröffnete sich die Zwischennutzungsmöglichkeit - und die Chance, mit einer Gruppe aus verschiedenen Kreativsparten zum Kollektiv-Akteur in der Münchner Kunstszene zu werden.

Vernissage auf Feuerwehrschläuchen: Installation von Philipp Zrenner im neuen Kunstraum "T 156" an der Theresienstraße. (Foto: Stefan Klitzsch/oh)

Das Trio aus Gastronom, Künstler und Designer holte sich die Künstlerin und Musikerin Lea Manoussakis sowie Noran Becker, Industriedesigner mit Spezialgebiet Lichtdesign, ins Boot, ferner stieß der BR-Redakteur vom Jugendprogramm "Pulse", Tom Bauer, hinzu. "Wir wollen jungen Künstlern, die keinen Raum haben, eine Plattform bieten", sagt Rüschenschmidt, wobei "T 156" keine klassische Galerie sein soll. Eher eine Art Bühne nach dem Modus von Joseph Beuys und seinem "sozialplastischen" Ansatz: Er sah das gesellschaftliche Leben als soziale Plastik, die formbar sei; jeder Mensch kann nach diesem erweiterten Kunstbegriff "plastizierend" auf die Gesellschaft einwirken. Oder, wie es Jesaja Rüschenschmidt ausdrückt: "Alles, was wir tun können, um die soziale Skulptur besser zu machen, ist gute Kunst."

In der Praxis heißt das: Alles, was viele Menschen im "T 156" zusammenbringt, ist eine gelungene Aktion. Die Öffentlichkeitsarbeit läuft dabei ausschließlich über die Social-Media-Plattform Instagram, Whatsapp und Mund-zu-Mund-Propaganda. Warum keine Homepage? "Wozu?", fragt Hohberg stirnrunzelnd. Auch die großen Galerien und Ausstellungshäuser nutzten zunehmend diesen Kanal, so seine Beobachtung, da Kunstvermittlung und -rezeption in kürzeren Intervallen ablaufe: Vernissage, zwei Tage Ausstellung, Finissage mit Künstlergespräch, dann Präsentation via Insta-Story - so soll das im Zweiwochentakt bis zum Ablauf des Mietvertrags Ende September laufen. Geld verdient ist damit jedoch noch nicht; denn die Gastkünstler bekommen den Raum kostenlos zur Verfügung gestellt.

Zeit bis September (von links): Jonathan Hohberg und Jesaja Rüschenschmidt in ihrem Ausstellungs- und Kontaktraum. (Foto: Stephan Rumpf)

Deshalb sind diese Aktionen nur ein Aspekt von "T 156". Die anderen finden im Nebenraum statt, wo Dutzende gelbe Post-it-Zettel an der Pinnwand kleben und drei Schieferplatten auf Böcken als Tische dienen. "Bayerische Hausbau", "Trudering", "Hostel Mexiko" ist da zu lesen, oder auch "genossenschaftlich", "selbstkritisch" und "gute Laune". Es sind die gesammelten Gedanken eines andauernden Brainstormings für mittelfristige Projekte, die über die Zwischennutzungszeit hinausweisen. Denn das Ziel des Teams ist es, die Kunst zum Hauptberuf zu machen.

Ausschlaggebend für den Zusammenschluss war auch die Erkenntnis, dass sie miteinander über wohl Tausende Kontakte verfügen, zu bildenden Künstlern, Musikern, Technikern, Schauspielern, Galeristen, Gastronomen. "Unser Netzwerk ist ziemlich groß", sagt Jesaja Rüschenschmidt. Allein er selbst ist an mehreren, auch politischen Kollektiven in München beteiligt, etwa bei der Kultur-Initiative "Die Vielen". BR-Redakteur Bauer pflegt vielfältige Verbindungen in die Münchner Band-Szene. Das bildet einen riesigen Pool an Mitwirkenden für potenzielle Projekte. Kulturelle Events für Institutionen und Unternehmen etwa, mit Lesungen und Diskussionsveranstaltungen. Oder auch anspruchsvolle Straßenfeste, für die sich womöglich von der Technik über das Catering bis zu Theateraufführungen und Live-Akts ein Gesamtpaket schnüren ließe. "Wir bringen die Leute mit den gleichen Zielen zusammen", sagt Jesaja Rüschenschmidt. Also jene Münchner, die es schön finden, sich viel Arbeit mit der Kunst zu machen - davon aber auch leben können wollen.

Die nächste Veranstaltung im "T 156" startet am Montag, 9. März, mit wechselnden Ausstellungen zur Münchner Schmuckwoche, kuratiert von der australischen Künstlerin Katie Britchford.

© SZ vom 24.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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