Diskussion um Neugestaltung des Mariahilfplatzes:"Er ist irgendwie ein zentraler Platz, der aber keinerlei Funktion hat"

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Impressionen vom Mariahilfplatz: Immer mittwochs findet der Bauernmarkt statt. Dann beleben Marktstände mit Blumen, Gemüse und Lebensmitteln den Platz. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Am Platz vor der Mariahilfkirche scheiden sich die Geister. Während die einen die Großzügigkeit der Piazza loben, kritisieren andere die Ödnis, wenn weder Bauernmarkt noch Dult ist. Auch die Politik hat keine rechte Antwort auf die Frage, ob eine weitere Belebung nötig ist.

Von Patrik Stäbler

Später in dieser Geschichte wird noch die Rede von einer Anwohnerin sein, die im Mariahilfplatz eine italienische Piazza sieht - und von einem Mann, der denselben Ort "absolut öde" nennt. Doch den Anfang soll Barbara Lackmann machen, die ebenfalls in der Au lebt, und für die der Mariahilfplatz zuvorderst nach Bratwurst schmeckt. Diese wird am Grillstand des wöchentlichen Bauernmarkts für 3,70 Euro feilgeboten.

Und wie an so vielen Mittwochen hat sich Barbara Lackmann auch an diesem Tag vor ihrer Einkaufsrunde eine Bratwurstsemmel geholt, die sie nun genüsslich auf einem der Metallstühle kaut, die vor Kurzem auf Initiative des Bezirksausschusses Au-Haidhausen (BA) hier aufgestellt wurden, immer in Vierergruppen an einen Baum gekettet.

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Mit diesen zusätzlichen Sitzmöglichkeiten wolle man "mehr Aufenthaltsqualität schaffen" - so formulieren das stets die Beamten und Politikerinnen. Allein bei der Frage, wie es aktuell um die Aufenthaltsqualität auf diesem zentralen Platz des Stadtteils bestellt ist, liegen die Meinungen der Auerinnen und Auer ungefähr so nahe beieinander wie die Mieten im Viertel heute und vor dreißig Jahren - das haben die vergangenen Monate gezeigt.

So gab es in den Sitzungen der Lokalpolitiker immer wieder hitzige Debatten, angestoßen nicht zuletzt von der Fraktion der Grünen, die sich mehrheitlich für eine Belebung des Mariahilfplatzes durch mehr Veranstaltungen und eine Umgestaltung des Areals ausspricht. Ihr zufolge braucht es dort mehr Grün statt der allgegenwärtigen Mischung aus Kies und Asphalt - was aber der Auer Dult in die Quere kommen könnte, die auf diesem Platz dreimal jährlich stattfindet.

Zur Einwohnerversammlung sind nicht weniger als 350 Menschen erschienen

Demgegenüber lehnen im Bezirksausschuss vornehmlich CSU und SPD allzu große Veränderungen und allzu viel Trubel auf dem Mariahilfplatz ab - aus Rücksicht auf die Tradition der Dult sowie die ohnehin schon lärmgeplagten Anwohnerinnen und Anwohner. Im April fand zu dem Thema eine Einwohnerversammlung statt, zu der sich nicht weniger als 350 Menschen in der Mariahilfkirche einfanden. Aktuell erarbeitet der BA einen Kriterienkatalog, der die Genehmigung von Veranstaltungen auf dem Platz regeln soll, die in letzter Instanz freilich dem städtischen Referat für Arbeit und Wirtschaft obliegt.

Zudem ist ein Bürger-Workshop zur künftigen Gestaltung des Mariahilfplatzes geplant. Auch Barbara Lackmann, die seit 2019 in der Au lebt, hat die Debatte aufmerksam verfolgt. "Die Stühle waren ein guter erster Schritt", sagt sie zwischen Bratwurst und Einkauf. "Vielleicht könnte man noch ein paar einfache Sachen für Kinder aufstellen." Größere Veranstaltungen wie Konzerte, einen Christkindl- oder den Bayernmarkt, der aktuell auf dem Platz gastiert, lehnt sie indes ab. "Ich finde, das passt hier nicht her - anders als die Dult."

Könnte auch eine provokante Botschaft sein: "Der Platz schläft". (Foto: Alessandra Schellnegger)

Doch braucht der Mariahilfplatz überhaupt eine Belebung? Wer an diesem Mittwochvormittag über den Bauernmarkt flaniert, der wird diese Frage spontan verneinen. Schließlich herrscht reger Betrieb, vor etlichen der fast zwei Dutzend Stände warten lange Schlangen, Menschen stehen zum Plaudern beisammen, beißen in Wurstsemmeln oder sitzen mit einem Stück Kuchen auf den Bänken und Stühlen. Ungleich menschenleerer wird es dagegen auf der Südseite der wuchtigen Backsteinkirche, deren Turm derzeit ebenso hinter Planen verborgen ist wie der Eingang hinter einer Bretterwand. Einsam dribbelt hier ein Bub mit einem Basketball, was auf dem holprigen Kiesboden kein leichtes Unterfangen ist. Weiter hinten rollt ein Auto über den weitläufigen Parkplatz, auf dem an diesem Vormittag kaum zwei Handvoll Fahrzeuge stehen - und den eine Mehrheit im BA lieber heute als morgen verbannen würde.

Der Anblick des Parkplatzes hat auch Peter Klimesch nur ein leises Kopfschütteln abgerungen. Nun sitzt der Autor und Heimatforscher zu Fuße der Kirche und sagt unverblümt: "Ich finde diesen ganzen Platz absolut öde." Sein Urteil ist insofern erstaunlich, als Klimesch gerade ein Buch über den Mariahilfplatz schreibt, das nächstes Jahr erscheinen soll. Darin werden nicht nur "Bilder aus der alten Au" zu sehen sein, sondern es soll auch um die Historie des Areals gehen, das bis zum Bau der ersten Kirche dort im 18. Jahrhundert noch Maria-Rasenplatz hieß.

Peter Klimesch findet den Mariahilfplatz vor allem öde. (Foto: Robert Haas)

Wenn Peter Klimesch über die Au spricht, seine Heimat seit mehr als 35 Jahren, kommt er durchaus ins Schwärmen. "Ich wohne hier wie in einem Dorf, bin aber an die Stadt angebunden. Morgens weckt mich Vogelgezwitscher - und nicht der Autolärm. Wo gibt's das noch in München?" Allein der Mariahilfplatz kommt bei dem Heimatforscher gar nicht gut weg. "Er ist irgendwie ein zentraler Platz, der aber keinerlei Funktion hat." Auch von der Dult hält Klimesch nicht viel: "Die ist zu einer kleinen Wiesn geworden. Ein Riesenrummel, wo man heute kaum mehr einen Auer antrifft." Zudem verhinderten die Anforderungen der Dult eine mögliche Umgestaltung des Platzes, kritisiert der 82-Jährige. Dabei könnte dieser durchaus mehr Grün und zusätzliche Bäume vertragen. "Und irgendwas für Kinder, zum Beispiel einen Brunnen, wie's ihn am Stachus gibt."

Zentrum und Freiraum zugleich: Pfarrer Michael Schlosser lässt nichts auf den Mariahilfplatz kommen. (Foto: Robert Haas)

Dieses vernichtende Urteil über den Mariahilfplatz will so gar nicht zu jenen Sätzen passen, die kurz darauf einen Steinwurf entfernt im Garten des Pfarrhauses fallen. Dort steht inmitten prächtigen Grüns auch ein uralter Birnbaum, der inzwischen gestützt werden muss und der Legende nach jener aus dem Volkslied "Drunt in der greana Au" sei, erzählt Pfarrer Michael Schlosser. Er sitzt an diesem sonnigen Mittag in Sichtweite des Birnbaums und neben Mesner Armin Ziegltrum sowie Elisabeth Nauerth, die er beide zum Gespräch über den Mariahilfplatz hinzugebeten hat. Nun überbieten sich die drei mit ihren Lobgesängen auf "einen der meistgenutzten Plätze Münchens", wie der Mesner betont. "Ich glaube, da kann der Königsplatz nicht mithalten."

Derweil erzählt Elisabeth Nauerth, die nur einige Straßenzüge entfernt wohnt, wie sie regelmäßig mit ihren Enkeln zum Spielen hierher kommt. "Die Kinder lieben das. So viel Platz hat man sonst nirgendwo", sagt sie. "Und das Beste daran ist, dass er jederzeit verfügbar ist." Entsprechend kritisch sieht Elisabeth Nauerth jegliche Überlegungen, den Platz umzugestalten oder für weitere Veranstaltungen zu öffnen. "Die Leute fahren im Urlaub nach Italien und schwärmen dann von der Piazza, wo das Leben pulsiert.

Freiheit oder Fadheit? Piazza oder Ödland? Die Meinungen sind unterschiedlich

Doch hier, wo man genau so einen Platz hat, will man das ändern. Ich verstehe das nicht." Geht es nach dem Trio im Pfarrgarten - und auch nach der Mehrheit seiner Gemeindemitglieder, versichert Michael Schlosser -, dann braucht es am Mariahilfplatz keinerlei Veränderungen. "Menschen jeden Alters nutzen diesen Platz auf unterschiedliche Weise", sagt der Pfarrer. "Er ist ein Zentrum und ein Freiraum, im wahrsten Sinne des Wortes."

Hier Freiheit, dort Fadheit. Hier Piazza, dort Ödland. Wer einen Mittwoch auf dem Mariahilfplatz verbringt, der bekommt beides vor Augen geführt. Denn am späten Nachmittag sieht man hier kaum noch Menschen verweilen, sondern höchstens über die Kiesfläche hasten. "Am Abend ist der Platz tot", sagt Max Brandl, 52, der seit 14 Jahren in der Au lebt. Er selbst komme allein samstagvormittags regelmäßig hierher, um auf dem Wochenmarkt einzukaufen und ein Stück Kuchen oder einen Baumstriezel zu essen. Ansonsten sei der Mariahilfplatz aber kein Treffpunkt für die Menschen der Au - "was schade ist, denn einen solchen Platz gibt es hier nicht", sagt Brandl. Sein Wunsch wäre ein kleiner Kiosk mit Cafébetrieb, idealerweise dort, wo aktuell der Parkplatz ist. "Das würde mir gefallen", sagt Max Brandl. "Und ich glaube, das würde auch angenommen."

Allein, dass ein Café-Betreiber dereinst tatsächlich seine Tische auf dem Mariahilfplatz aufstellen wird, das erscheint dann doch arg unwahrscheinlich. Zumindest vorerst müssen sich die Besucher daher mit den wenigen Sitzbänken begnügen - und mit jenen neuen Metallstühlen, auf denen Barbara Lackmann ihre Bratwurstsemmel inzwischen fertig gegessen hat. "Man könnte mehr aus diesem Platz machen", sagt sie noch. Dann nimmt sie ihre Einkaufstasche und geht hinüber zum Markt.

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