Süddeutsche Zeitung

Uni:Was die letzten Magister-Absolventen über den Bachelor denken

Bulimie-Lernen und Wikipedia-Referate: Einer der letzten Münchner Magister-Absolventen meint, echtes Denken hat keinen Platz mehr.

Von Jakob Wetzel

Manchmal, sagt Thomas Götz, sei es schon eine einsame Angelegenheit gewesen. Zum Beispiel wenn er in Kursen saß mit anderen Studenten, die er kaum mehr kannte. Wenn er sich mit ihnen über Prüfungen unterhielt, die er selber gar nicht schreiben musste. Und auch, wenn er in den Seminaren Referate hörte, die ihm weniger gründlich vorkamen als die, an die er sich zu erinnern glaubte.

Thomas Götz ist einer der Letzten seiner Art. Im Frühjahr hat er sein Studium an der Münchner Hochschule für Philosophie beendet, und dafür hat er einen akademischen Grad erhalten, der kurz vor dem Aussterben steht, den Magister Artium. Der Abschluss liegt in den letzten Zügen, auch an der Hochschule, die vom Jesuitenorden getragen wird. Götz war zwar nicht allein, aber fast: Mit ihm hat nur ein weiterer Student die Magister-Prüfungen abgelegt.

Alles begann in Bologna

Vor 17 Jahren haben die Bildungsminister 29 europäischer Länder in Bologna vereinbart, einen einheitlichen europäischen Hochschulraum mit vergleichbaren Studiengängen zu schaffen. Seitdem haben Universitäten und Hochschulen ihre Seminare und Vorlesungen in Module verpackt, denen sie einen Punktwert zugewiesen haben. Die Studenten haben begonnen, Punkte zu sammeln; für 180 bis 240 erhalten sie nun den Bachelor, für weitere 60 bis 120 den Master. Ihre Abschlussnote ergibt sich aus den Noten für die einzelnen Module.

Der altehrwürdige Magister dagegen ist fast verschwunden. An der größten deutschen Universität nach der Fernuni Hagen, der Ludwig-Maximilians-Universität, sind mehr als 52 000 Studenten immatrikuliert. Nur 330, weniger als ein Prozent, studieren noch auf Magister. An der Hochschule für Philosophie sind insgesamt nur 380 Studenten eingeschrieben. Im Magister-Studiengang sind es nach dem Abgang von Götz und seinem Kommilitonen noch drei. Die anderen studieren auf Bachelor oder Master, oder sie promovieren.

Dina Brandt ist Kanzlerin der Hochschule, und wenn sie erklärt, was sich geändert hat, beginnt sie zu schwärmen. Das Lehrangebot sei jetzt größer. Früher hätten viele Studenten bei den Jesuiten nur das Grundstudium absolviert, um einen Überblick über die Philosophie zu erhalten, nach vier Semestern gab es dafür das "Bakkalaureat", einen staatlich nicht anerkannten Abschluss. Jetzt habe man dieses Studium aufgewertet: Der Bachelor sei kein komprimierter Magister wie anderswo, sondern ein vertieftes Bakkalaureat. Und der neue Master-Studiengang sei im Vergleich zum Magister auch erweitert worden.

Und die alten Magister? Den Bachelor hat die Hochschule zum Wintersemester 2009/2010 eingeführt. Wer sich kurz davor für den Magister-Studiengang eingeschrieben hatte, dessen Regelstudienzeit endete bereits vor drei Jahren, im Sommersemester 2013. Bei einigen Studenten seien Freistellungen oder Urlaubssemester dazwischengekommen, sagt Brandt. "Aber wir gehen davon aus, dass wir das Kapitel bald beenden können."

Was bei ihm so lange gedauert hat? Thomas Götz kommt der Frage zuvor. Er sei bereits 49 und nicht der klassische Student, sagt er. Zuvor habe er Betriebswirtschaft studiert, 20 Jahre lang sei er als Leiter einer Nachhilfeschule selbständig gewesen. Weil er etwas für sich tun wollte, habe er 2001 begonnen, Philosophie zu studieren, das Studium aber wegen der Arbeit für zehn Jahre unterbrochen. Als er zurückkam, hatte die Hochschule umgestellt, Götz aber wollte weiter auf Magister studieren. Und so wurde aus dem Philosophie-Studenten plötzlich ein Exot.

Den Bachelor-Studiengang hat Götz nur am Rande erlebt, aber von der Reform hält er nicht viel. "Ich möchte die Vergangenheit nicht verklären, aber ich habe den Eindruck, dass früher dickere Bretter gebohrt wurden", sagt er und erzählt von heutigen Referaten, in denen statt einer Reflexion von Begriffen wie "Gerechtigkeit" oder "Wahrheit" auch mal die Wikipedia-Definition präsentiert werde, einfach weil den Studenten vor lauter Prüfungen zu wenig Zeit für das einzelne Fach bleibe.

Und er berichtet davon, wie sich manche Kommilitonen samstags und sonntags Stoff einprägten, um am Montag eine Prüfung zu überstehen. Dabei eigne sich doch Philosophie gar nicht für "Bulimie-Lernen": Stoff schnell rein und schnell wieder raus. "Zumindest ich schaffe das nicht", sagt er. "Ich muss diese Gedanken nachvollziehen und nachdiskutieren."

Verloren gegangen ist nur eines: Die Entwicklung einer Persönlichkeit

Keine Frage, Bologna bedeute mehr Arbeit, für die Studenten wie für die Dozenten, sagt Dina Brandt. Es gebe auch Probleme bei der Umsetzung der Reform. Von den Behörden etwa wünscht sie sich mehr Flexibilität. Aus einem Ordner zieht Brandt die "ländergemeinsamen Strukturvorgaben". Vieles ist hier bis ins Detail geregelt: Dass jedes Modul mindestens fünf Punkte wert sein soll etwa, oder dass es in jedem Modul nur eine Prüfung geben darf. Etwas mehr Spielraum könne nicht schaden, sagt Brandt.

Verloren gegangen sei mit dem Magister nur eines, glaubt sie: Der Freiraum für die Studenten, ohne Druck Neues kennenzulernen, eine Persönlichkeit zu entwickeln und erwachsen zu werden. Brandt rät ihren Studenten häufig, nach dem Bachelor zu pausieren, Berufserfahrung zu sammeln - und erst später einen Master-Studiengang zu beginnen. Auch Hochschulen und Universitäten müssten deswegen noch flexibler werden, findet sie - und mehr Master-Studiengänge berufsbegleitend anbieten.

Die Hochschule für Philosophie ist eine kleine Welt für sich. Sie wirbt damit, familiär zu sein: Man kenne sich, komme rasch ins Gespräch, über alle Semestergrenzen hinweg, heißt es. Götz kennt die Atmosphäre gut: Im Grundstudium sei das sehr angenehm gewesen, er habe spannende Menschen kennengelernt. Im Magister-Studium galt das nur bedingt. "So ganz angedockt bin ich nicht mehr gewesen", erzählt Götz. Was er zu tun hatte und was die anderen, das war zu verschieden. Und die anderen hatten einen allzu engen Stundenplan.

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Quelle:
SZ vom 17.03.2016
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