Marta Feuchtwanger:Die Muse, die alle liebten

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Münchner Grande Dame, Dichterfrau und Ikone des Exils: Manfred Flügge hat ein Buch über Marta und ihre Ehe mit dem Autor Lion Feuchtwanger geschrieben.

Anna Fischhaber

Immer wieder hat Lion Feuchtwanger ("Erfolg") versucht, einen Roman über seine Frau zu schreiben. Es ist ihm nie gelungen. Die Geschichte von Marta Feuchtwanger (1891-1987), einer Münchner Jüdin, steht exemplarisch für eine ganze Epoche. Während ihr Mann, der große Autor, gerade mal 1,65 Meter klein und eher unscheinbar ist, gilt Marta als elegante, sportliche und selbstbewusste Frau. Sie hat großen Einfluss auf sein literarisches Werk und die Schwabinger Künstlerszene. Mit ihrem Leben zwischen Leid und Luxus, zwischen München, Berlin, Sanary-sur-Mer und Los Angeles, hat sich Manfred Flügge in "Die vier Leben der Marta Feuchtwanger" beschäftigt. Am Donnerstag stellt er die Biografie im Rahmen der Münchner Bücherschau vor.

Der Berliner Autor Manfred Flügge hat eine Biografie über die Münchner Muse Marta Feuchtwanger geschrieben. (Foto: Foto: Nathalie Huet/oh)

sueddeutsche.de: Warum haben Sie ein Buch über Marta Feuchtwanger geschrieben - und nicht über Lion?

Manfred Flügge: Marta hat unter so vielen Autoren gelebt und sie beeinflusst, Bertolt Brecht zum Beispiel. Aber sie selbst hat nicht geschrieben. Später war sie eine Ikone des Exils. Auch nach Lions Tod - sie hat ihn um drei Jahrzehnte überlebt - hielt sie in Los Angeles die deutsche Kultur lebendig. Am Ende ihres Lebens ging sie manchmal auf drei Partys am Tag und ließ in den USA wieder etwas vom Münchner Geist der frühen zwanziger Jahre aufleben.

sueddeutsche.de: Das Ehepaar Feuchtwanger stammte aus München. Welches Verhältnis hatte es zu seiner Heimatstadt?

Flügge: Lions Vorfahren sind um 1850 aus Fürth gekommen. Juden durften damals nicht ohne weiteres nach München ziehen. Es war keine sehr tolerante Stadt. Der eine Zweig hat die Feuchtwanger-Bank gegründet, der andere eine Margarinefabrik. Die Familie war tief verbunden mit der bayerischen Lebensart. Lion war auf einem Münchner Elitegymnasium, aber er - und auch Marta - haben selbst in Los Angeles noch Bairisch gesprochen.

sueddeutsche.de: Wie hat Marta in München gelebt?

Flügge: Martas Familie bestand aus einfachen Textilkaufleuten. Sie hatte eine große Leidenschaft für Stoffe. Den Münchner Fasching hat sie mit selbstgemachten Kostümen gefeiert. Marta war exzentrisch, sie ist auf den Künstlerbällen aufgefallen. Und sie war sehr sportlich. Das war für jüdische Mädchen um 1900 alles andere als selbstverständlich. Sie war eine begabte Gymnastin, ging Skifahren und ernährte sich vegetarisch. Das Prinzip der offenen Ehe hat wohl auch sie unterstützt. Eigentlich wollte Martha nie heiraten, dann wurde sie von Lion schwanger und tat es doch.

sueddeutsche.de: Eine moderne Frau ...

Flügge: Sie hatte ihre eigene Art der Emanzipation. Marta wirkt nicht so modern, weil sie keinen Beruf hatte. "Mein Leben begann mit dem Tag, an dem ich Lion das erste Mal traf", sagte sie einmal. Plötzlich hatte sie eine andere soziale Stellung. Auch wenn Lion viele Nebenfrauen hatte, er kehrte immer wieder zu ihr zurück. Man darf auch nicht vergessen, dass sie seine wichtigste Mitarbeiterin war.

sueddeutsche.de: Wie hat sich das ausgedrückt?

Flügge: Sie hat alle seine Texte lektoriert und kritisiert. Ohne ihre Zustimmung hat er nichts veröffentlicht. Als Autor, Regisseur und Übersetzer hatte Lion erste kleine Erfolge am Theater in München, aber er war nicht zufrieden. Und als er 1919 Brecht kennen lernte, muss ihm klar geworden sein, dass andere besser geeignet sind, Theaterstücke zu schreiben. Marta hat ihm gesagt, er solle sich mit historischen Romanen beschäftigen. Mit dem Roman "Jud Süß" begann 1923 Lions eigentliche Laufbahn.

sueddeutsche.de: Inwieweit haben die Feuchtwangers das Münchner Künstlerleben beeinflusst?

Flügge: Tee, Essen, Gastfreundschaft - in Thomas Manns Tagebuch stehen die herrlichsten Komplimente für Marta. Die Schwabinger Wohnung des Paares war ein Treffpunkt nach dem Theater und im Fasching. Brecht war oft da. Er war in Marta verliebt, wollte sie sogar heiraten. Und er kam, um mit Lion zu streiten. Brecht hat ganz frech gesagt, er lernt von Lion, wie er es nicht machen soll. Aber auch Arno Zweig, Bruno Frank und Heinrich Mann, der ein Vorbild für Feuchtwanger war, kamen.

sueddeutsche.de: Dennoch haben die Feuchtwangers München 1925 verlassen ...

Flügge: Lion warnte vor Hitler, aber er nahm ihn nicht ernst. Marta sagte einmal, die Steuern hätten sie vertrieben. Vielleicht war es auch der Zug der Zeit: Brecht, Heinrich Mann, alle sind damals nach Berlin gegangen. Die Münchner Liberalität war plötzlich vorbei. In Berlin, das bis dahin eher reaktionär gewesen war, begannen die Goldenen Zwanziger. In München passierte nun das, was Feuchtwanger in seinem Roman "Erfolg" kritisiert. Er schrieb damals in Berlin diesen Münchenroman - so, als hätten er und Marta München mitgenommen.

sueddeutsche.de: Hatten die Feuchtwangers in München nicht auch ein paar Skandale verursacht?

Flügge: Lion war eine echte Skandalnudel. Bei der Organisation eines Festes fiel er beispielsweise auf Schwindler herein. Kaum hatte die Party begonnen, rissen Arbeiter die Girlanden runter, weil sie nicht bezahlt worden waren. Die namhaften Gäste gaben Lion die Schuld. Es kam zu einem quälend langen Prozess.

sueddeutsche.de: Ein Held scheint Lion Feuchtwanger in München nicht gerade gewesen zu sein?

Die Münchner Jüdin Marta Feuchtwanger gehört neben Katia Mann und Alma Mahler-Werfel zu den großen Dichterfrauen des 20. Jahrhunderts. (Foto: Foto: Feuchtwanger Memorial Library, University of Southern California Libraries.)

Flügge: Der spätere Ministerpräsident Kurt Eisner nannte ihn einmal ein "Margarinebarönchen". Lions Ruf in München war zerstört, Marta hat ihn trotzdem geheiratet. Aber auch seine Romantitel waren missverständlich: "Jud Süß" wurde sogar als Nazibuch verstanden. Am Ende seines Lebens, 1957, bekam er den Münchner Preis verliehen - kurze Zeit später schickte er ein Telegramm nach Moskau, in dem er der Sowjetunion zum 40. Jahrestag der Oktoberrevolution gratulierte. Als das bekannt wurde, gab es wieder einen Skandal. Lion ist gerne in alle Fettnäpfchen getreten.

sueddeutsche.de: Und was war die Rolle von Marta?

Flügge: Sie hat immer versöhnt. Auch mit Deutschland und München hat sie sich versöhnt - selbst wenn sie nach Lions Tod Amerikanerin geworden ist. Es fiel ihr schwer, nach dem Zweiten Weltkrieg noch einmal in ihre Heimat zu reisen. Sie hatte Vorbehalte und Ängste, das kann man in ihren Briefen sehen. Aber sie ist trotzdem gefahren und hat die Anerkennungen, die Lion verwehrt geblieben sind, nachgeholt. Sie vollendete sein Leben.

sueddeutsche.de: Warum tun sich die Münchner so schwer mit Feuchtwanger? Es gibt so gut wie keine Würdigung seines Werks.

Flügge: Feuchtwanger ist der deutsche Autor in der angelsächsischen Welt. Die Münchner scheinen ihm dagegen immer noch den Roman "Erfolg" übel zu nehmen. Dabei ist Münchens Geist ist in Feuchtwangers Werk lebendig. Zum Beispiel in der Art, wie er die Menschen schildert. Er sieht nicht den bösen Charakter, sondern nur das gute Motiv. Das ist eine Sichtweise, die er sich in München angewöhnt hat. Die Freiheit Münchens lebt in seinem Werk weiter. Deshalb möchte ich den Münchnern sagen: "Seid stolz auf die beiden!" Man kritisiert nicht eine Stadt, die man nicht liebt.

sueddeutsche.de: Am 21. Dezember jährt sich der Todestag von Lion Feuchtwanger zum 50sten Mal. Was sollte in München passieren?

Flügge: Wenn man auf Lübeck und Thomas Mann schaut, ist dort eine Menge geblieben. In München dagegen heißt der große Literaturpreis nicht Feuchtwanger-Preis, sondern tatsächlich "Thomas-Mann-Preis". Eine Umbenennung würde die Auseinandersetzung mit Lion und Marta Feuchtwanger beflügeln. Und das wäre die Aussöhnung, die von Seiten Münchens noch fehlt.

Manfred Flügge: "Die vier Leben der Marta Feuchtwanger", Donnerstag, 27.11, 19 Uhr, Vortragssaal der Bibliothek, Eintritt: acht Euro. Im Anschluss an die Buchpräsentation wird die neue Dokumentation "Feuchtwanger lebt!" von Herbert Krill gezeigt.

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