Massenbesäufnis in der S-Bahn München:Machtlos gegen den Mob

Die Bilanz des eskalierten Abschiedstrinkens in der S-Bahn München: jede Menge demolierte Züge, herausgerissene Deckenverkleidungen, kaputte Lichter. Auch am Montag bekommen die Pendler die Folgen noch zu spüren. Die Polizei beteuert, sie habe mit dieser Menge von Feiergästen nicht rechnen können - und fahndet nun nach den Drahtziehern.

Florian Fuchs und Marco Völklein

Am Ende war alles halb so wild. "Wir hatten eine ruhige polizeiliche Lage", lautete die Bilanz der Bundespolizei. Ein paar der etwa 1000 Abschiedstrinker sangen, andere hüpften, die Sicherheitskräfte mussten Sachbeschädigungen wirklich nur vereinzelt aufnehmen. Insgesamt also ist es eine lustige Party gewesen - damals, vor ein paar Wochen in Hamburg, als in der Nacht auf den 1. Oktober das Bußgeld für Alkohol im Nahverkehr eingeführt wurde. Und sich das Partyvolk zuvor via Facebook organisiert hatte.

Alkohol-Party in Münchner S-Bahnen

Die Folgen des Abschiedstrinkens in der Münchner S-Bahn waren auch noch am Montag deutlich zu spüren.

(Foto: dpa)

So hätten sie sich das in München am Wochenende auch vorgestellt.

Stattdessen fuhren am Montag viele Züge nur verkürzt, auf den Linien S 2, S 3, S 8 und S 20 ließ die Bahn einzelne Züge komplett ausfallen. Demolierte Abdeckgitter, herausgerissene Deckenverkleidungen, kaputte Lichter - die Randalierer der Alkoholparty hatten in der Nacht auf Sonntag so viel zerstört, dass der Schaden bis zum Montag nicht zu beheben war. Die Polizei ist froh, dass sie das Schlimmste verhindern konnte, Körperverletzungen zum Beispiel gab es keine, ins Gleis gefallen ist auch niemand.

Die trotzdem verheerende Bilanz der Nacht zeigt aber, wie schwierig es für die Polizei ist, auf Veranstaltungen zu reagieren, die kurzfristig über das Internet organisiert werden. "Uns fehlen bei diesen sogenannten ,Flashmobs' einfach noch die Erfahrungswerte", sagt Bundespolizei-Sprecher Berti Habelt.

Dabei hatten sich die Münchner Einsatzkräfte im Vorfeld extra eng mit den Hamburger Kollegen abgesprochen. In der Hansestadt hatten sich 11.000 Feierwütige via Facebook zur Alkohol-Abschiedsparty angesagt, gekommen waren dann nur 1000. Für die Bundespolizei, die für die Sicherheit an Gleisen und Haltestellen zuständig ist, waren damals 170 Mann im Einsatz.

Genauso viele Kräfte, etwa viermal mehr als normal, bot nun die Bundespolizei in München auf, zusätzlich zu den etwa 100 Sicherheitsleuten der Deutschen Bahn. "Bloß hier sind dann 2000 Leute gekommen, obwohl sich viel weniger angesagt hatten als in Hamburg", sagt Habelt. "Das hat uns schon ein wenig überrascht."

Ermittler konzentrieren sich auf Drahtzieher

Bei Fußballspielen oder angemeldeten Demonstrationen fällt diese Überraschung meist aus. Wenn Hooligans zu einem Partie anreisen, dann wissen Einsatzkräfte schon Tage vorher, wann, mit welchem Zug und wie viele gewaltbereite Fans kommen. "Da haben wir Informationen von Kontaktbeamten aus der Szene und können uns darauf einstellen", sagt Polizeisprecher Reinhold Bergmann.

Dagegen wussten die Einsatzkräfte bei der Veranstaltung am Samstagabend, die kurz vor 20 Uhr startete, um 18 Uhr noch nicht, wie viele Teilnehmer tatsächlich mitmachen. Bei Fußballfans und Demonstranten ist zudem klar, wohin sie sich bewegen - zum Versammlungsort oder ins Stadion. "Bei uns am Samstag sind die Leute mal ausgestiegen, mal eingestiegen, dann waren sie auf dem einen Bahnsteig und dann wieder auf dem anderen", sagt Habelt.

Bis etwa 22 Uhr war alles gut gegangen. Dann aber kippte die Stimmung. "Zu dem Zeitpunkt waren viele der jungen Leute schon so betrunken, dass man nicht mehr mit ihnen reden konnte", sagt Habelt. Die Bundespolizei forderte Verstärkung von der Landespolizei an, die mit etwa 70 Mann anrückte, blieb aber weiterhin bei der von Anfang an ausgegebenen Strategie der Deeskalation.

Die Sicherheitskräfte griffen ein, wenn sie Straftaten beobachteten, ansonsten versuchten sie vor allem zu beruhigen. Theoretisch hätte die Bahn die Randalierer auch von den Bahnhöfen verbannen können. Das aber wäre genauso unpraktikabel gewesen wie eine Trennung der Jugendlichen von anderen Fahrgästen oder eine komplette Sperrung der Stammstrecke, sagt S-Bahn-Chef Bernhard Weisser: "In dieser Situation den Konflikt zu suchen, wäre verfehlt gewesen." Ähnlich sieht es Habelt: "Viele Teilnehmer waren so aggressiv, man weiß nicht, was bei solchen Maßnahmen dann passiert wäre."

Um die Randalierer nun wenigstens belangen zu können, hat die Bundespolizei extra eine zehnköpfige Sonderkommission gebildet. Die Ermittler werten das Videomaterial aller S-Bahnen aus, sie verhören Zeugen und schauen sich die Bänder von den Bahnsteigen an. 14 Anzeigen liegen bereits bei der Staatsanwaltschaft, zehn wegen Sachbeschädigung, zwei wegen Beleidigung und zwei wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte.

Die Sonderermittler wollen sich vor allem auf die Drahtzieher und Rädelsführer der Randale konzentrieren. Jürgen Vanselow, der den Einsatz der Bundespolizei Samstagnacht geleitet hat, sagt: "Wir werden nicht dulden, dass so etwas ungestraft bleibt."

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