Maxvorstadt:Das grüne Gewissen von nebenan

Vertreter der Bezirksausschüsse versuchen, die Bäume in der Stadt zu erhalten oder für Ersatz zu sorgen. In Vierteln wie der Maxvorstadt, wo es nur wenige Parks und Freiflächen gibt, ist ihre Arbeit besonders wichtig

Von Stefan Mühleisen, Maxvorstadt

Die beiden Weißdorn-Bäume sind etwas schmächtig von Wuchs, aber die Gewächse halten sich wacker. Zwei einsame junge Bäumchen strecken ihre Ästchen in den steinernen Stadtraum an der Ecke Neureuther- und Schraudolphstraße in der Maxvorstadt. Die Sonne bescheint hier nur den Asphalt der Straße, den Beton der Fassaden, das Blech der Autos. Und die Menschen natürlich, die sich die zwei Bäume erkämpft haben.

Vor gut sechs Jahren sammelten sie 200 Unterschriften und sandten eine Eingabe an die Stadt, doch zumindest zwei kleine grüne Bäumchen an ihre ansonsten zugebaute Straße zu pflanzen - nach längerem Hin und Her mit Erfolg. "Sofort war diese Straße lebendiger", schwärmt Ruth Gehling (Grüne). Sie zählt als Baumschutzbeauftragte des örtlichen Bezirksausschusses zu jenen stets wachsamen Stadtteilpolitikern, die sich unermüdlich gegen eine schleichende Veränderung in der Stadt stemmen: Während das urbane Leben prächtig gedeiht, verkümmert das pflanzliche Leben - das Grün ist auf dem Rückzug.

Die Maxvorstadt ist davon besonders betroffen. Mehr als 50 000 Menschen leben in diesem dicht besiedelten, 430 Hektar umfassenden Gebiet. Die innenstadtnahe Lage mit den Universitäten, die Museen im Kunstareal, die vielen Kneipen und Cafés, überhaupt: das vitale Flair - das alles macht die Maxvorstadt zu einem attraktiven Stadtquartier. Die Mieten steigen stetig, ebenso die Grundstückspreise. Es wird saniert und aufgewertet - und in die Hinterhöfe werden neue Häuser gezwängt. Nachverdichtung heißt das im Behördendeutsch. Im Weg stehen dabei oftmals die Bäume, mit denen die Bauherren wenig zimperlich umgehen. Ruth Gehling kann sich da ziemlich aufregen. "Es geht ums Gemeinwohl", zürnt die Baumschutzbeauftragte.

Maxvorstadt: Der alte Nordfriedhof gehört zu den wenigen grünen Inseln in der stark versiegelten Maxvorstadt.

Der alte Nordfriedhof gehört zu den wenigen grünen Inseln in der stark versiegelten Maxvorstadt.

(Foto: Robert Haas)

Die ehemalige Mitarbeiterin beim Landesamt für Umwelt in Augsburg füllt dieses Amt nun schon seit 24 Jahren aus. Gehling und ihre Amtskollegen, die alle von den Stadtteilgremien benannt werden, sehen ihren Auftrag darin, das Gemeinwohl zu sichern. Sie sind das grüne Gewissen von nebenan, die zweite Expertise nach dem Urteil der Behörden. Sie begutachten nahezu jeden Stamm, der unter die Baumschutzverordnung fällt. Die Stadtviertel-Vertreter tragen die Wünsche von Bürgern an die Verwaltung heran - wie die Weißdorn-Bäume in der Neureutherstraße. Oft sehr akribisch kümmern sie sich um die Gewächse im Viertel - und kämpfen um den Erhalt einzelner Bäume.

In der Maxvorstadt ist das Problem umso drängender, als es kaum öffentliche Erholungsflächen gibt. Es gibt ein paar grüne Inseln: Die Rasenflächen um die Pinakotheken, der Maßmannpark und der Finanzgarten sind kleine grüne Refugien im ansonsten versiegelten Stadtraum. Und es gibt die vielen Bäume auf Privatgrund, welche die Eigentümer mitunter leichtfertig umzuhacken gedenken.

Da war etwa der Hausbesitzer im St.-Benno-Viertel, der einen alten Stamm umsägen wollte, weil ein Specht darin wohnte. "Der Vogel hat lauter Löcher in die Fassade gehämmert", berichtet Gehling. "Doch ich habe ihm gesagt: Wenn der Baum weg ist, wird der Specht nicht verschwinden." Sie riet ihm, ein Netz an die Hauswand zu hängen, sodass sich der Vogel nicht mehr festkrallen kann. "Voilà, der Baum steht immer noch", sagt Gehling. Noch ein Beispiel: An der Kaulbachstraße wucherten die Wurzeln eines Baumes in die Abwasserrohre auf dem Nachbargrundstück. Laut Gehling wäre wegen des Zerstörungswerks dem Umsägen wohl nichts mehr im Wege gestanden. "Ich legte den Leuten nahe, wurzelresistente Rohre einzubauen. Ich sagte: Neue Leitungen brauchen sie ohnehin." Gehling konnte den Eigentümer zudem überzeugen, ein Stück Fläche zu entsiegeln, damit der Baum Luft und Wasser bekommt - und wieder war ein Baum gerettet.

Ruth Gehling, Baumschutzbeauftragte des Bezirksausschusses. Das Leitthema: Wie grün kann die ohnehin schon zubetonierte Maxvorstadt bleiben?

Kämpft um jedes Gehölz: die Baumschutzbeauftragte Ruth Gehling.

(Foto: Florian Peljak)

Das alles ist Kärrnerarbeit, die nach Ansicht des Bundes Naturschutz (BN) immens wichtig ist. "Die Baumschutzbeauftragten leisten großartige Arbeit", sagt der Vorsitzende der BN-Kreisgruppe München, Christian Hierneis. Seit November 2015 hat er für die Baumschutzbeauftragten Workshops etabliert, "Baumschutz in München - was können wir gemeinsam tun?", so der Titel der April-Veranstaltung. Hierneis weiß, was die Stadt tun sollte: alle gefällten Bäume und die Nachpflanzungen dokumentieren und in einem stadtweiten Baum-Kataster erfassen. "Keiner weiß, wie viele Bäume es in der Stadt überhaupt gibt - und ob der Baumbestand in der Stadt abnimmt." Hierneis glaubt: Er nimmt ab.

Diese Sicht teilt auch die Untere Naturschutzbehörde. "Das ist der Preis der Nachverdichtung", sagt der stellvertretende Behördenleiter Ulrich Uehlein. Er betont: Nur auf privaten - nicht auf öffentlichen - Flächen nehme die Zahl der Bäume ab. Das legt auch eine Antwort von Stadtbaurätin Elisabeth Merk auf eine Anfrage der Grünen nahe. Demnach wurden 2014 im Stadtgebiet 6355 Bäume gefällt, 2442 davon wegen Bauvorhaben. Nachgepflanzt wurden aber nur 4164 Bäume, davon 1659 als Ersatzpflanzungen für Baumaßnahmen, 2157 Gehölze kultivierte das Baureferat. Im Jahr 2015 war die Differenz noch krasser, weil wegen eines Sturms gut 2000 Bäume mehr als üblich abgeholzt wurden.

Das Thema Ersatzpflanzungen ist ein ewiger Quell des Unmuts in der Stadtvierteln. Die Bürgervertreter finden, Grundstückseigentümer zahlten lieber Bußgelder, als neue Gehölze zu setzen. In der Tat weist die Statistik für 2014 aus, dass die Behörde 1709 Ersatzpflanzungen für Einzelfällanträge gefordert hat, aber nur 348 nachweislich erfolgten. "Häufig wird die Pflanzung von Ersatzbäumen nicht gemeldet", so Stadtbaurätin Merk. Eine Überprüfung könne sich aus personellen Gründen nur auf Stichproben beschränken. Würde ein Baum-Kataster helfen? Uehlein sagt: Die 108 000 Bäume im öffentlichen Raum seien gut dokumentiert; doch auf privaten Grund stünden mindestens viermal so viele. "Um die alle zu erfassen und laufend zu überwachen, bräuchte es sehr viel Personal", sagt er. Dennoch will seine Behörde die Nachpflanzungen bald stärker kontrollieren. In acht ausgewählten Stadtbezirken soll genau hingeschaut werden, ob und wie viele Bäume gemäß den Baugenehmigungen nachgepflanzt werden. "Bis Ende des Jahres haben wir dann ein vollständiges Bild."

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