Mangel an Erziehern in München:Niemand spielt mit mir

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Keine Erzieherinnen: Die Arbeitgeber bewerben sich bei den Erziehern (Foto: dpa)

Schlecht bezahlt, anstrengende Aufgabe, niedriges Sozialprestige: Überall in München entstehen neue Kindertagesstätten, doch Erzieher werden händeringend gesucht. Manche Krippen bieten den Bewerbern nun sogar übertarifliche Gehälter.

Von Katja Riedel

Selten gibt es Themen, bei denen sich alle so einig sind wie bei diesem, dem Erziehermangel:

"Schwer haben's alle, der Markt ist leer gefegt. Wir als Arbeitgeber bewerben uns eigentlich bei den Erziehern", sagt Monika Niedermayer, zuständig für Personalmarketing der mehr als 400 städtischen Kitas in München.

"Seit einem Jahr kommen keine Bewerber mehr. Früher hatten wir 50, 60 auf eine Annonce. Jetzt können wir uns über eine bis drei freuen", sagt die Unternehmerin Cecile Torrens-Horrak, die den Dachverband Bayerischer Träger für Kindertageseinrichtungen vertritt und damit die privaten Betreuungsfirmen.

"Ausgebildete Erzieherinnen sind fast schon nicht mehr unter den Bewerbern. Die meisten haben irgendwas im pädagogischen Bereich gemacht, viele im Ausland. Wir müssten auf Qualität achten. Das ist schwierig derzeit", sagt Gabriele Stegmann, die für 70 evangelische Einrichtungen von 60 Trägern spricht.

Das, was sie alle erleben, ist ein unerwünschter Nebeneffekt des Ausbaus der Betreuung für die ganz Kleinen. Seit der Bund 2007 beschlossen hat, dass alle Eltern vom 1. August 2013 an einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz haben sollen, sobald ihr Kind ein Jahr alt ist, wird gebaut, was das Zeug hält.

Dieser Rechtsanspruch wirkt wie ein Katalysator: Je mehr Mütter bald nach der Geburt wieder arbeiten, desto mehr löst sich das Klischee der Rabenmutter auf und desto deutlicher wird, dass sich die Gesellschaft schneller wandelt, als die Politik je gedacht hätte. Ganz besonders gilt dies für die Großstädte, und für keine so sehr wie für die teuersten Kommunen Deutschlands, für München und die Gemeinden im Umland.

So trudelt die Landeshauptstadt seit einigen Jahren sehenden Auges in eine Situation hinein, die an die Schildbürger erinnert. Während die ihr schönes neues Rathaus ohne Fenster bauten, steckt München mehr als eine Milliarde in den Ausbau von Krippen und Kinderhäusern. Wenn nicht vergessen, dann doch zu wenig beachtet hat die Stadt dabei jene, die in diesen schönen neuen Häusern arbeiten sollen. Denn trotz aller Mühe, mehr Erzieher auszubilden, wächst ihre Zahl viel langsamer als das räumliche Angebot und der Bedarf.

Schließen, um Kräfte zu sparen

Höchst unscharfe Prognosen der Stadt gehen davon aus, dass in den kommenden drei Jahren etwa 1500 Kräfte fehlen werden - etwa 1034 Erzieher und 443 Kinderpfleger. Zum 1. März waren in den städtischen Kindertagesstätten knapp fünf Prozent der Erzieherstellen nicht besetzt. Inzwischen hat das Bildungsreferat gar einen Krisenstab eingerichtet, der wöchentlich Notfallsituationen regelt. 370 Erzieher hat die Stadt in diesem Jahr eingestellt, 200 weitere könnte sie sofort gebrauchen, sagt Monika Niedermayer, die Leiterin der Kita-Abteilung.

Krankheitsfälle in einzelnen Einrichtungen könne man immer schlechter ausgleichen, auch nicht durch Hilfe zwischen benachbarten Einrichtungen - und Winterzeit ist Krankheitszeit, Krisenzeit. Zuletzt machte die Krippe am Sendlinger Kidlerplatz Schlagzeilen: Weil die Leiterin langfristig krank ist, musste die Krippe ihren Anstellungsschlüssel ändern, um Kräfte zu sparen. Zudem wurden die Öffnungszeiten am Morgen reduziert. In den Weihnachtsferien soll die Krippe ganz dichtmachen - auch damit die gestressten Mitarbeiter endlich einmal durchatmen können.

Ungewöhnlich sei dieser Fall nicht, sagt Niedermayer. Auch dass ganze Gruppen dichtmachen, kann die Stadt in ihren Krippen nicht ausschließen, als letzte Maßnahme. Nicht selten sind Eltern gezwungen, die gebuchten Betreuungszeiten herunterzufahren. Manche neue Krippen öffnen später, weil zwar der Bau fertig ist, das Team aber nicht vollständig. "Ich hatte auch schon Einrichtungen, die kurzfristig ganze Gruppen schließen mussten", sagt Stegmann von den Evangelischen Kindertagesstätten.

Verschärfend wirkt, dass nicht nur München und das Umland, sondern ganz Deutschland Krippen, Kindergärten und Horte baut, in der Stadt und auf dem Land, wo es noch vor zehn Jahren kaum Häuser für die ganz Kleinen gab. Die Ausbildungskapazitäten an den Fachakademien für Sozialpädagogik wurden deshalb inzwischen zwar erhöht. Doch allein an der städtischen in München sind derzeit 60 Ausbildungsplätze frei. 529 junge Leute werden dort aktuell ausgebildet, dem hiesigen Arbeitsmarkt werden später jedoch nicht alle von ihnen zur Verfügung stehen, weiß Ursula Oberhuber vom Referat für Bildung und Sport. Nicht nur, weil mancher an den harten Anforderungen scheitert oder später anderswo in Deutschland arbeiten möchte, wo das Leben und insbesondere Wohnen günstiger ist.

"Etliche springen auch ab, weil sich in diesem Alter die Lebensentwürfe ändern", sagt Oberhuber. Der Erzieherberuf gilt als mau bezahlter, anstrengender Job mit niedrigem Sozialprestige. "Es ist wichtig, die jungen Menschen nicht nur in den Beruf zu bringen, sondern auch zu halten", sagt Brigitte Beck von der Caritas-Akademie, in der Erzieher aus- und weitergebildet werden. Bei ihrer Klientel ist das vielleicht noch einfacher - sie sei in ihrem Berufswunsch wie in München fest verwurzelt, sagt Beck. "Bei mancher Schülerin war schon die Mutter bei uns." Sie hätten darum stabile Anmeldezahlen, "aber wir lehnen auch ab". Und die Studierenden sähen die Vorteile: "Sie haben den Berufsweg zwar nicht wegen des Fachkräftemangels eingeschlagen. Sie wissen aber, dass die Situation gut ist, weil sie sich Stellen aussuchen können."

Zu spüren bekommen dies die Arbeitgeber: Längst ist ein harter Wettbewerb entbrannt. Die Stadt, mit 400 Einrichtungen der größte kommunale Anbieter Deutschlands, will selbst keine neuen Kitas mehr eröffnen. Sie muss aber mindestens den Personalbestand halten, will langfristig gar der Qualität zuliebe erhöhen - und setzt dabei auf die Vielfalt, die ein großer Arbeitgeber bieten kann: auf interne Wechselmöglichkeiten und Aufstiegschancen.

Konsequent rekrutieren

Andererseits ist eine große Behörde weniger flexibel. "Man muss sehr schnell sein. Wer einen Job sucht, hat mehrere Bewerbungen laufen, viele gehen uns dabei verloren", sagt Niedermayer. "Man muss ein guter Dienstgeber sein", glaubt auch Stegmann von den Evangelischen Kindertagesstätten. Je größer die Einrichtung, desto professioneller und attraktiver für Bewerber. Besonders Pfarreien, die nur einen einzigen Kindergarten haben, tun sich auf dem umkämpften Markt schwer.

Darauf setzen auch die Privaten, die zuletzt aufgrund staatlicher Zuschüsse am stärksten expandiert haben. So auch Patrik Smague, der mit einem Partner die "Wichtelakademie" betreibt: Zehn Einrichtungen haben sie, drei davon richten sich an wohlhabendere Klientel, die übrigen setzen auf ein mittleres Preissegment. "Bis vor acht Wochen hatten wir trotz des Personalmangels sehr viele Bewerber", sagt Smague. Dann brach es auch bei ihm ein.

Zehn Jahre lang hat Smague zuvor als Personalberater gearbeitet, vor allem Führungskräfte rekrutiert. Ähnlich professionell stellt er nun Erzieher ein. "Konsequentes Rekrutieren, aber auch konsequentes Trennen", so charakterisiert er seine Personalführung. 1150 Bewerbungen habe er vergangenes Jahr erhalten, 344 zum Interview eingeladen, 170 hätten danach in den Einrichtungen hospitiert.

Nach diesem Casting stellte Smague mit den Leitern der Häuser - immerhin 110 Erzieher ein. Jetzt braucht er nur noch zwölf - hat aber weitere Ausbauprojekte aufgrund der Personalsituation erstmal auf Eis gelegt. Seine Wichtelakademie lockt mit einem übertariflichen Gehalt, einer privaten Altersvorsorge und einem MVV-Ticket. Zudem setzt der Chef darauf, den Mitarbeitern ein angenehmes Klima zu vermitteln. Zuletzt reiste er mit seinen Leiterinnen nach Berlin, ins Hotel Hyatt. Lernen, wie die Hotellerie Fünf-Sterne-Qualität erreicht.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Artikels hieß es, Monika Niedermayer sei Leiterin der mehr als 400 städtischen Kitas in München. Richtig ist: sie ist dort zuständig für Personalmarketing.

© SZ vom 14.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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