Maßnahmen gegen Schadstoffbelastung:Geschenke statt Verbote

Von Heiner Effern, Lisa Schnell und Wolfgang Wittl

Mit einem Bündel von Maßnahmen will die Staatsregierung die Luftqualität im Freistaat verbessern - insbesondere in hoch belasteten Ballungsräumen wie München. Das Kabinett veröffentlichte am Dienstag eine bislang unter Verschluss gehaltene Studie mit besorgniserregenden Daten. Demnach liegen die Stickstoffdioxid-Werte in München bei knapp einem Viertel aller Hauptstraßen - insgesamt 123 von 511 Kilometern - teils massiv über dem erforderlichen Grenzwert. "Wenn 25 Prozent eines Straßennetzes von Stickstoffdioxiden betroffen sind, dann ist das schon ein Alarmzeichen, dem wir Taten folgen lassen müssen", sagte Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU).

Betroffen ist vor allem der Mittlere Ring. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) hat bereits vor Wochen ein Fahrverbot für Dieselfahrzeuge ins Spiel gebracht, die Staatsregierung möchte dies mit aller Macht verhindern. "Wir wollen und müssen im Interesse unserer Bürgerinnen und Bürger die Stickstoffbelastung in bayerischen Innenstädten schnellstmöglich reduzieren", sagte Seehofer nach der Kabinettssitzung am Dienstag. Der Gesundheitsschutz stehe an oberster Stelle, ergänzte Umweltministerin Ulrike Scharf (CSU), aber auch die Mobilität in den Städten müsse neu diskutiert werden.

Autobahndreieck A96 bei Pasing Stau stadteinwärts morgens zwischen 7 30 und 8 Uhr mit dem Helico

München ist nicht nur BMW-Stadt, sondern auch eine Kapitale der Luftverschmutzung. Deshalb drohen auch dort Fahrverbote.

(Foto: Oliver Bodmer/Imago)

OB Reiter zeigte sich einerseits besorgt über die nun nochmals klar belegte hohe Luftverschmutzung, andererseits aber auch erleichtert darüber, dass die Staatsregierung endlich etwas dagegen unternehmen will. "Dass die Mittel für den öffentlichen Nahverkehr spürbar erhöht werden sollen, kann ich nur begrüßen. Das bedeutet eine deutliche Entlastung der Kommunen." Der "gesamtverkehrspolitische Ansatz" der Staatsregierung, von dem Umweltministerin Scharf sprach, setzt sich aus mehreren Einzelmaßnahmen zusammen. Mit etwa 400 Millionen Euro in den kommenden fünf Jahren will die Staatsregierung den öffentlichen Nahverkehr in Bayern fördern, das meiste Geld wird zunächst in Großstädte wie München fließen.

Wer erstmals eine MVV-Jahreskarte im Abo kauft, soll als Anreiz zusätzlich zu zwei Gratismonaten einen weiteren Monat geschenkt bekommen - nach Schätzungen des Umweltministeriums kostet dies etwa eine Million Euro jährlich. Einen Schwerpunkt will die Staatsregierung beim Ausbau der Radwege setzen - allein für München und Nürnberg sollen für 80 Millionen Euro 80 Kilometer Radschnellwege geplant werden. Der Bau von Stellplätzen soll helfen, dass ein Fünftel des Gesamtverkehrs künftig auf dem Rad zurückgelegt werden. Drei Millionen Euro werden im Nachtragshaushalt für neue Ladesäulen für Elektroautos eingeplant.

Der Chef verordnet einen Spaziergang

Horst Seehofer (CSU) holt sein Handy hervor: "Schauen Sie mal das schöne Bild an." Man sieht: einen Bus, der auf einer Teerstraße durch den Englischen Garten fährt. Schön? Vielleicht nicht im ästhetischen Sinn, politisch aber ist das Bild für Seehofer eine Pracht, beinhaltet es doch die Botschaft: "Ich hab' recht und du nicht." Die geht an den Münchner CSU-Chef Ludwig Spaenle, der seit Jahren gegen eine Trambahn durch den Park kämpft und nicht versteht, warum der Ministerpräsident das nun anders sieht. Seehofer demonstriert es gerne noch einmal an seinem Lieblingsfoto: "Da fährt ein Bus!" Und wo ein Bus fahre, könne auch eine Tram fahren. Spaenle könne sich selbst davon überzeugen: Seehofer lädt das ganze Kabinett zum Spaziergang durch den Englischen Garten ein - zusammen mit OB Reiter (SPD), von dem übrigens das Foto stammt. nell

Alles sehr erfreulich, sagte der Münchner OB. Nun müsse man sehen, ob der Plan der Staatsregierung geeignet sei, "die Stickstoffdioxidbelastung schnell in den Griff zu bekommen und damit Fahrverbote dauerhaft verhindert werden können". Für Reiter ist deshalb die Reaktion der Automobilindustrie genauso wichtig. Diese müsse Dieselfahrzeuge innerhalb eines Jahres auf ihre Kosten nachrüsten, fordert er. Um exakte Daten über die Münchner Luft zu erhalten und nicht mehr auf Modellrechnungen angewiesen zu sein, wird die Stadt 20 zusätzliche Messstationen an belasteten Straßen aufstellen. Diese könnten auch offenlegen, ob die Maßnahmen des Freistaats schnell greifen. Dazu ist der Staat durch ein Gerichtsurteil verpflichtet.

"Es bricht ein neues Zeitalter an"

Bürgermeister Josef Schmid (CSU) forderte das Land und den Bund auf, die finanziellen Richtlinien für den U-Bahn-Bau zu überarbeiten. Ballungsräume wie München bräuchten viel höhere Zuschüsse, alleine könnten sie die notwendigen Investitionen ins Netz nicht leisten. Die Grünen in München sprachen von "einem schlimmen Ausmaß" der Luftverschmutzung. Die Vorhaben des Freistaats seien richtig, gingen aber nicht weit genug und kämen reichlich spät. Die Fraktion im Rathaus fordert nach wie vor eine Umweltzone und damit die Einführung der Blauen Plakette, mit der stark schmutzende Diesel aus der Stadt herausgehalten werden könnten.

Seehofer verteidigte sich gegen Kritik, die Staatsregierung sei viel zu lange untätig gewesen: "Zu keiner Zeit kann man sagen, wir haben alles erledigt." Das Maßnahmenpaket, zu dem auch die Umrüstung sowie Kaufanreize für Dieselfahrzeuge gehören, habe "durchaus historisches Maß", sagte Seehofer. "Es bricht ein neues Zeitalter an."

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