Unten, in der Schwemme, der großen Gasthalle des Hofbräuhauses, prangt ein Spruch über einem der größten Bögen, die die Decke tragen: „Durst ist schlimmer als Heimweh.“ Eine Botschaft, die ziemlich klar an die große Zahl der Gäste gerichtet ist, die es aus der Ferne ins Herz der Stadt zieht, ans Platzl, und dort in den vielbesungenen Biertempel, der dem Freistaat Bayern gehört.
Im Stockwerk darüber, im großen Saal, wurde am Mittwochabend wieder ein Schauspiel aufgeführt, das zu den Klassikern der Münchner Stadt- und der bayerischen Politikgesellschaft gehört: der rituelle Anstich eines Fasses Starkbier – genauer gesagt: dem ältesten Starkbier der Stadt, das in der staatlichen Hofbräu gebraut wird.
„Der Maibock ist die Krone des bayerischen Bieres – und Sie sind Zeitzeugen dieses Krönungsrituals“: Mit diesen Worten machte der bayerische Finanz- und Heimatminister Albert Füracker (CSU) den 600 Geladenen die Bedeutung des Augenblicks noch einmal deutlich. Anderswo mag derlei befremdlich klingen. Hier nicht.
In Bayern wird der Hang zum Majestätischen auf vielen Ebenen noch gerne gepflegt. Und eines war schon vorher deutlich zu vernehmen, auf den Treppenstufen, über die die Festgesellschaft der Veranstaltung entgegenschritt: Es war nicht der Durst, der die meisten hierher zog. Eher eine Sehnsucht nach etwas Heimeligkeit.
Der Maibock-Anstich steht stets in Konkurrenz zur anderen Starkbier-Krönungsmesse in der Landeshauptstadt: dem Derblecken auf dem Nockherberg, das die Paulaner-Brauerei ausrichtet. Doch so deutlich wie in diesem Jahr waren die Bezüge selten.
Dem Kabarettisten Maxi Schafroth war auf dem Nockherberg ein Fehler unterlaufen, den auch Braumeister fürchten: Ihm war zu viel Würze in den Sud geraten. Was er in seiner Festrede ausschenkte, schmeckte vielen nicht. Bloß kein zweiter Nockherberg! – das war die große Befürchtung, bevor es losging im Hofbräuhaus.
Am deutlichsten formulierte sie der Gastgeber, Albert Füracker: „Ich wünsche mir bei solchen Veranstaltungen keine Moralpredigten, sondern dass die Leute lachen“, sagte er vor der Kamera des Bayerischen Fernsehens, und bei seiner Begrüßung auf der Bühne schob er nach: „Werbende Auftritte für einzelne Politiker – das führt nicht automatisch zum Erfolg.“ Das habe man bei der Bundestagswahl ebenso gesehen wie „an einem Münchner Berg“. Damit war das sichere Terrain ziemlich genau abgesteckt.

Dass er sich selbst in diesem trittsicher bewegen kann, führte Füracker sodann auch gleich vor. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) war nicht da, über Instagram schickte er lediglich einen Gruß von den Koalitionsverhandlungen in Berlin, über die Füracker verriet, dass Essen bei diesen eine große Rolle spiele.
„Eines ist bereits durchgedrungen: Eine Vorschrift wird nicht kommen“, so Füracker: „Es wird keine Vorschrift eingeführt in Deutschland, dass Essen vor dem Verzehr zwingend fotografiert werde muss.“ Sein Chef, der Foodblogger Söder, sei in diesem Punkt wirklich tolerant und kompromissbereit.
Es war nicht die einzige treffend platzierte Spitze, die Füracker in den zehn Minuten am Rednerpult setzte. Der Ansturm auf den Anstich sei so enorm, dass er erwäge, im kommenden Jahr in die Allianz-Arena auszuweichen, so der Minister, auch wenn er ahne, dass das Event vielleicht doch nicht jedem gefalle, denn: „Diese Veranstaltung bleibt ungenderbar, meine Damen und Herren: der Maibock.“
Wie im vergangenen Jahr erntete der Heimatminister so viel Applaus für seine Ausführungen, die er stets erst Stunden vor dem Auftritt handschriftlich auf einige Zettel zusammenschreibt, dass der eigentlich engagierte Kabarettist um sein Alleinstellungsmerkmal fürchten musste. Doch Django Asül kam dafür gerüstet.
Ministerpräsident Markus Söder habe ihn angewiesen, den unterhaltsamen Teil Füracker zu überlassen („der kann das eh besser“) und dafür eine Art Rede zur Lage der Nation zu halten. Asül: „A bissl wie Frank-Walter Steinmeier, aber halt ohne Ritalin.“

CDU-Chef Friedrich Merz? „Rambo Zambo hat er angekündigt, nur um danach tagtäglich seine Messlatte immer weiter zu unterbieten, sprich: Aus dem Rambo-Merz ist längst der Limbo-Fritz geworden.“
Die Ministerambitionen von Dorothee Bär (CSU)? „Wer so forsch auftritt wie die Dorothee, der muss natürlich Forschungsministerin werden.“
Die Idee von Katharina Schulze, der Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Landtag, zu einem Freiheitsdienst? „Das haben einige völlig falsch verstanden. Ich selber wurde an meinem Stammtisch am Montag sogar gefragt: ‚Wie Freiheitsdienst? Ist Heizen dann frei?‘“
Bis zu Abraham Lincoln („einem der Gründungsväter der CSU“) holte Asül in seinem 15. Auftritt aus: „Lincoln hat gesagt: Staatskunst ist die kluge Anwendung persönlicher Niedertracht für das Allgemeinwohl. Sollte es irgendeinem von Euch an Klugheit fehlen, versucht es einfach mit mehr Niedertracht!“

Beste Sprüche beim Maibockanstich:„Bis jetzt ist Friedrich Merz für SPD und Grüne so was wie der Nikolaus“
Markus Söder auf einer Stufe mit Heidi Klum und Annalena Baerbock als Au-Pair-Mädchen in New York: Die besten Sprüche von Django Asül und Maibockanstich-Newcomerin Kathi Wolf in der Nachlese.
Das Pointennetz war so fein gesponnen und der Spott so breit verteilt, dass kaum auffiel, dass eine Partei gar nicht vorkam: die AfD. Ausgrenzung durch Ignoranz. Auf der Kabarettbühne funktioniert das noch.
Was ihm an dem Auftritt am besten gefallen habe, wurde Gastgeber Albert Füracker anschließend gefragt, worauf dieser eine Antwort gab, die eindeutig zweideutig zu verstehen war: „Mit all dem, was Beifall gefunden hat, hat er den Ton getroffen.“ Django Asül bekam viel Beifall, am Ende gar tosend und stehend vorgetragen. Auf dem Nockherberg war der Beifall dagegen nach der Festrede schnell abgeebbt.
Andere gaben sich deutlich weniger Mühe, den Kontrast in zarten Tönen zu zeichnen. FC-Bayern-Größe Paul Breitner lobte Django Asül als „überragend“: „Er hat gezeigt, was Derblecken ist: auslachen, jemanden ein bisschen lächerlich machen. Derblecken heißt nicht, bösartig auf irgendwelchen Leuten rumtreten.“
Digitalminister Fabian Mehring (Freie Wähler) fand: „Das war politisches Levitenlesen, wie es in Bayern üblich ist.“ Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) lobte, der Kabarettist hätte die Politikerinnen und Politiker „mit einem Augenzwinkern, mit einem Lächeln, mit einem guten Witz und Humor naufgeschossen, wie es sich in Bayern gehört“.
Der einstige CSU-Parteivorsitzende Erwin Huber ging gar so weit zu behaupten, damit habe der Maibock-Anstich dem Nockherberg den Rang abgelaufen. Zumindest hatte er den Durst nach Heimeligkeit gestillt.
Und was sagte der diesmal so vielseits Gelobte selbst? Er denke vor Auftritten stets in Atmosphären, das sei ihm wichtiger, als akribisch an den Manuskriptzeilen zu feilen und dieses Mal offenbar aufgegangen, meinte Django Asül. Wenn er, wie an diesem Abend, viel spontan interpretiere, sei dies meist ein gutes Zeichen. Und, ach ja, sein Vertrag mit der Hofbräu sei gerade geendet. Als Hinweis darauf, dass er offen für Neues sei, sei das aber bitte nicht zu verstehen. Er habe kein Problem damit, inzwischen mit der Institution Maibockanstich gleichgesetzt zu werden.