Hat nicht jeder schon einmal gedacht, dass ein bestimmter Künstler - ob Musiker, Schauspieler oder Kabarettist - unbedingt einmal mit einem anderen ganz bestimmten Künstler zusammenarbeiten müsste? Ein Gedanke, auf den auch manche Künstler selbst kommen. Der durch die ZDF-"Anstalt" berühmt gewordene Kabarettist Max Uthoff zum Beispiel. "Ich bin dem Konstantin Wecker früher nur mal ganz kurz über den Weg gelaufen. Aber dann haben wir ganz kurzfristig für die 'Anstalt' einen Ersatz gesucht, der Klavier spielen kann und ein politisches Standing hat, weil Hagen Rether ausgefallen ist. Wir haben den Konstantin angerufen, der war gerade von einer weiten Reise zurückgekommen und total im Jet-Lag. Trotzdem hat er gesagt: macht er, er kommt sofort. Das war unglaublich, nicht zuletzt deshalb, weil er sich getreu dem Sendungsskript von uns auch noch dauernd hat demütigen lassen. Wir haben ihn da die ganze Zeit veräppelt, in der Art: Herr Wecker, bloß nicht singen. Erst am Schluss haben wir ihm den roten Teppich ausgerollt. Das hat mir wie ihm so große Freude gemacht, dass wir uns danach ab und zu privat trafen. Und festgestellt haben, dass wir uns sehr gut verstehen und generationsübergreifend gut über Vieles plaudern können. Ich glaube, wir haben uns beide gedacht, dass wir auch mal gut etwas zu zweit machen könnten."
Der Programm-Nukleus stand schnell fest
Lange freilich schwebte der Gedanke nur frei im Raum. Uthoff war mit der "Anstalt" wie mit seinem Solo-Programm "Moskauer Hunde" gut beschäftigt, Wecker mit seinen Alben und Tourneen wie als Labelbetreiber ebenso. Zumal sich Wecker trotz seines gesellschaftlich-politischen Engagements nie im Kabarett gesehen hat - seine Rolle als langjähriger musikalischer Begleiter etwa beim "Scheibenwischer" war der Freundschaft mit Dieter Hildebrandt geschuldet. Vor ein paar Wochen aber wurde es unverhofft und recht kurzfristig konkret, dank Uthoffs Frau Tina. Die engagiert sich stark für die Initiative "Demokratische Schule München", ein mehr als schwieriger Versuch, auch in Bayern eine Unterrichtsstätte ohne Lernzwang, Leistungsdruck und Notensystem zu schaffen, wie sie in anderen Bundesländern und Ländern immer öfter entstehen. Und sie erhielt in Assunta Tammelleos Geltinger Hinterhalt einen Termin, um den Verein bei einer Veranstaltung vorzustellen. Sogleich dachte sie an ihren Mann - und Konstantin Wecker.
Pathologie der freiwilligen Knechtschaft
Weil "wir beide denken, dass die Probleme ganz früh losgehen", wie Max Uthoff sagt, waren beide sofort dabei. Und hatten schnell eine zündende Idee, was der Programm-Nukleus sein könnte: Das Essaybuch "Wider den Gehorsam" des Psychologen Arno Gruen. Wecker betrachtet den 2015 gestorbenen, nach der Emigration aus Deutschland 1936 in den USA und der Schweiz lehrenden Fundamentalkritiker unserer bestehenden Zivilisation schon lange als Geistesverwandten. Im letzten zu seinen Lebzeiten erschienenen Buch entwirft Gruen eine Pathologie der freiwilligen Knechtschaft, wie sie schon im Kindesalter angelegt wird. ("Wider den Gehorsam" ist wie einige andere Werke von Arno Gruen bei Claus Vesters Münchner cc live-Verlag als Hörbuch erschienen.) Schon nach der Veröffentlichung 2014 schrieb Wecker auf seinem Facebook-Kanal: "Diese knapp hundert Seiten haben es in sich und gehören in die Tasche jedes aufgeklärten und kritischen Menschen. Das Buch nimmt uns an die Hand und weist uns den Weg zu unserem Herzen. Es zeigt, wie destruktiv Gehorsam ist, wie er das Denken eingrenzt und die Realität verneint."
So las nun Uthoff im Hinterhalt Passagen aus Gruens Buch, zitierte aber auch andere dazu passende Texte, etwa von Rutger Bregman oder Nils Minkmar. Wecker spielte einige seiner in dieselbe Kerbe schlagenden Lieder wie die 2021er-Fassung vom "Willi" oder ein Stück für seinen Sohn und als Zugabe "Wenn der Sommer nicht mehr weit ist." Beide plauschten zwischendurch über die eigenen familiären oder künstlerischen Erlebnisse; Wecker etwa über seinen bemerkenswert antiautoritären Vater, einen gemeinsamen Auftritt mit Gruen oder die Hoffnungen, die er auf Bewegungen wie "Fridays For Future" setzt; Uthoff von den Parallelen zum entsolidarisierenden Neoliberalismus der vergangenen Jahrzehnte wie von der in sich absurden "Bildungsökonomie" des klassischen Schulsystems. Alles nur lose geplant, ungeprobt und offen für spontane Einfälle. Was aber umso mehr für Begeisterung im Saal und für einen Zuschauer-Rekord beim Hinterhalt-Livestream sorgte.
Hinter den ersten, so naheliegenden und wünschenswerten gemeinsamen Auftritt von Max Uthoff und Konstantin Wecker kann man nun also einen Haken machen. Mal sehen, ob sich mehr daraus ergibt. "Ich könnte mir vorstellen, dass so etwas auch mit unseren eigenen Texten funktioniert", sagt jedenfalls Uthoff.