Schüchtern steht Maria Moling schon auf der Bühne und hört zu, wie der Gastgeber des Abends sie wortreich ankündigt. Er ist Don Marco, selbst ein Bandboss. Er ist der selbsterschaffene Sheriff einer Münchner Szene, die er monatlich zu der literarisch-rockistischen Revue „Lost in Music“ im Club Live/Evil versammelt. Dass Maria Moling einmal dabei sein würde, ist zwangsläufig. War und ist sie doch in ein Dutzend Bands verwickelt, die Don Marco nun aufzählt: Principess, Van Damme 38, Max Prosa, Angela Aux, Aloa Input, Nitsch, Me & Marie ... „So ist das eben, wenn man überall hinausgeschmissen wird“, sagt die Sängerin mit der Gitarre im Anschlag. Sie grinst. Mit einer pointierten Bemerkung hat sie die Bühnenhoheit sanft übernommen und kann loslegen.
Dabei hat sie freilich geflunkert. Tatsächlich ist die 41-Jährige aktuell in so vielen Konstellationen aktiv wie kaum eine andere Musikerin oder ein anderer Musiker der Stadt. Warum ihr das noch nicht reicht und warum sie nun endlich nach zwei Dutzend Jahren im Geschäft ihr Solo-Debüt als Maria de Val (der Mädchenname ihre Großmutter) ankurbelt, darüber will man mit ihr reden. Treffpunkt für das Interview ist ihr Musikzimmer im Parterre-Appartement in einer katzenfreundlichen Gartensiedlung in München-Sendling, das sie mit Instrumenten vollgestellt hat: diverse Gitarren sind griffbereit, ein Klavier, Bässe, ein Schlagzeug, ein Theremin, Effektgeräte, Synthesizer, Hackbrett, Zither und mehr. Alles sieht aus, wie gerade benutzt, und zeugt davon, dass Moling auch ohne Mitmusiker auskäme.
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„Ich bin nicht so kompromissbereit, gerade wenn es um die Musik geht“, sagt sie. Damit umschreibt sie elegant, warum sie vor acht Jahren bei den Ganes gekündigt hat, als der Erfolg ein Selbstläufer war. „Irgendwo war die Grenze, wo es für mich nicht mehr spannend war.“ Mit ihren beiden Cousinen Elisabeth und Marlene Schuen hatte sie damals einen Verkaufsschlager erschaffen: Pop auf Ladinisch, der geheimnisvollen Sprache ihrer Heimat am Fuß der Dolomiten. Es fing 2010 auf der Linz-Europa-Tournee von Hubert von Goisern an, der die drei für seine Band engagiert hatte. Im Bauch des Konzertschiffes sangen sie wie daheim ihre eigenen Lieder. Von Goiserns Münchner Manager Hage Hein hörte aufgeregt zu, er ermunterte die drei, baute sie auf und lotste sie in die großen, feinen Säle wie den Circus Krone. Musik in dieser märchen- und rätselhaften Sprache läuft seitdem bei uns im Radio. „Stimmt, in München muss man niemand mehr sagen, was Ladinisch ist“, sagt Maria Moling.

Trotzdem überließ sie einer anderen den Platz im Trio. Sie suchte was Neues, das mehr ihres war. Mit dem Engadiner Musiker und Radiomoderator Roland Scandella war sie zunächst ein Liebespaar und dann auch zwei Alben lang das von der Fachpresse gelobte Indie-Folk-Duo Me & Marie. Dann „ist der Kollege andere Wege gegangen“, sagt die Meisterin der ironischen Beziehungs-Status-Umschreibungen. Dass aus Trennungen etwas Positives bleiben kann, und sei es produktiver Zorn, beweist nun ihr Solo-Debütalbum „Mëda Medusa“.
Da gibt es das Stück „None Of Us Cannot Be Wrong“, eine Art schepser Bossa Nova. Schon das ist spannend, wie die gelernte Jazz-Schlagzeugerin (Studium in Klagenfurt abgebrochen im letzten Semester) den Grund-Rhythmus auf einer alten Drum-Machine laufen lässt, so „Pseudo-Latin“-mäßig, darüber klingen eine verstimmte Flöte und „Chöre, die einen nach unten ziehen“, trotzdem hat das etwas Warmes, Freundliches. Es geht der Sängerin gut in dem Stück, nach einer Trennung, und das ist ihre Botschaft: „Die Gesellschaft erwartet, dass man sich zurückzieht, sich gebrochen ganz von der Liebe abwendet“, erklärt sie, „das habe ich bewusst nicht gemacht und stattdessen ein Lied übers Verlieben gesungen. Das ist so eine Art Racheaktion.“ Maria Molings Rache ist süß – an wem, dazu schweigt sie.

Sie ist durchaus beziehungsfähig, auch musikalisch. Davon zeugt nicht nur ihr aktueller Partner, der Residenztheater-Schauspieler Simon Zagermann, mit dem es „gut passt“ und mit dem sie schon zu Corona-Zeiten im Theater-Kurzfilm „Der Bruch“ prima harmonierte. Überhaupt fühlt sie sich im Schauspielerumfeld wohl: Zuletzt hat sie für die Kammerspiele komponiert und live auf der Bühne gespielt, fürs Staatstheater Kassel hat sie Sound-Design ausgetüftelt, sich dafür extra in die Arbeit mit Synthesizern „reingenerdet“, was man nun wiederum atmosphärisch spannend beim Debütalbum hört. Und mit Residenz-Schauspieler Niklas Mitteregger und Franz Ferdinand-Aussteiger Nick McCarthy trommelt sie bei Nitsch. Da ist ein Sitzkonzert im Volkstheater quasi ein Heimspiel für die Präsentation des Albums (25. Februar).
Früher war München die Stadt, in der sie bei Tourpausen ihre Wäsche wusch. Seit der Pandemie habe sie sich aber „eingelebt“. Hier sind eigenwillige Leute, mit denen sie sonderbare Ideen verwirklichen kann. Mit Matilda Pfeiffer (Gesang, Bass, Cello) spielt sie (Drums, Gesang, Keys, Gitarre, Flügelhorn) als Van Damme 38 „Scientific-Slacker-Krautpop“ über aktuelle Themen aus der Wissenschaft; mit Principess (im Grunde der Me-&-Marie-Backingband) macht sie feministischen Italo-Pop.

Von München ist der Weg nicht weit zu Hubert von Goisern in Salzburg. Zwischen den beiden besteht eine fast schon schicksalhafte Verbindung. Sein Wegbereiter Hage Hein – der just beim Interview vorbeischaut, um sie zum Abendessen abzuholen – zitiert von Goisern: „Wenn du nicht mit auf die Bühne gegangen wärst, wäre es vorbei. Ohne dich mache ich es nicht mehr.“ Wenn Hein von Goiserns rechte Hand ist, dann ist Moling sein Ein-Frau-Orchester. Diese Abhängigkeit geht auf Corona zurück, als das Virus die Band des Alpin-Popstars auf genau zwei Musiker dezimiert hatte: Hubert & Maria. Sie zogen es durch, waren bei den ersten Tourkonzerten immerhin zu viert und brachten ein ausuferndes Programm zum Leben. Man kann sich als Laie nicht vorstellen, dass so etwas improvisiert so toll klappt. „Wichtig ist natürlich das Handwerkliche“, erklärt die Multiinstrumentalistin, „aber man darf auch das Zwischenmenschliche nicht unterschätzen: vertrauen, offen sein für alles, was passiert. Bands sind wie Beziehungen, ein Organismus. Deswegen spiele ich so gerne in Bands, um etwas herauszufinden.“

So habe sie nun auch die Maria-de-Val-Band zusammengesucht. „Es gibt viele sehr gute Musiker“, sagt sie, „aber mit wem habe ich Spaß, wenn es mal daneben geht? Man verbringt so viel Zeit zusammen.“ Zuerst machte sie in Sessions mit Nico Sierig und den Gastmusikern Florian „Angela Aux“ Kreier und Marcus Grassl im Münchner InOurHouse-Studio aus ihren Song-Skizzen ein Album; das bringt sie nun auf die Bühne im Trio mit der Bassistin Anna Emmersberger und mit Chris Costa, wie sie ein Ladiner und Multiinstrumentalist, der schon mit Eros Ramazzotti tourte.
Aber, das muss man einmal festhalten: Bei „Mëda Medusa“ geht es erstmals um sie. Die Lieder gibt es schon länger, Resultat vieler Brüche, vieler Dramen. „Ich bin ja nicht so der zielorientierte Mensch, ich schreibe manchmal Songs, die liegen dann herum. Aber das darf ich diesen Liedern nicht antun, ich muss sie befreien“, sagt sie. Das Album ist ein Akt der Selbstbefreiung. In „Invisible Girl“ geht es natürlich auch um sie in der zweiten Reihe des noch immer männerbeherrschten Rockgeschäfts. Aber es geht auch um übersehene Frauen überhaupt, wie ihre Mutter, eine Bergbäuerin, die sieben Kinder großgezogen hat. Mëda heißt Tante, das sei eine tolle Familienrolle, erklärt sie. „Und Medusa mochte ich als Figur im Sinne von jemand, der ein furchtbares Schicksal hat und daraus Kraft, Macht und Schutz schöpft … das steht irgendwie für weibliche Kraft.“

Diese Befreiung beginnt auf dem Album mit einem verstimmten Klavier, daraus entwickelt sich ein leiser Song „Keep Coming Back“, der beim ersten Hören fast ein wenig eintönig erscheint, fast Harakiri für einen LP-Opener. Er zwingt einen aber mit sehr direktem Sound, ihn wieder und wieder zu hören, die feinen Stimmungsschwankungen in den Vers-Schleifen zu entdecken. Es geht um einen Trennungsprozess. „Wie oft muss man wieder zurückkommen, um wirklich rauszukommen“, erklärt sie, und fragt: „Wie heißt das, was die Tiere machen, die mehrere Mägen haben?“ Wiederkäuen!
Sie kokettiert mit den Sprachen: Englisch, Deutsch, Italienisch und Ladinisch. „Sprache kann einen zusammenbringen, auseinander oder durcheinander“, sagt sie einmal beim Test-Konzert im Live/Evil. „Ich spreche alle Sprachen schlecht, das ist wie bei den Instrumenten“, zitiert sie Munich-Disco-König Giorgio Moroder, „auch ein Ladiner“.
Das „dazwischen“ macht es so charmant, musikalisch zwischen Seventies-Rock, Nick-Drake-Folk, Eighties-Synthie-Pop, italienischem Volkslied, orthodoxen Kirchengesängen und Songwriter-Solitären wie Feist und Rodrigo Amarante. Und auch sprachlich: In „Tomb Without A View“ singt sie so englisch wie witzig über die Grenzen des Selbstmitleids; in „Ciao Ciao Bella Ciao“ mixt sie Italienisch mit Deutsch („Im Mai ist’s schön, wenn die Kanonen glühen.“); am intimsten wird sie auf Ladinisch: „Nia tüa“ heißt übersetzt „nicht deins“, es handelt von „Macht und Kontrolle in Beziehungen“, vom inneren Zerrissensein, von der Suche nach Freiheit und Selbstwert. Es ist das Schlüsselstück auf der Platte, in der sie sich als Suchende gefunden hat.
Maria de Val, weitere Tourtermine: 8. März Crailsheim, 12. März Ingolstadt (Fem Festival), 13. März Bayerisch Zell, 18. März Passau, 19. März Helmbrechts, 20. März Memmingen