Mariah Carey in München:Früher war mehr Glamour

Mariah Carey in München: Mariah Carey bei ihrem ersten Auftritt in München nach 13 Jahren.

Mariah Carey bei ihrem ersten Auftritt in München nach 13 Jahren.

(Foto: Stefan M. Prager)

Mariah Carey trägt immer noch Glitzerbodys und kann so hoch singen, dass es beeindruckt und in den Ohren schmerzt. Doch beim Duett mit einer Toten wird klar: Es ist nur noch Restruhm übrig.

Konzertkritik von Johanna Bruckner

Die Klappsitze in der Münchner Olympiahalle sind mit einem groben beigen Stoff bezogen, der früher vielleicht mal gelb war. Oder auch nicht. Auf einer Videoleinwand werden die Acts der kommenden Monate angekündigt: Sarah Connor, DJ Bobo, Hans Zimmer. Am gegenüberliegenden Tribünenrand zwei Schriftzüge: "Bratwurst" und "Currywurst" in roten Leuchtlettern. "Kein Umfeld für eine amerikanische Diva", denkt man besorgt. Und: "Gott sei Dank versteht Mariah Carey kein Deutsch, nicht dass sie die Wurstwerbung noch als beleidigende Anspielung auf ihre Person missversteht!"

Es ist viel Zeit an diesem Donnerstagabend, um über solche Dinge nachzudenken, denn der US-Star lässt auf sich warten, auch beim ersten Konzert in München nach 13 Jahren. Natürlich, das ist schon fast Ehrensache. Erst als knapp zwei Stunden nach dem angekündigten Beginn die vereinzelten Pfiffe zu einem raumfüllenden, gellenden Ton anschwellen, verdunkelt sich die Halle. Die ist im Übrigen gerade einmal zur Hälfte gefüllt, ein schwarzer Vorhang soll die vielen freien Plätze verschwinden lassen. Würde sich Mariah Carey über so profane Dinge wie textile Hallentrenner Gedanken machen - sie wüsste diese Bemühung bestimmt zu schätzen. Schließlich lebt die 46-Jährige längst selbst in einer Parallelrealität, in der es nie später als 1999 wird.

Aus gutem Grund. Denn später, zum Beispiel 2016, könnte es grotesk anmuten, wenn sich eine Sängerin von sechs jungen Männern in blauen Glitzerjacken auf einer Sänfte hereintragen lässt. Aber das ist die Mariah-Zeit. "Sweet, sweet fantasy, baby", singt die auf den Bühnenboden Hinuntergestiegene. Mehr Boden braucht eine Mariah Carey nicht. Dafür Glitzer, ganz viel Glitzer.

Den Anfang macht ein weißer Glitzerbody, die Beine stecken in einer blickdichten Nylonstrumphose, und ja, kurz ist da die Assoziation zu kräftigen, fliegenden Funkemariebeinchen. Aber das ist die Mariah. "Touch my body, put me on the floor", haucht sie kurz darauf ins Mikrofon. Von männlicher Begierde zu Boden gedrückt werden - das geht auch noch in Ordnung.

In der Echtzeit-Popwelt ist Carey mittlerweile ein Anachronismus. Die Frau für sterbensschöne Balladen heißt heute Adele und zwängt ihre Kurven nicht in Badeanzug-ähnliche Bühnenoutfits, sondern trägt Molly-Mode. Und vom Bubblegum-Lalala-Liedchen bis zum R'n'B-Kracher ist Popmusik heute politisch. Siehe Taylor Swift, siehe Rihanna. Carey funktioniert seit jeher ohne Botschaft, nur über ihre Stimme. Sie tourt auch jetzt ohne ein neues Album durch die Welt, lebt von ihren alten Hits. "No fa-ha-halling tonight", trällert sie, nicht hinfallen, und schiebt mit dem Absatzschuh einen Glitzerstein beiseite, der sich von einem der Outfits gelöst hat. Ausrutscher, Schwächen, schnödes Menschsein - das ist für andere.

Ihre Stimme kann Carey immer noch in Höhen drücken, die einen zwischen Bewunderung und Ohrenschmerz schwanken lassen. Fünf Oktaven sind nach wie vor kein Problem. Als sie einen ihrer größten Hits singt, "Hero" aus dem Jahr 1993, ist außer ihr niemand zu hören in der Halle. Für solche Momente haben die Zuschauer um die 100 Euro für eine Karte gezahlt. Das Diventum ist im Preis inbegriffen: Selbst wenn Carey einen Schluck Wasser - aus einem Glas mit Strohhalm - nimmt, ist das nicht simple Bedürfnisbefriedigung, es ist eine Inszenierung.

Der Bann der Scheinwelt hält allerdings nur, solange ihre Herrscherin selbst auf der Bühne ist. Mehrere Kostümwechsel vollzieht Carey an diesem Abend, auf den weißen Glitzerbody folgen: ein rosenfarbenes Glitzerabendkleid, ein schwarzer Glitzerbody mit Schleppe, eine elfenbeinfarbene Glitzerrobe, und vermutlich noch einige verwechselbare Glitzer-Outfits mehr. Diese Zwangspausen überbrücken vor allem die Tänzer, die mal an eine mittelgute Boyband, mal an eine Man-Strip-Gruppe erinnern.

Der traurigste Moment des Abends: im Duett mit Whitney Houston

Aber auch das Bühnenbild macht es schwer, die Illusion aufrechtzuerhalten. In Videoprojektionen sind immer wieder Ausschnitte alter Musikvideos zu sehen: Carey im bauchfreien Top, Carey in ultrakurzen Hotpants, Carey, wie sie leichtbekleidet mit vollem Körpereinsatz ein Auto wäscht. Heute lässt sie sich selbst beim Herabsteigen der wenigen Bühnenstufen assistieren. Die "Sweet Sweet Fantasy"-Tour ist genau das: eine Fantasie, eine Sehnsucht. Was wäre, wenn meine große Zeit nie zu Ende gegangen wäre?

An einer Stelle steht Carey alleine auf der Bühne und singt ein Duett mit der verstorbenen Whitney Houston. Deren Stimme kommt vom Band, im Hintergrund läuft das gemeinsame Video zu "When You Believe". Es ist der traurigste Moment des Abends. Wegen Carey, nicht wegen Houston. Ganz zum Schluss ist es dann vorbei mit dem So-tun-als-ob. "I can't live, if living is without you", schmettert Carey in den Saalhimmel. Man glaubt es ihr sofort.

Eine Zugabe gibt es nicht, natürlich nicht. Wer würde sich schon trauen, die einzufordern von der Diva? Wer wollte sie schon wirklich? Nicht mal fünf Minuten nach Konzertende beginnen Männer mit Schutzhelmen und orangefarbenen Warnwesten, die Bühne abzubauen.

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