Magen-Darm-Erkrankungen in Bayern:Klein, aber gemein

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Eine Krankenkasse hat angesichts der Häufung von Magen-Darm-Erkrankungen in Bayern Alarm geschlagen. 2012 verbreitet sich das Noro-Virus nun offenbar noch stärker. Doch Mediziner sehen keinen Grund für Panik.

Andreas Schubert und Christina Berndt

Jeder kennt es, fast jeden erwischt es irgendwann. Und jeder fürchtet den Moment, in dem der Magen dermaßen verrückt spielt, dass er einen tagelang außer Gefecht setzt. Alle Jahre wieder bricht sich zwischen Oktober und März jene Erkrankung bahn, die vulgo Brechdurchfall genannt wird. Ein Großteil der Fälle ist auf Noroviren zurückzuführen.

In diesem Jahr schlägt die Techniker Krankenkasse (TK) Alarm. 2011 wurden bayernweit 12.000 Fälle der meldepflichtigen Erkrankung registriert - sechsmal so viele wie noch vor fünf Jahren. 2012 verbreitet sich das Virus offenbar noch stärker.

Laut dem Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) haben sich 5221 Menschen in Bayern (Stand vergangener Freitag) damit infiziert. Zum Vergleich: Im Vorjahr waren es 3321 Erkrankte - also deutlich weniger.

Auch wenn der gehäufte Ausbruch von Magen-Darm-Erkrankungen in der kalten Jahreszeit aus medizinischer Sicht etwas völlig Normales ist, sollten Betroffene auf der Hut sein. Denn das Norovirus kann gefährlich werden, vor allem für kleine Kinder, Senioren und Menschen, deren Immunsystem zum Beispiel durch andere Krankheiten geschwächt ist.

Jochen Peters, Chefarzt der Kinderklinik Dritter Orden in München, rät Eltern kleiner Kinder, die es erwischt hat, zu besonderer Sorgfalt. Einerseits, um sich nicht selbst zu infizieren, andererseits, um das Virus nicht zu verbreiten. So sollten sie sich die Hände nach dem Windelwechseln nicht einfach nur mit einer normalen Haushaltsseife waschen, sondern desinfizieren. "Am besten benutzen sie Handschuhe", so Peters.

Freilich, sagt der Mediziner, müsse man sein Kind nicht bei jedem Durchfall sofort in die Klinik bringen. Wenn es aber erkennbar dehydriert sei, also zu viel Flüssigkeit verloren habe, sei der Gang zum Kinderarzt unerlässlich. "Man darf das nicht bagatellisieren", sagt Peters. Dass es ernst ist und normale Ernährung nicht mehr ausreicht, merken Eltern, wenn ihr Kind nach längerem Durchfall und Erbrechen erschöpft und apathisch wirkt sowie trockene Lippen und eine trockene Mundschleimhaut hat. Doch eine Therapie, bei der das Kind spezielle Lösungen zu trinken bekommt, oder Infusionen wirkten relativ schnell. Nach ein oder zwei Tagen sei das Schlimmste in der Regel überwunden.

Im Klinikum Dritter Orden stellt man - anders als die Zahlen des LGL vermuten lassen - keine besondere Häufung von Noroviren fest. Es bestehe kein Grund zur Panik, sagt Chefarzt Peters. Das betont auch Christoph Spinner, Arzt in der Infektiologischen Ambulanz des Klinikums rechts der Isar. Wie in jedem Krankenhaus werden Norovirus-Fälle wegen des sehr hohen Ansteckungsrisikos mit besonderen Vorsichtsmaßnahmen behandelt - sprich: Die Patienten werden von anderen isoliert, da sich Erreger in Krankenhäusern besonders schnell ausbreiten können.

"Wir haben das bei uns aber im Griff", betont Spinner. Im Klinikum rechts der Isar werden Verdachtsfälle immer auf das Norovirus getestet. Allein schon deshalb, wie Spinner betont, um Gewissheit zu haben, woran der Patient wirklich leidet.

Dieses diagnostische Bewusstsein ist aber nicht überall gleich. "Es gibt eine Dunkelziffer", sagt zum Beispiel Franz Hartmann, Leiter des Gesundheitsamts im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen. "Es wird ja bei weitem nicht jeder, der Durchfall hat, untersucht", so Hartmann. Eine Aussage über die tatsächliche Häufung von Noroviren sei deshalb schwer zu treffen. Das weiß man auch im Gesundheitsreferat der Landeshauptstadt. Meldepflichtig sei nur der Labornachweis, sagt Sprecherin Katrin Zettler, nicht die bloßen Verdachtsfälle. In München sind für 2012 aktuell 595 Fälle gemeldet. Im gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres waren es 328. Doch auch hier ist man nicht besonders alarmiert. Die Anzahl der Erkrankungen halte sich im Rahmen, heißt es.

In der Tat ist der winterliche Brechdurchfall zwar ein bekanntes leidiges Phänomen, aber in den allermeisten Fällen kein allzu dramatisches, wie auch das Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin betont. Dort werden bundesweit alle meldepflichtigen Krankheiten zentral erfasst. "Es handelt sich um eine mittelschwere Welle", sagt Sprecherin Susanne Glasmacher. "In den vergangenen Jahren gab es insgesamt etwas mehr Norovirus-bedingte Krankheitsfälle als in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrzehnts", so Glasmacher weiter.

Das liege zum einen daran, dass Ärzte ihre Patienten mit Brechdurchfall häufiger auch auf Noroviren testen. Zum anderen gehe seit einiger Zeit aber auch ein anderer Typ von Viren um.

Noroviren verändern sich ähnlich wie Grippeviren durch natürliche Mutation. Dieser neue Typ sei entweder ansteckender als sein Vorgänger, so Glasmacher. Oder er mache einfach mehr Menschen krank, weil noch kaum jemand Immunschutz dagegen entwickelt hat. "Es gibt aber nicht mehr schwere Verläufe", betont Glasmacher. Auch seien Noroviren insgesamt keineswegs so aufsehenerregend, wie manch aufgeregte Meldung glauben machen will: Die Erreger sind an dem Großteil der Magen-Darm-Infektionen schuld, die durch Viren und nicht durch Bakterien wie Salmonellen oder Campylobakter verursacht werden.

Gerade der Vergleich der aktuellen Zahlen mit dem Vorjahr, wie ihn die TK jetzt vorgenommen hat, erwecke einen falschen Eindruck, ergänzt die Norovirus-Expertin Helen Bernard vom RKI. In der letzten Saison nämlich ging wiederum eine andere Virus-Variante um - und die war außergewöhnlich milde.

© SZ vom 06.03.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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