Waldperlach:Ein Martinsumzug für 250 Euro

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Weil solche Martinsgänse "geteilt" werden sollten, schaltete sich das Veterinäramt ein. (Foto: mauritius Images)
  • Der evangelische Kindergarten in Waldperlach wollte einen Sankt-Martins-Umzug veranstalten.
  • Das Kreisverwaltungsreferat will für die Genehmigung 250 Euro Verwaltungsgebühren.
  • Dagegen wehren sich sowohl der Kindergarten als auch der Bezirksausschuss. Bisher erfolglos.

Von Fabian Huber

Es war ein bitterkalter Winter gewesen in Nordfrankreich, so kalt, dass einige bereits erfroren waren, da traf der Gardist Martin am Stadttor von Amiens auf einen armen, alten Mann. Der Reitersoldat hatte selbst nichts bei sich außer seinem Mantel und ein Schwert und dennoch teilte er, sehr zur Belustigung einiger Passanten, seinen Umhang und gab ihn zur Hälfte dem Obdachlosen.

So erzählt es die Legende. Martin wurde später zum Bischof geweiht und heiliggesprochen. In ganz Mitteleuropa feiern Christen jeden 11. November den Martinstag, von Maribor bis München. Es ist ein Fest der Nächstenliebe, des Helfens, der Großzügigkeit. Allein, generöse Taten scheitern manchmal an städtischen Verwaltungsvorschriften, wie ein kurioser Fall in Waldperlach zeigt.

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Es geht um den Sankt-Martins-Umzug eines Kindergartens und um 250 Euro Verwaltungsgebühren sowie die Frage nach der Wertschätzung ehrenamtlicher Arbeit; auch "lebendige Martinsgänse" tauchen auf. Das alles hat zu einem heftigen Streit zwischen dem Bezirksausschuss Ramersdorf-Perlach und der Stadtverwaltung geführt. Auch Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) ist involviert bei diesem bürokratischen Ping-Pong-Spiel.

Erster Satz, Aufschlag im Behördentennis: Am 2. Oktober 2018 meldet Sabine Holzer vom Trägerverein des evangelischen Kindergartens in Waldperlach ein Martinsfest beim Kreisverwaltungsreferat (KVR) an. Der Umzug soll auf der städtischen Grünanlage "Im Gefilde" stattfinden. Etwa 1000 Teilnehmer aus vier Kindergärten, samt Lebkuchen, Punsch, Laternen, einer kleinen Aufführung und - Holzer notiert das ganz ohne Vorahnung auf die Rückseite des Antrags - Martinsgänsen, die "geteilt werden".

Rückschlag, Stadt München: Eine Mitarbeiterin ist offenbar nicht ganz vertraut mit der Tradition des Quarkgebäcks. Also schaltet das Kreisverwaltungsreferat das ihm unterstellte Veterinäramt ein, befürchtet, dass echte Gänse geteilt werden. "Ich dachte wirklich, ich bin bei ,Verstehen Sie Spaß?'", sagt Sabine Holzer, Gruppenleiterin in dem Kindergarten. "Mittlerweile aber ist die Geschichte echt nicht mehr witzig." Die Stadt beschwichtigt. Man habe "lediglich telefonisch abgeklärt, dass es sich bei den Gänsen nicht um lebende Tiere handelt, sondern um Gebäck", sagt ein Sprecher.

Jedenfalls kommt das KVR damals nach viel Erklärungsarbeit bei allerlei Telefonaten zu dem Schluss: Ein Verstoß gegen das Tierseuchenrecht liege nicht vor. Der Martinsumzug wird kurzfristig, eine Woche vor dem Termin am 12. November, genehmigt. Ergänzend landet noch eine Überraschung in Holzers E-Mail-Postfach: Für die Veranstaltung würden Verwaltungsgebühren von 250 Euro anfallen.

"Ich wusste nicht, dass das etwas kostet", sagt Holzer. Es war ihr erster Antrag. Überrumpelt wendet sie sich an Thomas Kauer (CSU), den Vorsitzenden des Bezirksausschusses (BA) Ramersdorf-Perlach. Der will die Gebühren zunächst qua "Bestellung einer städtischen Dienstleistung" finanzieren, was die Stadt mit einem Verweis ablehnt. Eine Dienstleistung könne nicht nach Erhebung von Verwaltungsgebühren bestellt werden. Nächster Versuch: ein Antrag auf eine Zuwendung aus dem Stadtbezirksbudget, gestellt am 10. Dezember an das Direktorium, der zentralen Steuerungsstelle für die Bezirksausschüsse. Gemäß Ziffer 14.2 der entsprechenden städtischen Richtlinien kommt er jedoch zu spät. Der Antrag muss vor dem Veranstaltungszeitpunkt gestellt werden. Erneut lehnt die Stadt ab.

Der Ball liegt jetzt wieder im Feld des Bezirksausschusses - und der schmettert zurück. Am 19. März stimmt er dem Antrag trotz negativer Vorlage des Direktoriums einstimmig zu. "Wir beklagen uns, dass sich die Leute nicht mehr ehrenamtlich engagieren und dann wird so mit ihnen umgesprungen", schimpft der Vorsitzende Kauer. Die Gebühren nennt er für solch eine Traditionsveranstaltung unverhältnismäßig, die Entscheidung der Stadt pedantisch. Wohlgemerkt: Der Bezirksausschuss Ramersdorf-Perlach hat ein Jahresbudget von etwa 277 000 Euro; die geforderte Summe entspricht nicht einmal einem Tausendstel.

Die Verwaltung reagiert öffentlich

Das Direktorium aber bleibt hart: Aufgrund der "Verfristung des Antrages" sei der Beschluss "abzuändern und der Antrag abzulehnen", heißt es in einem Schreiben vom 10. April an den BA. Der beschließt in seiner Sitzung am 9. Mai dennoch, an der Entscheidung festzuhalten. Die Abendzeitung titelt: "Posse um Martinsumzug", woraufhin sich die Verwaltung genötigt sieht, in der Rathaus-Umschau, dem Pressedienst der Stadt, einige Dinge "in eigener Sache" klarzustellen.

Dort wird dargelegt, dass, wie üblich, geprüft werde, ob bezüglich Ponys Auflagen erforderlich seien - zu keinem Zeitpunkt aber nachgefragt worden sei, "ob bei der Veranstaltung Gänse geschlachtet werden sollen". Die 250 Euro hätten damit nichts zu tun; sie entsprächen den "üblichen Verwaltungsgebühren, die für den Verwaltungsbescheid anfallen". Sie stünden in keinem Zusammenhang mit "der Befassung des Veterinäramtes".

Es zeigt sich überdies, dass die Causa Martinsgans auf dem Schreibtisch des OB gelandet ist: "Wenn Herr Kauer hier eine unbürokratische Lösung durch einen persönlichen Ausgleich des Betrags anbietet, begrüße ich das natürlich", wird der OB in Anspielung auf ein Angebot Kauers während der BA-Sitzung zitiert.

Letzter Satz, Aufschlag Sabine Holzer: Es seien "Grenzen überschritten", findet sie. "Wir werden in so einem großen Rahmen sicher keinen Martinsumzug mehr organisieren. Da vergeht einem wirklich die Lust", sagt sie.

Kreisverwaltungsreferat und Direktorium berufen sich auf die geltenden Richtlinien. Thomas Kauer fühlt sich "persönlich angegriffen" und hat deshalb gerade einen ziemlich verstimmten Brief an Oberbürgermeister Reiter geschrieben. Darin heißt es: Das "bürokratische Klammern" trete den Zweck des Stadtbezirksbudgets, nämlich die Förderung des ehrenamtlichen Engagements, geradezu mit Füßen. Eine Antwort der Stadt blieb bisher aus, allerdings teilt ein KVR-Sprecher auf Anfrage mit: "Es gibt bei dieser Konstellation keinen Ermessensspielraum für die Verwaltung." Das heißt: Der Kindergarten muss die Gebühr bezahlen. Sehr zur Verstimmung von BA-Chef Thomas Kauer: "Ich will dem Kindergarten einfach nur helfen", sagt er.

© SZ vom 25.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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