Schuld ist der getrocknete Fliegenpilz. Dieser Pilz, in Wodka eingelegt, hat den Hotelier Urs Zobel nicht nur in einen halluzinierend anderen Zustand versetzt, sondern auch aufs Dach seines Hotels getrieben, zusammen mit Olga vom Zimmerservice. Dort erwacht er nun, von ihr umschlungen, und kann den Blick von der Münchner Schillerstraße aus zur Uhr des Hauptbahnhofs schweifen lassen. Es ist der Beginn einer weit ausgreifenden Geschichte zwischen manch Wunder und Wirklichkeit.
"Urs, der Berserker" heißt der Titel von Max Bronskis neuem Kriminalroman, den der Münchner Schriftsteller, seit vielen Jahren ebenfalls unter dem Namen Franz-Maria Sonner tätig, im pulsierenden Herzen der Stadt spielen lässt. Glücklicherweise ist der im zwielichtigen Bahnhofsmilieu angesiedelte Roman zwar lebensprall, aber nicht so martialisch, wie der Titel befürchten lässt. Von einem durchreisenden Russen, der den Pilz-Wodka angesetzt hat, erfährt Urs nur, dass sein Name an skandinavische Krieger erinnere, die einst Berserker genannt wurden. Und natürlich ahnt man schon, dass deren Verhalten in grauer Vorzeit irgendwie auch mit dem Urs von heute zu tun hat.

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Jene Berserker nämlich, so lässt er sich erzählen, waren von unbedingter Konsequenz und Entschlossenheit. Drohte Gefahr, kauten die Krieger auf ein paar getrockneten Pilzscheiben herum und begannen dann, nackt im Nordwind bis hin zur Raserei zu tanzen. Sie "rüsten sich nicht mit Ausstattung, sondern mit Entblößung. Sie steigern die Schutzlosigkeit, treten dem Feind nackt gegenüber und finden so zu Unverwundbarkeit, die nur von innen kommen kann", erfährt Urs. "Sie gehen den Weg der Angst zu Ende und überschreiten die Grenze, jenseits derer das alles nicht mehr zählt."
Seine Angst überschreitet und überwindet auch Urs im Laufe der Krimi-Handlung - bereits zum zweiten Mal in seinem Leben. Beim ersten Mal war der Hotelierssohn, der neben schlimmer Vernachlässigung durch die Eltern auch noch eine Geiselnahme ertragen musste, als Jugendlicher dem Tod nur knapp entronnen. Beim zweiten Mal nun sieht er als Zeuge einer Amokfahrt in München, an der ein Porsche Cayenne beteiligt ist, einen der einstigen Peiniger im Auto sitzen. Um herauszufinden, was damals geschah, und sich zu rächen, geht Urs nun tatsächlich den Weg der Angst zu Ende.
Bronski erzählt von diesem Weg seines Ich-Erzählers, den zwei Frauen, etliche Halbwelt-Gestalten und ein philosophierender Nachtportier säumen, in einem dramaturgisch makellosen Krimi in wohlgesetzter, manchmal geradezu gestelzter Sprache mit vielen Sentenzen. Das passt zu seinem Protagonisten, der sich am liebsten in einer geordneten Welt ohne Leidenschaft und Gefühlschaos einigeln würde. Klappt nur leider nicht, dafür ist das Leben in der Schillerstraße und auf ihren Dächern einfach zu aufregend. Mit und ohne Fliegenpilz.
Max Bronski: Urs, der Berserker. Kriminalroman. Edition Nautilus 2023, 247 Seiten, 18 Euro.