Marsmobil in München:Gut verdaut

Erst als Roberto di Gioia sein Keyboard verschenkt hatte, war er wieder frei. Das ist inzwischen zwei Jahre her. Mit Marsmobil ist er nun zurück.

Ralf Dombrowski

Die Dame in der ersten Reihe muss gestaunt haben. Denn mit einem Mal hatte sie ein geschenktes Keyboard in der Hand. Für Roberto di Gioia war es ein Zeichen, das er sich selbst gesetzt hatte.

Roberto di Gioia in München

Roberto di Gioia fand mit

Marsmobil

seine Musik.

(Foto: Foto: oh)

Nach mehr als einem Jahrzehnt in Klaus Doldingers Jazzrock-Combo Passport stand ihm der Sinn nach Wandel: "Ich hatte es von meinem Instrument abhängig gemacht. Es hatte schon länger seine Eigenheiten und ich habe mir gesagt: Wenn es sich endgültig verabschiedet, dann mache ich das auch."

Das war im Sommer 2008 der Fall und seitdem geht di Gioia wieder eigene Wege. Und erreicht hat er schon viel. Mitte der Achtziger schaffte der geborene Mailänder mühelos den Einstieg in die deutsche Jazzszene. Bald engagierten ihn renommierte Kollegen wie Art Farmer, James Moody und Johnny Griffin als Pianisten für ihre Bands.

Den festen Arbeitsplatz bot dann Klaus Doldinger, mit dem Roberto di Gioia in den frühen Neunzigern erstmals zusammengearbeitet hatte. Hinzu kamen Kooperationen etwa mit den Weilheimer Popvisionären des Console-Kollektivs oder auch mit der Wiener Szene um DJs wie Peter Kruder.

Mehr und mehr wuchs dabei das Bedürfnis, den vielen Soundvorstellungen der anderen eigene Klangideen gegenüberzustellen. "Ich vergleiche das gerne mit Essen: Wenn man isst, hat man etwas im Mund. Aber zu etwas Eigenem wird es erst, wenn man es verdaut hat. Und es bringt nichts, wenn man sich immer nur füttert, denn irgendwann ist man verstopft. Ich habe daher versucht, vieles erst einmal sacken zu lassen. Am Ende hatte ich das Gefühl: Ok, das ist von mir, das bin ich wirklich."

Musik hat Roberto di Gioia während der vergangenen zwei Jahre wenig gehört, dafür umso mehr gemacht. Inzwischen spielt er am liebsten alle Instrumente selbst, produziert in Eigenregie, entwickelt individuelle Klangkonzepte.

Sein kleines Studio in Allach hat sich zu einem Anlaufpunkt für Kollegen wie den Musikkomödianten Wigald Boning oder den Sänger Max Herre entwickelt, die den ursprünglichen Sound schätzen, an dem Roberto di Gioia stetig bastelt. Produziert wird oft in einem Rutsch. Von der Idee bis zum fertigen Track dauert es dann nur wenige Stunden.

Das ist ein unmittelbares Arbeiten, das den alten Jazzmythos des Spontanen auch auf eigene Projekte überträgt: "Marsmobil ist das, was ich wahrnehme und was ich fühle. So höre ich meine Lieder, verschrobene, psychedelische, tagträumerische Gedanken kombiniert mit eingängigen Melodien. Dem Ganzen versuche ich darüber hinaus eine verborgene Ebene hinzuzufügen." Resultat ist ein Spiel mit Erwartungshaltungen, die nur an der Oberfläche eingelöst werden.

Das neue Album "(Why Don't You Take) The Other Side", das Roberto di Gioia mit der Live-Besetzung von Marsmobil heute Abend im Jazzclub Unterfahrt vorstellt, hat Melodien, die man pfeifen kann, und ist zugleich komplexer als das Meiste, was im Radio läuft.

Die Musik simuliert das Schlichte, bietet aber vielfach verklammerte Lieder rund um das Ying und Yang der Künstlerexistenz. Es geht um ein Spiel, dessen Regeln in der Kommunikationsgesellschaft fahrlässig missachtet werden, einen Tüftler wie Roberto di Gioia aber umso mehr faszinieren.

"Wie war das früher? Man hat nicht viel mitbekommen von Künstlern. Da gab es ein paar Fernsehbilder, Plattencovers, Fotos, aber das war es dann auch. Heute ist alles transparent. Es ist eine Entmystifizierung im Gange, die dem Künstler kaum noch Raum lässt. Deshalb gibt es eben auch Typen wie Banksy, die sich konsequent dem öffentlichen Blick entziehen. Das ist ein klassischer Mythos und er funktioniert. Da liest man dann im I-Phone-App Nachrichten über das versehentliche Überstreichen eines Original-Banksys in einer australischen Straße. Das ist doch grandios!"

Kunst als Wiederentdeckung des Geheimnisvollen, Pop als Camouflage. Roberto di Gioia hat noch Träume.

Marsmobil spielen am Mittwoch von 21 Uhr an im Jazzclub Unterfahrt, Einsteinstraße 42.

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