Maxvorstadt:Ausgeliefert

Der Dawonia-Konzern, dem die 30 000 GBW-Wohnungen gehören, will sein Haus an der Schönfeldstraße durch einen Neubau ersetzen. Die Mieter sind entsetzt und hoffen, dass eine Sozialcharta sie schützt

Von Stefan Mühleisen, Maxvorstadt

Rudolf Schairer spricht mit ruhiger Stimme, unaufgeregt. Auch wenn es für ihn und seine Nachbarn um existenzielle Probleme gehen mag, der 59-Jährige trägt mit geruhsamem schwäbischen Timbre den Inhalt jenes Briefes vor, der die Hausbewohner Mitte Februar in den Schockzustand versetzt hat. Der Betreff: "Geplanter Neubau", der Absender: Dawonia Management GmbH. "Es wäre der Wahnsinn", sagt Schairer und bekommt es hin, auch das in zurückhaltendem Ton zu artikulieren.

Es geht hier um ein Münchner Mietshaus an der Schönfeldstraße 14, gegenüber dem Hauptstaatsarchiv. Es fügte sich, dass Rudolf Schairer diesen Fall unlängst in einem Tagungsraum der Bayerischen Landesbank am Oskar-von-Miller-Ring vortrug, bei der Sitzung des Bezirksausschusses Maxvorstadt. Denn das Gebäude gehörte einst dieser Hausbank des Freistaates beziehungsweise der Landesbank-Tochter GBW, die mit ihren 30 000 Wohnungen 2013 an ein Konsortium verkauft wurde und seit Ende 2018 Dawonia heißt. Und der Satz "Das wäre der Wahnsinn" war seit dem Deal in Variationen oft zu hören in den GBW-Blöcken. Es bezog sich zumeist auf Modernisierungspläne und damit verbundene Mieterhöhungen. Die Bewohner bezweifelten oft die Beteuerungen, dass dies im Konsens mit Mietern ablaufen werde. Und so ist es jetzt auch an der Schönfeldstraße 14 - wobei die Dawonia das Haus in diesem Fall gleich wegreißen will.

Das schlichte Gebäude dockt in der engen Straße zwischen Englischem Garten und Ludwigstraße neben der Privatklinik Josephinum an. 71 der 80 Einheiten sind nach Angaben der Dawonia Einzimmerwohnungen, wovon derzeit einige leer stünden. Ein Kleinwohnungsblock, in dem die Bewohner, teils seit Langem, zu günstigen Mieten leben. Elf Euro Kaltmiete pro Quadratmeter zahlt zum Beispiel Rudolf Schairer, Ex-Betriebswirt in Vorruhestand, für seine 34,7 Quadratmeter großen Wohnung. Seit 30 Jahren lebt er dort - und seit zehn Jahren mit der Unsicherheit, was wohl mit der Anlage passieren mag.

Maxvorstadt: Krisentreffen in Corona-Zeiten: Vor ihrem Haus und mit angemessenem Abstand zueinander berichten sechs Bewohner des Gebäudes an der Schönfeldstraße, dass sich aus Sicht ihres Vermieters eine Sanierung der 80 Wohnungen nicht mehr lohnt.

Krisentreffen in Corona-Zeiten: Vor ihrem Haus und mit angemessenem Abstand zueinander berichten sechs Bewohner des Gebäudes an der Schönfeldstraße, dass sich aus Sicht ihres Vermieters eine Sanierung der 80 Wohnungen nicht mehr lohnt.

(Foto: Robert Haas)

Im April 2010 kündigte die GBW-Gruppe an, es sei eine Modernisierung geplant, man könne aber noch keine Angaben dazu machen. Im August 2015 und Februar 2017 war die Rede von Prüfungen "verschiedener Sanierungsmöglichkeiten"; Details bekamen die Mieter erst im Frühjahr 2018, als sie zu Einzelgesprächen geladen wurden. Wie mehrere Mieter bestätigen, wurde ihnen angeboten, während der Arbeiten in eine andere Wohnung in dem Komplex zu ziehen, danach wieder zurückzukehren.

"Das wäre noch akzeptabel gewesen", finden Schairer und auch Heidi Schwinghammer, 78, seit 22 Jahren Mieterin im Haus. Ihre Gemütslage ist bei einem Treffen nicht so gefasst wie die ihres Nachbarn. "Es ist unverschämt und unverantwortlich, was die machen", sagt sie und berichtet von geschockten Reaktionen vor allem der betagten Nachbarn, von denen es einige geben soll in dem Haus, manche schwerbehindert wie Schwinghammer. "Ich bin fix und fertig", sagt sie. Denn noch im Januar 2019 hatte die Dawonia das Projekt verschoben, wegen gestiegener Baukosten, wie es hieß. Das war der letzte Stand. Dann kam die Schocknachricht.

Den Baubeginn peilt die Dawonia für das dritte Quartal 2021 an; das Genehmigungsverfahren läuft noch, derzeit hat die Dawonia nur eine Erlaubnis für Sanierung und Erweiterung. Eine Modernisierung, so heißt es von der Dawonia, sei "unter Berücksichtigung sozialer, ökologischer und ökonomischer Gesichtspunkte auf Dauer nicht umzusetzen". Die Bausubstanz sei stark abgenutzt, Qualität und Größe der Wohnungen entsprächen nicht modernen Standards. Es soll ein Mix aus Zwei- und Dreizimmerwohnungen entstehen. "Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht", so ein Sprecher. Man sei zu dem Ergebnis gekommen, dass "auch im Interesse der Mieter und des Münchner Wohnungsmarktes ein schneller Rückbau und ein ebenso schneller Neubau mit wesentlich mehr Wohnfläche sinnvoll sind".

Maxvorstadt: Die Miete in dem zentral gelegenen Haus hinter dem Hauptstaatsarchiv ist ausgesprochen günstig.

Die Miete in dem zentral gelegenen Haus hinter dem Hauptstaatsarchiv ist ausgesprochen günstig.

(Foto: Robert Haas)

Die Bewohner vermögen indes nur ein Interesse der Dawonia zu erkennen. "Wenn man maximale Rendite rausholen will, kann man das wohl verstehen", sagt Rudolf Schairer. Seine Nachbarin, 45, die ihren Namen nicht nennen will, formuliert es so: "Die Wohnungen wurden billig verkauft, jetzt wollen sie Reibach damit machen." Als "blanken Hohn" bezeichnet sie die Begründung. "Was daran sozial sein soll, das frage ich mich schon", sagt sie und meint damit auch das Versprechen der Dawonia, für die Mieter "eine passende Wohnung in unserem Wohnungsbestand zu finden" oder bei der "externen Wohnungssuche" zu unterstützen. "Unrealistisch", sagt Schairer, angesichts der guten Lage und der günstigen Mieten. Und er hat da noch eine Frage: "Was ist mit der Sozialcharta?"

Das will auch der Geschäftsführer des Mietervereins München, Volker Rastätter, wissen: "Wir sind äußerst verwundert, dass die Dawonia, Ex-GBW, nun abermals versucht, ein Haus abzureißen, dessen Altmieter durch die Sozialcharta geschützt sind." Es geht dabei um die Vereinbarung, zu der sich die Käufer der GBW-Wohnungen im Mai 2013 verpflichtet haben. Der zufolge sind Kündigungen wegen Eigenbedarfs oder "nicht angemessener wirtschaftlicher Verwertung" bei Bestandsmietern erst zehn Jahre danach, also in diesem Fall im Mai 2023, möglich. Mieter, die am Vollzugstag 60 Jahre oder älter beziehungsweise schwerbehindert sind, genießen laut Charta lebenslangen Kündigungsschutz. Rastätter erinnert an die Dawonia-Anlage an der Pasinger Nimmerfallstraße, welche ebenfalls vorzeitig abgerissen werden sollte. Das Unternehmen habe einlenken müssen, sagt Rastätter und fügt hinzu: "Die Dawonia fällt immer wieder durch ihr mieterunfreundliches Verhalten auf. Wir appellieren an sie, sich endlich wie ein verantwortungsbewusster Vermieter zu verhalten."

Die Dawonia ficht das offenbar nicht an. "Wir sind uns dabei unserer Verantwortung für die derzeit dort wohnenden Mieter absolut bewusst und werden alles dafür tun, dass wir sie bestmöglich begleiten und unterstützen und jeweils eine individuelle Lösung für sie finden, die ihren Bedürfnissen entspricht", so ein Sprecher. Ferner werde man "selbstverständlich" die Vorgaben der Sozialcharta zum Kündigungsschutz von Bestandsmietern beachten.

Vielleicht nicht alles, aber doch irgendwas, so findet Schairer, könnte jetzt der eigens für die Sozialcharta eingesetzte Ombudsmann tun, der ehemalige Ministerpräsident Günther Beckstein. "Ich bitte Sie, mäßigend auf das Verhalten der Dawonia Management GmbH einzuwirken", schrieb er Ende Februar 2020 per E-Mail an die auf der Dawonia-Webseite anempfohlene Adresse. Bisher kam keine Antwort.

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