Maria Callas und andere Diven:Viva la Diva!

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Sie gilt als Prototyp der "Diva assoluta": Maria Callas, hier in der Rolle der "Medea" von Cherubini 1959 am Royal Opera House in London. Aber was ist es, was sie zur Göttin macht? (Foto: imago stock&people/imago/ZUMA/Keystone)

Mit Kunst, Filmen, viel Expertenwissen – und sogar spiritistischen Sitzungen – versucht die Pasinger Fabrik hinter das Geheimnis der unvergleichlichen Maria Callas und anderer Göttinnen zu kommen. Ein reines Vergnügen.

Von Jutta Czeguhn

Der „Stimmenpapst“ Jürgen Kesting stellt in seinem Standardwerk „Maria Callas“ gleich im ersten Satz die entscheidende Frage: „Könnte es sein, dass es die unvollkommene Schönheit ist, welche sich als vollkommenste erweist?“ Denn die Kategorie „Schönheit“, sie ist nahezu falsch für diese Ausnahmestimme, für diese Frau. Maria Callas, deren 100. Geburtstag alle Welt im Dezember vergangenen Jahres gefeiert hat, gilt als Diva assoluta. Wie keine andere trieb sie ihr Organ über beinahe drei Oktaven, berauschend in der Ausdruckstiefe, kompromisslos, furchtlos, zuweilen schneidend hässlich. Mit 35 Jahren war dann die Stimme schon ruiniert, mit 53 starb die Callas an einem Herzinfarkt. Und doch hat keine andere Opernsängerin neben ihr Bestand. Ihr Leben, ihre Lieben, riesige Tabloid-Dramen. Niemand hat es treffender formuliert als Ingeborg Bachmann, als sie über die Callas sagte, sie habe Rollen nicht gesungen, sondern auf der Rasierklinge gelebt. Eine Ausstellung in der Pasinger Fabrik nähert sich nun dem Phänomen Callas auf dem Weg der künstlerischen Einkreisung, vielleicht ist es sogar eine Umarmung. „Diva – Aufstieg, Glanz und Fall“ ist dort bis zum 11. August zu sehen. Empfehlenswert nicht nur für Callas-Enthusiasten, für die jedoch ein Muss.

Das Streben der Callas nach Verwandlung thematisiert Sula Zimmerberger in ihrem Video "Metamorphosis" (Videostill 2024). (Foto: Sula Zimmerberger)

Mitglieder der Künstlerhausvereinigung Wien und weitere Gäste erkunden den riesigen Resonanzraum, den Maria Callas aufgestoßen hat, ihren Einfluss auf Popkultur, Mode, auf den Narzissmus der digitalen Moderne. Die Schau, klug konzipiert von den Kuratoren Augusta Laar und Stefan-Maria Mittendorf, beginnt im Lichthof der Fabrik mit dem Callas-Topos schlechthin, ihrer Verwandlung, Selbsterfindung. Kompromisslos auch hier, hungerte sie sich Anfang der Fünfzigerjahre von 90 auf 55 Kilos herunter. Im Zeitraffer baut sich in Sula Zimmerbergers wandbreitem Video „Metamorphose“ Cecil Beatons ikonische Callas-Fotografie auf: der wie mit dem Lineal gezogene Mittelscheitel, die betonten Augenbrauen, der dicke Eyeliner, voluminöse Lippen, die Hände umfloren das Gesicht wie Blütenblätter. Man denkt an die Performancekünstlerin Marina Abramović, die sich, reichlich eitel, in dieser Pose inszenieren ließ. Allerdings erinnert die Frau im Video eher an die überirdisch schöne Monica Bellucci, die ebenfalls schon in die Rolle der Callas geschlüpft ist.

Hat die Callas den Narzissmuss der digitalen Moderne vorweggenommen. Eine Frage, die Dörthe Bäumer in ihrer Collage "Eine Heimat und einen Himmel haben" (2024) beschäftigt. (Foto: Dörthe Bäumer)

Oben in den Galerieräumen taucht dieses Motiv der Distanz schaffenden Selbstumarmung erneut auf. „Self Embrace“ nennen Moritz Altmann und Ergül Cengiz ihre Keramik, die einem erst wie ein unförmiger Klumpen vorkommt. Dann entdeckt man ein Gewirr ineinander verkeilter Hände und Arme und erinnert diese Geste: der legendäre Auftritt der Callas 1958 in der Pariser Oper, ein Staatsereignis damals, live übertragen. Eine Stola schützend um den erschreckend fragilen Körper geschlungen, singt die Callas „Casta Diva“ aus der Oper „Norma“. Über 90 Mal hat sie in dieser Rolle auf den Bühnen der Welt gestanden, Momente des größten Triumphs – und tiefster Schmach. Als sie 2. Januar 1958 in Rom die Norma-Vorstellung schwer erkältet abbrechen muss, wird daraus ein internationaler Skandal, denn der Staatspräsident ist anwesend. Sie erhält Morddrohungen, Claqueure spucken ihr vor die Füße. Ruscha Voormann hat für ihre Arbeit die Tonsequenz von der Casta-Diva-Arie analysiert und daraus ein visuelles Klangerlebnis kreiert.

Über Maria Callas Meisterklassen an der Juilliard School in New York gibt es sogar ein Theaterstück, Augusta Laar erzählt davon in ihrer Installation "Barbie-Maria Masterclass". (Foto: Augusta Laar)

Die Liebesbedürftigkeit der Callas, ihre Einsamkeit ist Thema bei Ursula Neugebauer. In ihrer Klanginstallation hat sie hunderte goldfarbener Wachsperlen auf dem Boden verteilt, Symbol für das haltlose emotionale Fundament der Künstlerin. Dazu wird ein Sampling aus Callas-Partien eingespielt, unter anderem singt sie das verzweifelte „Amami, Alfredo!“ der sterbenden Violetta aus „La Traviata“. „Liebe mich, Alfredo!“

Sehr geliebt hat die Callas bekanntlich ihre Pudel. Waren die Hunde für sie nur Modeaccessoires? Oder nach all ihren Beziehungskatastrophen treue Gefährten? Ein interessanter, plüschiger Kommentar kommt dazu in der Ausstellung von Sabine Groschup. Auch die notorische Kurzsichtigkeit der Diva, die so weit ging, dass sie zu Hause Bühnenbilder nachbaute und ihre Wege übte, wird aufgegriffen in einer Stickerei-Arbeit von Claudia-Maria Luenig.

Die Schau schlägt einen weiten Bogen – die Callas als Barbie-Puppe, eine Installation aus Plattenalben, ein aufblasbarer Riesenhase und dann auch noch das: ein Selfie-Hotspot, von Annette Hempfling wie eine überbordende Operngarderobe ausstaffiert. In dieser Installation „Create your own Diva“ können sich Ausstellungsgäste, perfekt ausgeleuchtet, in Diva-Manier ablichten. Posing für die Social-Media-Posts.

Definiere Diva!

Die Annäherung an das Göttliche, man weiß es, kann nur ein Akt kreativen Scheiterns sein. Ein Umstand, der von den Kuratoren des Rahmenprogramms, Stefan-Maria Mittendorf, Andrea Kindt und Annette Hempfling, stets mitgedacht ist. Es macht Freude, sich auf ihre Angebote einzulassen.

Für die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen ist auch er eine Diva: Elvis Presley, hier als US-Soldat 1960 in Bad Nauheim. (Foto: LINDLAR/AP)

Eine, die sich hervorragend mit Diven auskennt, ist beispielsweise die Kulturwissenschaftlerin Elisabeth Bronfen. Zusammen mit Barbara Strautmann hat sie das Buch „Diva: Eine Geschichte der Bewunderung“ herausgebracht. Für Bronfen, gebürtige Münchnerin, die heute als emeritierte Professorin in Zürich lebt, ist eine Diva eine „Störung im Star System“. Sie operiert an den Grenzen, ist eine, die das Leben nicht schwänzt, alles auf eine Karte setzt. Dieses Fragile, Gefährdete, dem zumeist übermenschliche Tragik anhaftet, spüren ihre Bewunderer. Wohl auch deshalb sind sie bereit, der Diva alles zu verzeihen, ihre Launen, selbst den tiefsten Fall. Elisabeth Bronfen diskutiert ihr Diven-Konzept am Freitag, 21. Juni, (20 Uhr) bei einem Podium im Gespräch mit dem Psychoanalytiker und Paartherapeuten Wolfgang Schmidbauer.

Die Münchner Schriftstellerin Eva Gesine Baur, die auch unter dem Namen Lea Singer veröffentlicht. (Foto: Irene Zandel)

Zu den Publikationen, die 2023 zum 100. Geburtstag der Diva auf den Markt kamen, gehört auch „Maria Callas – Die Stimme der Leidenschaft“ von Eva Gesine Baur. Wozu noch ein Buch über dieses längst auserzählte Leben? Baur hatte lange nach einem neuen, für sie selbst zu rechtfertigenden Grund gesucht und dann einen Satz von Pier Paolo Pasolini gefunden, der ihr den Zugang zu Unbekanntem eröffnete: „Sie ist ... in gewisser Hinsicht die modernste aller Frauen, aber in ihr lebt eine Frau der Antike, fremdartig, geheimnisvoll und magisch, was furchtbare innere Konflikte in ihr auslöst.“ Am Donnerstag, 4. Juli, 20 Uhr, stellt sie das Buch in der Fabrik vor.

Ein Star ist noch lange keine Diva, das ist die These, die der Musiker, Historiker und Performer Kalle Aldis Laar vertritt und am Dienstag, 30. Juli, (20 Uhr) in einer Lecture erläutert. Bild- und Tonbeispiele beleuchten viele Aspekte des „Divatums“ in Vergangenheit und Gegenwart. Auch Filme sind dabei.

Marlene Dietrich kocht Suppe

Diva mit Haltung: Marlene Dietrich, hier um das Jahr 1933 in Hollywood, hatte sich konsequent gegen Nazi-Deutschland positioniert. (Foto: HA/imago/Cinema Publishers Collecti)

Diven untereinander? Gewiss mörderische Konkurrenz? Nicht immer. Von Marlene Dietrich ist bekannt, dass sie der Callas selbst gekochte Suppe gegen das Lampenfieber in die Garderobe der Met brachte. Und sie, die Film-Diva? „Mich selber da angucken, nein, nein, wirklich. Schauen Sie mal, also mit dem ,Blauen Engel‘, ich meine, der kommt einem doch zum Halse raus, nicht? Ich kann es ja schon gar nicht mehr hören, hm? ,Ich bin von Kopf bis Fuß‘, ich meine wirklich, lächerlich.“ Es müssen aufreibende acht Aufnahmetage gewesen sein für Maximilian Schell, als er Anfang der Achtzigerjahre die greise Marlene Dietrich in ihrer Pariser Wohnung interviewte. In der Filmdoku „Marlene“ (1984), die für einen Oscar nominiert war, hört man später nur ihre Stimme, das hatte sie sich ausbedungen. Die beiden kannten sich von den Dreharbeiten zu „Das Urteil von Nürnberg“ (1961), und doch knirscht es da gewaltig. Die „Los Angeles Times“ brachte es auf den Punkt in ihrer Kritik zum US-Filmstart: „Auf einer ergreifenderen Ebene stellt ,Marlene‘ unweigerlich das ewige Bild von Glamour und Verlockung und die sehr reale Sterblichkeit des Individuums gegenüber, das es geschaffen hat.“ Die Fabrik zeigt „Marlene“ am Dienstag, 16. Juli, 20.30 Uhr.

„Liebstes Hildekind“ adressierte Marlene Dietrich (rechts) ihre Briefe an Hildegard Knef (links), dieses Foto zeigt die beiden bei Marlenes Ankunft in Berlin am 30. April 1960. (Foto: Konrad Giehr/DPA)

Eine, der Marlene Dietrichs Wohnung in der Avenue de Montaigne in den späten Jahren verschlossen blieb, war Hildegard Knef. Obwohl die beiden Berlinerinnen eine Freundschaft pflegten, die begonnen hatte, als die Knef am Broadway in New York zum Weltstar wurde. Auch sie wurde von der Dietrich bekocht, und „liebstes Hildekind“ genannt. Ikonisch, das Foto, als die Stars sich 1960 am Flughafen in Berlin begrüßen. Hildegard Knef (1925–2002) selbst gilt als eine der letzten großen deutschen Diven. Auch sie wurde in Deutschland geschmäht wie kultisch verehrt. Schlicht „Hilde“ heißt Kai Wessels Film von 2009 über ihr bewegtes Leben. Mit Heike Makatsch in der Titelrolle. Zu sehen am Dienstag, 6. August, 20.30 Uhr.

Wie ein „ein funkelnder Saphir“: Arndt von Bohlen und Halbach, Sohn von Alfried Krupp und der letzte Vertreter der mächtigen Dynastie, mit seiner Frau Henriette 1974 in Marrakesch. (Foto: Horst Ossinger/dpa)

Männliche Diven, es gibt sie natürlich. Die Fabrik-Kuratoren lassen hier keine Leerstellen und wollen an einen womöglich Vergessenen erinnern: Arndt von Bohlen und Halbach (1938–1986). Der einzige Sohn von Alfried Krupp erlangt so etwas wie Berühmtheit, als er 1966 von Berthold Beitz, dem Generalbevollmächtigten des Vaters, zum Erbverzicht überredet wird. Es geht um mehrere Milliarden D-Mark, die so in eine Stiftung überführt werden können. Für die bundesrepublikanische Presse ist Bohlen fortan ein apanagierter Lebemann, Playboy mit fragwürdiger sexueller Orientierung. Oder, wie es Boulevard-Journalist Michael Graeter in André Schäfers großartigem Doku-Drama „Herr von Bohlen“ (2011) formuliert: „ein funkelnder Saphir“ in der grauen Krupp-Dynastie (2011). Zu sehen am Dienstag, 2. Juli, 20.30 Uhr, der Regisseur ist anwesend.

Marias Geist

Wer sich trotz dieser famosen Schau samt Beiprogramm all den Diven und Maria Callas im Besonderen kein Stück näher fühlt, der nimmt am besten direkten Kontakt auf: in einer Séance mit Maria Callas. Künstlerin Birthe Blauth hat in der Fabrik für spiritistische Sitzungen einen speziellen Raum eingerichtet. Also, Handflächen auf den Tisch. Maria? Bist du hier irgendwo? Maria?

„Diva assoluta Maria Callas“, Ausstellung und Rahmenprogramm, bis 11. August, Pasinger Fabrik, August-Exter-Straße 1, www.pasinger-fabrik.de

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