Süddeutsche Zeitung

Maxvorstadt:Der Mythos einer Meile

Da sich die Türkenstraße durch Abriss und Neubau immer stärker verändert, will sie der Bezirksausschuss auf ihrer ganzen Länge unter Ensembleschutz stellen. Ob das funktioniert, ist allerdings fraglich

Von Stefan Mühleisen, Maxvorstadt

Im kollektiven Stadtgedächtnis ist die Türkenstraße vor allem mit der Zeit der Schwabinger Bohème verbunden. Viele legendäre Typen dieser legendären Zeit wohnten und wirkten in dieser 1,3 Kilometer langen Nord-Süd-Achse. Genau genommen prägten sie den Mythos des spezifisch Schwabinger Lebensgefühls mit seinen leichtlebigen Literaten, Künstlern und Gelehrten aber nicht in Schwabing, sondern in der Maxvorstadt.

Die Kultur-Avantgarde mietete sich dabei in Bauwerken ein, die vielfach noch erhalten sind und unter Denkmalschutz stehen. Doch das reicht der örtlichen Politik nun nicht mehr. Der Bezirksausschuss Maxvorstadt verlangt, dass die Türkenstraße möglichst auf der gesamten Länge, von der Brienner Straße bis zur Georgenstraße, unter Ensembleschutz gestellt wird. "Die Türkenstraße verliert ihr Gesicht", heißt es in einem Antrag der SPD-Fraktion, den das Gremium am Dienstagabend einstimmig beschlossen hat. "Es ist zu befürchten, dass hierdurch ein Stück Münchner Geschichte verloren geht."

Die Stadtviertelpolitiker beobachten mit großer Sorge die rege Bautätigkeit in der Maxvorstadt; vor allem im Univiertel werden die alten Mietshäuser eingerüstet und aufgewertet. Immer wieder befasst sich das Gremium mit Abriss-Anträgen, die teils 100 Jahre alte Häuser verschwinden lassen wollen. So auch am Dienstag, als die Politiker das Projekt auf Abbruch und Neubau des Eck-Komplexes Türkenstraße 66 und Schellingstraße 25/27 zurückwiesen - jenes Gefüge, in dem der Investor das womöglich schützenswerte Treppenhaus herausreißen ließ, bevor die Denkmalschutzbehörde es geprüft hatte.

Dieser Fall fügt sich für den Bezirksausschuss zum Bild des schleichenden Verlusts wertvoller Bausubstanz und der damit verbundenen Stadthistorie. "Diese einmalige Geschichte und vibrierende Stadtkultur ist (...) seit vielen Jahren gefährdet, durch rücksichtslose Immobilienspekulanten zerstört zu werden", heißt es in dem Antrag. Er richtet sich an die Stadt, welche den Ensembleschutz beim Freistaat, also beim Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege (BLfD), durchsetzen soll.

Die Behörde hat in der Türkenstraße bereits 30 Einzeldenkmäler identifiziert. Dazu zählt etwa auf Hausnummer 4 das ehemalige Palais des königlich-bayerischen Kämmerers Graf Georg Friedrich Wilhelm Alfred von Dürckheim-Montmartin, eine Stadtvilla im Neurenaissancestil, fertiggestellt 1844; an die Frühzeit der Maxvorstadt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erinnert das "Türkentor" zwischen der Sammlung Brandhorst und der Pinakothek der Moderne: der Überrest des einstigen Haupttors der Türkenkaserne, Stützpunkt des königlichen Infanterie-Regiments. Dazu kommen eine ganze Reihe ehrwürdiger Mietshäuser, teils mit geschichtsträchtiger Vergangenheit: Im Haus mit der Nummer 57 war das Lokal "Simplicissimus" beheimatet (heute "Alter Simpl"), eine Keimzelle des Schwabinger Bohème-Mythos'. Die Autoren des bauhistorischen Werks "Denkmal-Topographie Maxvorstadt" sehen vor allem im Nordteil der Straße wegen der vielen erhaltenen Fassaden "ein in München wie in deutschen Großstädten überhaupt selten gewordenes, zeitlos-urbanes Milieu bewahrt".

Allerdings ist derzeit nur der Erhalt der Einzeldenkmäler geschützt. Das Denkmalschutzgesetz kennt aber auch die Kategorie des Ensembles, "eine Mehrheit von baulichen Anlagen", wie es heißt, wobei nicht jedes Gebäude ein Denkmal sein muss. Das Orts-, Platz- oder Straßenbild gilt in seiner Gesamtheit als Denkmal. So ist die Altstadt ein solcher Denkmal-Verbund, ebenso der Ortskern von Allach oder der Dom-Pedro-Platz; acht Straßen-Ensembles gibt es in München, darunter die Ludwigstraße, die Maximilian- und die Prinzregentenstraße.

Bayerns oberste Denkmalschutzbehörde zeigt allerdings wenig Interesse, dem Vorstoß zur Türkenstraße zu folgen. Die Bebauung an der Türkenstraße stamme bis zum Zweiten Weltkrieg zusammenhängend aus dem 19. Jahrhundert und frühen 20. Jahrhundert, teilt BLfD-Sprecherin Dorothee Ott mit. Nach Beschädigungen im Krieg seien die Gebäude in großen Bereichen der Türkenstraße neu errichtet worden. Doch die geschichtliche Bedeutung müsse im Straßenbild, also der Bebauung an der Straße, anschaulich werden, um sie als Ensemble ausweisen zu können. Ott: "Weder baulich noch geschichtlich lässt sich hier eine besondere Bedeutung erkennen, die eine Prüfung der Denkmaleigenschaft als Ensemble rechtfertigen könnte."

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SZ vom 13.12.2018
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