Maxvorstadt:Die Angst der Mieter vor dem Eigentümer

Lesezeit: 4 min

Besorgte Bewohner: Mieter im Hauskomplex an der Schellingstraße 25 und 27 sowie Türkenstraße 66 schildern im Antiquariat J. Kitzinger, ebenfalls Teil des Gefüges, ihre Angst, ihr Zuhause zu verlieren. Sie werfen dem Hausbesitzer vor, sie im Unklaren über seine weiteren Pläne zu lassen. (Foto: Robert Haas)
  • Die Bewohner des Eckhauskomplexes an der Schellingstraße 25 und 27 sowie Türkenstraße 66 fühlen sich vom Eigentümer im Stich gelassen - sie werden über Pläne für das Haus nicht informiert.
  • Im Februar kamen Arbeiter, rissen Treppengeländer und Stufen heraus und bauten dafür einfache Holzkonstruktionen ein.
  • Der Fall erregte öffentliches Aufsehen, weil die Omega AG in den Treppenhäusern mutmaßlich denkmalschutzrelevante Ausstattung entfernt haben könnte.

Von Stefan Mühleisen

Es ist still in der Runde, keiner will den Anfang machen. Zehn Mieter, vier Frauen und sechs Männer, sitzen im Halbkreis. Um sie herum reihen sich Hunderte Bücher in den Regalen - wie so oft, so soll auch an diesem Abend der Verkaufsraum des traditionsreichen Antiquariats mit Buchhandlung J. Kitzinger ihr Versammlungsort sein. Konzentriertes Schweigen, dann legt Gudrun Sydes los.

"Ich habe jeden Tag Angst. Wer weiß, auf welche Ideen die noch kommen", sagt die Sekretärin, seit 1983 Mieterin in dem Haus. Neben ihr nickt Rentnerin Gabriele Trunk heftig, sie lebt seit 1986 in dem Gebäude. Sie sagt mit sorgenvoller Stimme: "Man traut der Ruhe nicht." Der Satz trifft die Gefühlslage der Hausgemeinschaft genau. Adrian Spielbauer, 33 Jahre alt, Schauspieler, beschreibt die alltägliche Anspannung so: "Jedes Mal wenn ich zum Briefkasten gehe, läuft mir ein kalter Schauer über den Rücken. Denn es könnte ja der Kündigungsbrief drin sein."

SZ PlusKleine Häuser in der großen Stadt
:Die Letzten ihrer Art

Keine Stadt in Deutschland ist so vom Immobilienirrsinn gebeutelt wie München. Trotzdem bleiben einige Häuser stehen, bei denen jeder staunt, dass sie nicht längst für einen Neubau plattgemacht wurden. Ein Rundgang.

Von Max Fellmann und Daniela Gassmann, SZ-Magazin

Die Nachbarn saßen in den vergangenen Monaten schon oft zwischen den Bücherregalen und schilderten ihre bangen Empfindungen. Alle haben sie Angst, ihr Zuhause zu verlieren, alle sind sie immer noch fassungslos, was vor gut einem halben Jahr in diesem Eckhauskomplex an der Schellingstraße 25 und 27 sowie Türkenstraße 66 geschah: Ein Tag, den Adrian Spielbauer als "albtraummäßig" in Erinnerung hat. "Es war, wie wenn Heuschrecken hereinbrechen und alles abfressen."

An jenem Tag im Februar kamen nach Angaben der Bewohnerschaft für sie völlig überraschend etwa 80 Arbeiter in das eher unauffällige Eckgebäude inmitten des Uni-Viertels; es gibt dort ein asiatisches Lokal und eine Pizzeria sowie das traditionsreiche Antiquariat Kitzinger, dessen historische Holzschaufenster-Anlage im Neurenaissancestil den Passanten in der belebten Straße durchaus ins Auge sticht. Die Arbeiter rissen die Treppengeländer und Stufen heraus, bauten dafür einfache Holzkonstruktionen ein. Dazu wurden die alten Treppenhaus-Fenster und andere Elemente entfernt oder ausgetauscht.

Der Schock über die Vorgänge sitzt immer noch tief bei den Mietern. Schockierend finden sie überdies, dass der Hauseigentümer, die Omega Schellingstraße 25/27 GmbH, eine Projektgesellschaft, die zum Münchner Immobilienunternehmen Omega AG gehört, sie seitdem im Unklaren über ihre Pläne lässt. Als "menschenverachtendes Verhalten" bezeichnet das ein 55-jähriger Bewohner, ein freier Journalist, der seinen Namen nicht nennen will.

Der Fall erregte öffentliches Aufsehen, weil die Omega AG - sie hat den Komplex Ende 2017 gekauft - in den Treppenhäusern mutmaßlich denkmalschutzrelevante Ausstattung entfernt haben könnte - und zwar bevor Experten des Landesamtes für Denkmalpflege (BLfD) diese in Augenschein nehmen konnten. Ein Besichtigungstermin war angesetzt, aber auf Wunsch der Omega AG verschoben worden, wie die Denkmalschutzbehörde bestätigte. Die Immobilienfirma hatte die Aktion mit "Notsicherungsmaßnahmen" begründet. Die "Verkehrssicherheit" in den Treppenhäusern sei nicht gegeben gewesen, von unzureichender Absturzhöhe, fehlenden Rauchableitungen und unzureichender Standsicherheit war die Rede. Laut Omega AG sind die Mängel durch Gutachten belegt, Behörden hätten diese schon vor Jahren angemahnt.

Nach dem Abzug der Arbeiter war es plötzlich still, und es blieb still. Eine "unheimliche" Ruhe kehrte laut den Bewohnern ein. Der Vermieter habe weder per Brief, noch per Mail, noch per Aushang mitgeteilt, wie es mit ihnen und dem Gebäude weitergehe, berichten sie beim Gespräch im Antiquariat. Heiko Börner, 45-jähriger Künstler, sagt, sein Anwalt habe mehrere Briefe geschickt, aber keine Antworten erhalten; der freie Journalist erzählt von einer Nachfrage per E-Mail, auf die es keine Reaktion gegeben habe. Die übrigen in der Gruppe lassen erkennen, aus Unbehagen vor womöglich unangenehmer Antwort keinen Kontakt mit dem Vermieter aufzunehmen. "Das könnte die Ruhe stören. Wir sind froh, noch hier zu sein", formuliert es Christian Bendomir, der mit seiner Frau Christine seit 1995 in dem Haus lebt.

Die Gebäude selbst hält die Behörde aber nicht für erhaltenswert; es habe "reduzierten Geschichtswert", heißt es. (Foto: Robert Haas)

Verärgert berichtet das Ehepaar, dass nach dem Umbau niemand den Dreck im Treppenhaus entfernt habe; eine zurückgelassene Leiter stehe noch immer neben ihrer Eingangstüre. Als gravierender schätzen die Mieter jedoch das provisorische Treppenhaus ein. "Die Stufen haben unterschiedliche Tritthöhen, das ist unsicherer als vorher", sagt Christian Bendomir. Gabriele Trunk, die Rentnerin, sieht das gar als "lebensgefährlich" an. Heiko Börner, der Künstler, erzählt, seine Kinder hätten sich an den provisorischen Handläufen im Treppenhaus Schiefer eingezogen. "Das sind unbehandelte Baumarktbretter, billigste Materialien." Das Wort "absurd" fällt, angesichts der Begründung der Omega AG, mit "Notsicherungsmaßnahmen" die Verkehrssicherheit wieder herzustellen.

Das Unternehmen weist Kritik an seinem Vorgehen erneut zurück. Zuletzt hatte der Vorstand der Omega AG, Ralph Reinhold, Ende Februar beteuert, mit dem Umbau Leib und Leben der Mieter schützen zu wollen. Alle entfernten Gegenstände seien eingelagert und könnten, sollten Behörden dies verlangen, wiederhergestellt und eingebaut werden. Auf erneute Anfrage der SZ versichert der Rechtsanwalt der Projektgesellschaft: Im Nachgang zu den Maßnahmen und auch der Medienberichterstattung habe sich "kein einziger Mieter mit unserer Mandantschaft in Verbindung gesetzt". Die Ansprechpartner in der Hausverwaltung seien durchgehend erreichbar.

Dass Treppenstufen "unterschiedlich hoch" seien und sich Bewohner über die Holz-Handläufe Schiefer eingezogen hätten, sei ebenso wenig bekannt. Der Rechtsanwalt weist überdies für die Omega AG den Vorwurf zurück, die Mieter über Arbeiten im Februar nicht informiert zu haben und führt zwei Schreiben, datiert vom 2. und 8. Februar 2018, an. Nach Aussage der Mieter war die Umbauaktion jedoch bereits am 1. Februar angelaufen.

Alte Auslage: Die Schaufensteranlage des Antiquariats an der Schellingstraße hat das Landesamt für Denkmalpflege in die Denkmalliste aufgenommen. (Foto: Stefanie Preuin)

Rechtswidrig war das Vorgehen der Omega AG nach Einschätzung des städtischen Planungsreferats ohnehin nicht. Da das Hausgefüge kein Denkmal sei, dürfe der Eigentümer Veränderungen vornehmen, hieß es von einem Sprecher. Das Landesamt für Denkmalpflege bezeichnete die Abbauaktion zwar als "bedauerlich und äußerst kritisch", was aber offensichtlich folgenlos für den Hauseigentümer blieb. Vor Kurzem hat die Behörde lediglich die Schaufensteranlage an der Fassade des Antiquariats Kitzinger, 1889 für eine Bäckerei errichtet, in die Denkmalliste aufgenommen. Die Gebäude der Hausgruppe haben "reduzierten Geschichtswert", teilte Generalkonservator Mathias Pfeil mit.

Die Omega AG will unterdessen keine Angaben über ihre Absichten für den Hauskomplex machen. "Unsere Mandantschaft befindet sich nach wie vor im Planungsverfahren. Sobald eine Entscheidung getroffen wurde, welche Maßnahmen konkret durchgeführt werden sollen, wird unsere Mandantschaft die Mieter selbstverständlich informieren", beantwortet der Rechtsanwalt des Unternehmens eine Anfrage der SZ. Nach Auskunft des Planungsreferats hat der Eigentümer der Liegenschaft bisher keinen Antrag auf Abbruch und Neubau eingereicht, es gebe jedoch die Auflage, die historische Schaufensteranlage zu erhalten. Eine Teilungserklärung - Voraussetzung, um die Wohnungen einzeln zu verkaufen - liege nicht vor.

Im Antiquariat Kitzinger wenden sich die Nachbarn nach zweieinhalb Stunden Gespräch zum Gehen. Wie es nun weitergehen soll? "Wir werden uns weiter ruhig verhalten und hoffen, dass wir hier wohnen bleiben können - und, dass die Kinder derweil nicht die Treppe hinunter stolpern", sagt Heiko Börner zum Abschied.

© SZ vom 01.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Wohnen in München
:Wie sich ein Vermieter gegen Investoren schützt

Wolfgang Fischer hat für Makler und das Geld ihrer Kunden nichts übrig. Sein Erbe bekommt eine Genossenschaft - und die Mieter bleiben in ihren Wohnungen.

Von Anna Hoben

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: