Max-Planck-Institut:"Was ich gesehen habe, hat meine Befürchtungen noch übertroffen"

Max-Planck-Institut: Auf dem Waldfriedhof wurden Präparate von Euthanasie-Opfern aus MPG-Beständen beigesetzt - aber nicht alle.

Auf dem Waldfriedhof wurden Präparate von Euthanasie-Opfern aus MPG-Beständen beigesetzt - aber nicht alle.

(Foto: Robert Haas)
  • Die Aufarbeitung der NS-Zeit beschäftigt das Max-Planck-Institut (MPI) für Psychiatrie bis heute. Die Wissenschaftler arbeiteten mit Hirnschnitten von Opfern der nationalsozialistischen Euthanasie-Programme.
  • Es ist internationaler Konsens, dass solche Präparate zu bestatten sind - das ist aber mit einigen Präparaten nicht geschehen, anders als lange gedacht.
  • Offenbar wurden manche Gewebeproben von NS-Opfern 1990 bewusst zurückgehalten, um weiter an ihnen forschen zu können.

Von Christina Berndt

Florian Schmaltz wirkt heute noch bestürzt, wenn er sich an seinen Besuch im Max-Planck-Institut (MPI) für Psychiatrie vor gut einem Jahr erinnert. "Ich hatte Schlimmes erwartet", erzählt der Historiker vom MPI für Wissenschaftsgeschichte, "aber was ich dann gesehen habe, hat meine Befürchtungen noch übertroffen."

Den Wissenschaftlern um Schmaltz, die im Februar 2016 auf Geheiß der Führung der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) das Archiv des MPI für Psychiatrie besichtigten, war bewusst, dass sie hier wahrscheinlich Funde aus schlimmen Zeiten machen würden. Fassungslos machen sie die Umstände, wie das geschah.

Die Wissenschaftler rechneten vor allem mit Hirnschnitten von Opfern der nationalsozialistischen Euthanasie-Programme. Hauchdünne Gewebeteile, präpariert auf feinen Glasträgern - solche Schnitte werden auch heute noch angefertigt, um sie haltbar zu machen und unter dem Mikroskop studieren zu können. Doch in der Nazi-Zeit wurden auch Gehirne von Kranken und Behinderten aus Heil- und Pflegeanstalten verwendet, die dafür gezielt getötet wurden. Es ist internationaler Konsens, dass solche Präparate zu bestatten sind.

Das aber ist mit einigen Präparaten der MPG, anders als lange gedacht, offenbar nicht geschehen. Viele Jahre hieß es, die MPG habe ihre Präparate von NS-Opfern 1990 endlich, auf nicht nachlassenden Druck von Historikern und Opferverbänden hin, auf dem Münchner Waldfriedhof beerdigt. Doch dem war nicht so, wie die Medizinhistoriker Wolfgang Eckart von der Universität Heidelberg und Robert Jütte vom Institut der Geschichte der Robert-Bosch-Stiftung Ende 2015 im Auftrag des MPG-Präsidenten feststellten. Ihr Bericht ist so erschütternd, dass er seither in der MPG unter Verschluss ist. Offenbar wurden manche Gewebeproben von NS-Opfern 1990 bewusst zurückgehalten, um weiter an ihnen forschen zu können.

Immerhin setzte der Bericht eine ausführliche Untersuchung aller einschlägigen Institute in Gang, die in München mit der Begehung vom Februar 2016 begann. Ein unabhängiges Forschungsprojekt unter Beteiligung des Medizinhistorikers Gerrit Hohendorf von der TU München soll alle Aspekte der Euthanasie in der MPG erfassen. Auch der Umgang mit den Präparaten nach 1945 soll dabei geklärt werden.

Das ist auch nötig. Denn im Jahr 2001 tauchten im Berliner MPG-Archiv plötzlich rund hundert Hirnschnitte aus fragwürdiger Zeit auf, von denen zumindest manche unter Euthanasie-Verdacht stehen. Sie wurden dort offenbar einfach in den Bestand aufgenommen, eine Beisetzung wurde nicht in Betracht gezogen. Es lag nahe, dass Ähnliches auch in München zu finden sein würde.

Der Archivleiter wollte bei der Aufklärung nicht helfen

Doch die Experten, die im Februar 2016 das Archiv betraten, hatten nicht den Eindruck, dass der Leiter des Archivs ihnen bei der Aufklärung helfen wollte. "Auf unsere Fragen antworteten er und sein Mitarbeiter ausweichend und sehr unpräzise", erinnert sich Florian Schmaltz. "Die ganze Haltung und die geringe Bereitschaft, genauer hinzusehen, konnte ich nur als Abwehrhaltung interpretieren."

Schmaltz selbst fand hingegen schon nach zehn Minuten die ersten Hirnschnitte, die recht eindeutig Euthanasie-Opfern zuzuordnen waren. Manche hätten einer Liste aus dem Jahr 1990 zufolge längst bestattet sein sollen. Ohnehin seien die Zustände im Archiv katastrophal gewesen, heißt es im Protokoll, das der SZ vorliegt. Ein Kellerraum des Archivs habe einer "Gerümpelkammer" geglichen; manche Hirnschnitte mit Euthanasie-Verdacht seien einfach "lose im Regal abgelegt" gewesen. Matthias W., der Leiter des Archivs, wurde daraufhin seiner Aufgabe enthoben, wogegen er sich in einem Prozess vor dem Arbeitsgericht wehrt.

Ob W. schlicht nicht wusste, was sich in seinem Archiv alles fand? "Wenn jemand, der noch nie in dem Archiv war, Dinge in kürzester Zeit auffindet, sagt das schon viel über den Archivleiter, der seine Position seit mehr als 20 Jahren bekleidet", sagt Schmaltz. W. beantwortet mit Verweis auf das Gerichtsverfahren derzeit keine Fragen. Dem Arbeitsgericht aber teilte er mit, er habe sich jahrelang um die Aufarbeitung der Nazi-Geschichte seines Instituts verdient gemacht.

Er sei es auch gewesen, der in E-Mails auf die Existenz fragwürdiger Objekte hingewiesen habe. W. hat dabei prominente Unterstützer: Der langjährige Vorsitzende des Kuratoriums des MPI für Psychiatrie, der Medizinhistoriker Paul Unschuld, hat aus Protest seinen Posten niedergelegt. Das MPI wolle die Nazizeit aufarbeiten und behandle nun selbst Menschen wie Dreck, sagt Unschuld.

Auch Wolfgang Eckart sagt über die Zusammenarbeit mit W. bei den Nachforschungen nur Gutes: "Er hat uns in jeder Weise geholfen." Eckart kann sich vorstellen, dass die Wissenschaftler, die 2016 das Archiv besichtigten, "so erstaunt und erschrocken waren, dass sie alles dem aktuell verantwortlichen Archivar anlasteten. Aber die Geschichte ist viel komplexer, da haben viele vor und nach 1990 mitgewirkt." Die MPG-Führung wisse seit Jahren, dass noch Euthanasie-Präparate existieren.

Der eigentliche Skandal sei Berlin, sagt Eckart. Dort verschwanden nach der Neuentdeckung im Jahr 2001 sogar manche Hirnschnitte von Euthanasie-Opfern wieder. Alle stammen, wie die SZ aus anderer Quelle erfuhr, von Patienten mit der Erbkrankheit tuberöse Sklerose, unter ihnen ein Präparat der erst vierjährigen Helga K. Dass nur Präparate von Patienten mit einer einzelnen Krankheit fehlen, wirft nach dem Eckart/Jütte-Bericht vor allem eine Frage auf: Handelt es sich wirklich um einen "versehentlichen Verlust"?

Heftige Fehden

Ausgerechnet zur 100-Jahr-Feier gibt es am MPI für Psychiatrie Ränkespiele um Karriere, Eitelkeit und Macht. Seit die Klinik des Instituts 2014 einen neuen Leiter bekam, liefern sich Psychiater heftige Fehden. Zahlreiche Mitarbeiter mussten ihre Posten räumen, zugleich werden immer neue Vorwürfe gegen den Klinikchef erhoben - sie reichen von Abrechnungsbetrug bis zu wissenschaftlichem Fehlverhalten. Der Klinikchef betont, er habe sich nichts zuschulden kommen lassen. Auch hat eine Wirtschaftsprüfungsfirma in einem Gutachten sämtliche Abrechnungsvorwürfe für irrelevant erklärt. Die Staatsanwaltschaft aber nahm kürzlich eine Hausdurchsuchung im MPI vor. Geprüft werden nach SZ-Informationen die Jahre 2012 bis 2016 - wegen der Verjährungsfrist und um vergleichen zu können, wie vor der Zeit des neuen Chefs abgerechnet wurde.bern

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