Süddeutsche Zeitung

Marusha:Das Gesicht des deutschen Techno

Früher waren es 140 - heute sind es 129 Beats pro Minute: Marusha hat schon einiges mitgemacht.

Birgit Ackermannn

Mit bunten Augenbrauen und schnellen Beats wie in ihrem Hit "Somewhere over the Rainbow" prägte Marusha Aphrodite Gleiss alias Marusha das Gesicht des deutschen Technos. Seit 1990 moderiert sie die samstägliche Sendung "Rave Satellite" auf dem Berliner Sender Radio Fritz, arbeitet weltweit als DJ und hat ihr eigenes Label Ping Pong Productions. Hier spricht sie als Spezialistin über Techno:

"Elektronische Musik hat sich stark entwickelt, aber Techno bleibt Musik aus der Steckdose, die analog produziert wird. Als ich anfing, war sie viel puristischer, nur auf Perkussion konzentriert. Das Tempo hat sich auch verändert. 140 Beats pro Minute waren normal, in der Rave-Zeit sogar 165 Beats. Heute sind es eher 129. Auch in der Emotion hat sich viel verändert: Früher legte man Wert auf wenig Stimmen, es klang metallisch.

Für die inzwischen vierte Weggeh-Generation nach Techno ist die Musik nicht mehr so neu. Die Jugendmusik ist heute eher Hip-Hop oder R'n'B. Für mich ist es trotzdem ein Glücksgefühl, seit 16 Jahren im Radio Musik vorzustellen, die technoid ist. Im Radio und bei DJ-Gigs spiele ich auch alte Sachen, etwa The Prodigy. Ich lege sehr gemischt auf - es gibt so viel tolle Musik: Disco, Elektro, Minimale Musik, Klassiker, Neues.

Ob der Kommerz den Techno kaputt gemacht hat? Ich glaube, wenn eine Bewegung so riesigen Zulauf hat und derart in den Medien aufgegriffen wird, wird das Ganze früher oder später über den Freundeskreis der Musik herausgetragen. Es werden Stücke produziert, die nichts mehr mit dem Grundtenor zu tun haben. Viele springen auf den Zug auf, weil es trendy ist. Aber wer nicht ganz im Kern dabei ist, dem wird's schnell langweilig, der sucht sich einen neuen Kick. Ich war 2000 das letzte Mal auf der Loveparade, das war gut so.

Wenn man von Anfang an dabei war, sieht man klar eine Entwicklung und hat vielleicht auch zu viel hinter den Kulissen mitbekommen. Das versaut mir das Ganze - aber den 16-Jährigen will ich's nicht verderben. Und die Bewegung geht weiter: Vor kurzem bekam ich eine Mail von einem Mädchen: ,Erinnerst Du Dich, als ich drei Jahre alt war, hast Du mir am Flughafen München eine Karotte gegeben. Wie die Jahre vergehen: Jetzt bin ich 15 und lege in Jugenddiskos auf. Ich möchte einmal so weit kommen wie Du.' Wie schön: In der Musik wird man immer von anderen inspiriert."

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Quelle:
SZ vom 28.6.2006
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