Süddeutsche Zeitung

Markt:Geschichten in Schraubgläsern

Andreas Essendorfer ist zum ersten Mal auf der Auer Dult. Zu jedem seiner Dips und Pestos weiß er eine Anekdote

Von Jasmin Siebert

Andreas Essendorfer verkauft seit 18 Jahren auf Märkten, "von Bratislava bis Rostock", wie er sagt. Doch bis er eine Zusage für die Auer Dult bekam, vergingen zehn Jahre. Bei der diesjährigen Jakobidult ist es soweit. Noch bis Sonntag darf Essendorfer seine etwa 70 Pestos, Dips, Soßen und Brotaufstriche feilbieten. "Für einen Marktfahrer ist es eine Ehre, hier zu stehen", sagt der 44-Jährige aus Irschenberg, der meist Tracht trägt und seine Produkte alle selbst kreiert hat. Hinter jedem Rezept steckt eine Geschichte aus Essendorfers Leben, oft Erlebnisse von seinen Reisen.

Essendorfers Mutter verkaufte Brot und Marmelade auf Wochenmärkten. Er arbeitete jedoch zunächst ganz bieder als Speditionskaufmann, ehe er 1999 den Marktstand der Mutter übernahm. Doch nur Brot und Hollermarmelade zu verkaufen, war ihm auf Dauer zu langweilig. Einmal versuchte er es mit Kiwimarmelade, doch niemand kaufte sie. Auf Anraten seiner Kinder taufte Essendorfer sie "Hullibubulli", nach einer Zauberformel. Und siehe da, die Marmelade war ratzfatz weg und Essendorfer lernte, dass er nicht nur Produkte, sondern vor allem Geschichten verkaufen muss. Und so kam es, dass Essendorfers Eigenkreationen Namen tragen wie "Oase Namib", "Good morning Vietnam" oder "Dhanyawat Curry India".

Essendorfer war viel in der Welt unterwegs, seine Reiseerlebnisse verwandelte er in Rezepte. Er kultiviert sozusagen Geschichten in Schraubgläsern, haltbar gemacht nach uralten, natürlichen Methoden. "Ich kann nur noch in Gläsern denken", sagt er, sie sind für ihn wie ein Tagebuch. Sein Anspruch dabei: einen Geschmack ins Glas zu füllen, den es so noch nie gab. "Es fällt mir leicht", sagt er, denn immer wieder stünden in besonderen Momenten Zutaten vor seinem inneren Auge und er wisse genau, wie sie in Kombination schmecken würden.

Einmal bat ein Freund Essendorfer, ein Pesto für ihn zu entwerfen. Erst wusste er nicht so recht was, dann stolperte er in der Großmarkthalle über eine Kiste grüner Feigen. Während der Markthändler noch zeterte, machte es "schnipp" in Essendorfers Kopf. Vor seinem inneren Auge sah er die Zutaten für das Pesto: grüne Feigen, Mango, Papaya und gerösteter Sesam. Als er es dem Freund zum Probieren gab, sagte der lang gar nichts. Erst als Essendorfer vorsichtig nachfragte, kam die Antwort: "Ich sitz grad unterm Feigenbaum in Indien und genieß die Welt." Ehe er die Feige bewusst herausgeschmeckt hatte, hatte der Geschmack schon Erinnerungen hervorgerufen. Geboren war das "Dhanyawat Curry India". "Schnipp" machte es auch in Essendorfers Kopf, als er in Costa Rica mit einem Jeep auf die andere Seite eines Flusses gebrettert war. Dort stand nämlich eine Imbissbude und im hintersten Topf köchelte eine Hähnchensoße mit Jalapeño. Auch Essendorfer lässt sein "Costa Rica" eineinhalb Tage köcheln.

Es sind nicht nur schöne, sondern auch traurige Momente, die Essendorfer in Schraubgläsern konserviert. Eine alte Frau in Österreich wollte ihm einmal unbedingt ein Rezept vermachen, damit es nicht verloren geht. Eigentlich wollte Essendorfer es nicht, weil die Geschichte fehlte. Er ließ sich dann aber doch breitschlagen. Und so stand die namenlose Blaubeer-Meerrettich-Kombination auf seinem Schreibtisch und Essendorfer, der sonst immer zappelig ist, überkam eine wehmütige Stimmung. Eine Stunde lang starrte er in die Luft. Er dachte an den alten Beppi, der immer vor seinem Hof saß, auf das Kaisergebirge schaute und über die Welt philosophierte. Schließlich nannte er den Aufstrich Blaubeer-Beppi. Später erfuhr er, dass der alte Mann an diesem Tag gestorben war und vorher noch lang über ihn gesprochen hatte. "Da friert's mich heut noch", sagt Essendorfer.

Vor kurzem ist Essendorfers Manufaktur nach Neuhaus am Schliersee umgezogen. Zwölf festangestellte Mitarbeiter hat er inzwischen, er selbst steht nur noch am Wochenende auf dem Markt. Dann erzählt er seine Lieblingsgeschichten, am häufigsten die zum "Kraut gegen Dummheit". Das ist einer seiner meistverkauften Dips und wird auch auf einem Holzschild in der Marktbude beworben. Es lässt die Passanten schmunzeln, kennt doch jeder jemanden, dem er ein solches Kraut gerne verpassen würde.

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Quelle:
SZ vom 04.08.2017
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