Süddeutsche Zeitung

Diesel-Fahrverbote:Streit über saubere Luft: Söder muss wohl nicht in Haft

  • Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat hohe Hürden für eine Zwangshaft aufgestellt.
  • Eingeschaltet hatte den EuGH der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, da die bayerische Staatsregierung nicht bereit ist, Fahrverbote in München zu verhängen, obwohl Gerichte dies fordern.
  • Den Richterspruch hatte die Deutsche Umwelthilfe erwirkt, die seit vielen Jahren vor Gerichten versucht, den Freistaat zu wirkungsvollen Maßnahmen gegen die hohe Luftverschmutzung zu zwingen.

Von Dominik Hutter

Ministerpräsident Markus Söder (CSU) wird wohl weiterhin in der Staatskanzlei residieren - und nicht in Stadelheim. Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hält Zwangshaft zwar für möglich und geboten, wenn sich ein Politiker derart beharrlich weigert, ein von Gerichten angeordnetes Dieselfahrverbot umzusetzen. Allerdings nur, wenn es dafür im deutschen Recht eine klare Regelung gibt und wenn der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet wird. Ob dies der Fall ist, muss nun der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) in München entscheiden. Allerdings ist der VGH in der Vergangenheit schon einmal zu dem Schluss gekommen, dass eine solche Rechtsgrundlage nicht existiert. Wann die Verhandlung stattfindet, ist nach Angaben einer VGH-Sprecherin noch offen.

Der EuGH bestätigt mit seinem Urteil im Großen und Ganzen die vor einem Monat veröffentlichte Einschätzung seines Generalanwalts Henrik Saugmanndsgaard Øe, dessen Position der eines juristischen Gutachters und nicht etwa eines Staatsanwalts entspricht. Eingeschaltet hatte den EuGH der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, da die Staatsregierung nach wie vor nicht bereit ist, einen rechtskräftigen Beschluss von 2017 umzusetzen. Darin hatte der VGH angeordnet, ein Konzept für Dieselfahrverbote in München auszuarbeiten, da nur so die europäischen Grenzwerte für Stickstoffdioxid einzuhalten seien.

Den Richterspruch hatte die Deutsche Umwelthilfe (DUH) erwirkt, die bereits seit vielen Jahren vor Gerichten versucht, den Freistaat zu wirkungsvollen Maßnahmen gegen die hohe Luftverschmutzung zu zwingen. Die Staatsregierung hat bereits mehrfach Zwangsgeld zahlen müssen - was allerdings nicht allzu schlimm gewesen sein dürfte, da die Summe auf 10 000 Euro begrenzt ist und obendrein nur von einem Ministerium ans andere überwiesen werden muss.

Die von der DUH beantragte Zwangshaft lehnten die deutschen Richter zunächst ab. Allerdings fragten sie beim EuGH an, ob allein europäisches Recht die deutschen Gerichte zu einer solchen Maßnahme verpflichtet. Dies ist laut dem nun vorliegenden EuGH-Urteil offenkundig nicht der Fall. Allerdings erinnerten die Richter explizit daran, dass die deutsche Justiz auch für die europäische Ebene einen effektiven Rechtsschutz gewährleisten muss. Vor allem wenn es, wie in diesem Fall, um die Gesundheit der Menschen geht.

Die Deutsche Umwelthilfe interpretiert das Urteil anders als Söder

Freistaat wie Umwelthilfe feiern das Urteil aus Luxemburg als Erfolg. "Gut, dass es jetzt geklärt und damit vom Tisch ist", erklärte Ministerpräsident Markus Söder, der von Anfang an eher gelassen mit der angedrohten Zwangshaft umgegangen war. Der CSU-Politiker regte einen "neuen Anlauf für eine gütliche Einigung" an. Seit Beginn der Debatte habe sich die Rechtslage verändert, zudem sei die Luft in München deutlich sauberer geworden. Darüber werde man noch einmal vor Gericht diskutieren. "Wir hoffen, dass es dann eine vernünftige Regelung gibt", erklärte Söder. "Eine endgültige Entscheidung werden wir dann akzeptieren und auch umsetzen."

Die Deutsche Umwelthilfe interpretiert das Urteil anders: Zwangshaft sei unter bestimmten Voraussetzungen zu verhängen - und die würden in diesem Fall ganz eindeutig erfüllt. Zwangshaft sei in der Verwaltungsgerichtsordnung in Verbindung mit der Zivilprozessordnung vorgesehen. Und der VGH selbst habe seine Bedenken gegen ein solches Mittel nicht als unüberwindlich bezeichnet. DUH-Anwalt Remo Klinger hofft daher, dass der Freistaat demnächst einlenkt.

"Es geht uns nicht darum, dass Leute in den Knast kommen", versicherte Klinger. Die Umwelthilfe wolle, dass die Gerichtsurteile akzeptiert werden. Der EuGH-Spruch sei ein "Meilenstein für den deutschen Rechtsstaat". Positiv findet Klinger auch die Anregung des EuGH, das 10 000-Euro-Zwangsgeld künftig doch einfach tageweise einzufordern und an andere Adressaten als den Freistaat selbst auszuzahlen.

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SZ vom 20.12.2020/amm
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