Manipulationen an Münchner Klinikum:Organversagen

Das Rechts der Isar bekommt in dem Bericht der Prüfer ein vernichtendes Urteil ausgestellt.

Das Klinikum rechts der Isar wird von einer Affäre um Manipulationen bei Transplantationen erschüttert. Jetzt wenden sich Ärzte an die Öffentlichkeit.

(Foto: Lukas Barth/dpa)

Falsche Laborwerte, Alkoholiker auf der Warteliste: Das Ausmaß der Unregelmäßigkeiten im Transplantationszentrum am Rechts der Isar ist größer als bisher bekannt. Bei den Ärzten wächst der Unmut über die schleppende Aufklärung der Klinikleitung.

Von Christina Berndt

Die Ärzte auf der Station für die Leberkranken wunderten sich. Gerade hatte das Labor des Klinikums rechts der Isar aufgeregt angerufen: Zwei Patienten hätten extrem viel Kreatinin und auch bedrohlich viel Kalium im Blut. Doch den Patienten war an jenem Freitag im Januar 2010 gar kein Blut abgenommen worden. Hier stimmte etwas nicht.

Bald fiel den Ärzten ein, dass der zuständige Chirurg sich vor kurzem Etiketten für eben diese beiden Kranken geholt hatte, wie sie im Klinikum üblicherweise auf alle Proben und Akten von Patienten geklebt werden. Vielleicht hatte er Blutproben anderer Kranker versehentlich damit beklebt? Die Internisten wiesen den Chirurgen auf die offenkundig falschen Laborwerte hin; diese wurden aus den Klinikcomputern gelöscht. So haben es fünf Internisten übereinstimmend in Erinnerungsprotokollen notiert, die der SZ vorliegen.

Nur: Die Werte waren, ohne dass die Internisten das wussten, längst an die Organ-Vermittlungsstelle Eurotransplant gemeldet worden. Weil die Patienten wegen der dramatischen Blutwerte so krank schienen, bot ihnen Eurotransplant wenig später eine Spenderleber an. In einem Fall wurde das Organ auch transplantiert. Die zweite Organspende wurde verhindert, als die Internisten feststellten, weshalb es zu dem Angebot gekommen war. "Das System der Organvergabe ist in vielen Punkten fragwürdig", sagt ein Insider der SZ. "Aber vom Betrügen wird es nicht besser."

Von einer Verwechslung von Blutproben ist in diesen beiden Fällen (und in einem weiteren aus dem Jahr 2009 nach ähnlichem Muster) wohl nicht auszugehen. Denn am Rechts der Isar gab es zu dieser Zeit keinen Patienten, der so viel Kreatinin und Kalium im Blut hatte. Zudem deutet der steile Anstieg beider Werte darauf hin, dass jemand Urin ins Blut gemischt hat.

Wer das gewesen sein könnte, ist bis heute Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen. Der zuständige Chirurg, der inzwischen an einem anderen Krankenhaus arbeitet, "verwahrt sich gegen die Zuschreibung von Manipulationen", wie sein Anwalt der SZ auf Anfrage mitteilt. Offenbar versuche man am Rechts der Isar, "die Verantwortung außerhalb der Klinik festzumachen". Die Taktik sei "offensichtlich erfolgreich", so der Anwalt weiter, "denn ernsthafte Konsequenzen innerhalb der Klinik hat es nicht gegeben".

"Man sieht die Leute sterben"

Eben das monieren zunehmend auch Ärzte aus dem Rechts der Isar. Zwar hat das dortige Transplantationszentrum eine neue Struktur und einen kommissarischen Leiter bekommen. Die früher für die Transplantationen Verantwortlichen haben aber weiter Führungspositionen inne. An den anderen drei vom Transplantationsskandal betroffenen Unikliniken hat es dagegen Beurlaubungen gegeben. Das Problem sei, dass am Rechts der Isar die obere Führungsebene selbst in die Geschehnisse involviert sei, weil sie Hinweisen auf die Manipulationen nicht nachgegangen sei, heißt es aus Klinikkreisen. Das Klinikum äußerte sich auf Anfrage nicht. Über personelle Konsequenzen werde erst nach Abschluss der Untersuchungen nachgedacht.

Richtig ist, dass die für die Transplantationen Verantwortlichen schon Anfang 2010 von den Internisten auf die gepanschten Blutproben aufmerksam gemacht wurden. Der Aufklärungswille aber schien sich in Grenzen zu halten. Der Ärztliche Direktor Reiner Gradinger ließ sich die Protokolle nicht einmal zeigen und teilte wenig später mit: "Ein Fehlverhalten ist meines Erachtens ausgeschlossen." Diese Einschätzung musste er inzwischen revidieren.

Der Streit darum, wer was wann wusste und hätte wissen können, hat derweil das Verwaltungsgericht erreicht. Der Chef der Internisten klagt auf Rehabilitation durch das Klinikum. Ihm wurde zwischenzeitlich vorgeworfen, er habe die Protokolle mit den Hinweisen auf Manipulationen weggeschlossen. Nun verlangt er, die Öffentlichkeit darüber aufzuklären, dass er die Vorlage der Protokolle angeboten hat und diese nicht erst mit der Rückkehr eines Oberarztes aus dem Urlaub auftauchten.

Seit dem ersten Manipulationsverdacht sind durch interne und externe Prüfungen zahlreiche weitere Verstöße gegen die Transplantationsregeln aufgedeckt worden. Insgesamt handelt es sich um knapp 30 Fälle. Zudem musste im August die Warteliste bereinigt werden: Auch hier stimmten rund 30 Angaben über Krankheitsstatus und Laborwerte der 79 Patienten nicht.

Unter den bereits Transplantierten waren elf Alkoholkranke, die auf die Warteliste gesetzt worden waren, obwohl sie noch nicht die geforderten sechs Monate trocken waren. Weiterhin geht es um fälschlicherweise angegebene Dialysen, die die Transplantation dringlicher erscheinen ließen, aber auch um Patienten mit Leberzirrhose, die als "hochdringlich" gemeldet wurden, obwohl sie die dafür notwendigen Kriterien womöglich nicht erfüllten. Zudem wurden Krebspatienten transplantiert, bei denen sich bereits Metastasen gebildet hatten, oder schlicht falsche Krankheiten angegeben, die eine Organ-Zuteilung wahrscheinlicher machten.

Dass für diese regelwidrigen Maßnahmen Geld an Ärzte geflossen ist, gilt als unwahrscheinlich. Vermutlich wollten die Ärzte ihren Patienten nur helfen - manch einer wollte vielleicht auch die Transplantationszahlen steigern. Viele Transplantations-Richtlinien seien dringend überarbeitungsbedürftig, heißt es aus Klinikkreisen. So seien die gelisteten Alkoholiker so krank gewesen, dass sie die sechs Monate Karenzzeit gar nicht mehr erlebt hätten. "Das ist alles emotional sehr anstrengend", sagt ein Arzt. "Man sieht die Leute sterben." Der Jurist Hans Lilie, der für die Prüfungskommission bei der Bundesärztekammer spricht, will das so nicht stehen lassen. Jeder einzelne Richtlinienverstoß sei ein Skandal, betont er. Die Ärztekammer werde die Richtlinien einer Prüfung unterziehen. Dennoch dürfe sich kein Arzt einfach darüber hinwegsetzen - "auch nicht im Ausnahmefall". Sonst leiden andere Patienten länger oder sterben sogar.

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