Neue Gedichtbände von Dagmar Leupold, Stella Nyanzi und Slata RoschalWo Wörter mit Wolken kämpfen

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Wie sind die Aussichten, geht´s weiter hinter dem Horizont? Fragen, auf die Schriftstellerinnen wie Dagmar Leupold, Stella Nyanzi und Slata Roschal Antworten suchen.
Wie sind die Aussichten, geht´s weiter hinter dem Horizont? Fragen, auf die Schriftstellerinnen wie Dagmar Leupold, Stella Nyanzi und Slata Roschal Antworten suchen. (Foto: Martin Gerten/dpa)

Die neuen Gedichtbände von Dagmar Leupold, Stella Nyanzi und Slata Roschal haben ganz unterschiedliche Ansätze – und doch einiges gemeinsam. Von Kampfspuren zwischen Wolken, Herausforderungen des Exils und der Suche nach der eigenen Identität.

Von Antje Weber, München

„Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“, befand einst Friedrich Hölderlin, tröstend und vielzitiert. Treibt auch Dichter und Dichterinnen heute diese Hoffnung an? „Die Luft ist schwer von Wortgeschützen“, schreibt Dagmar Leupold beunruhigt, ein „Proviant der Politik, von keiner Flaute bedroht“. Was kann Lyrik den Wort- und realen Geschützen entgegensetzen, den Gefahren aller Art?

Wohl vor allem den Zugang zu anderen Perspektiven. Ob Dagmar Leupold, Slata Roschal oder Stella Nyanzi – die jüngsten Lyrikbände dieser in München lebenden Schriftstellerinnen verdichten individuelle Lebenserfahrungen und ästhetische Prägungen, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Und doch eint sie untergründig so manches, spürt jede auf ihre Weise die Gefahr –ob struktureller oder sprachlicher Art, persönlich grundiert oder politisch motiviert.

Harmlos kommt zwar der Titel von Dagmar Leupolds Band daher: „Small Talk“ (Jung und Jung) verspricht unverfängliches Geplauder übers Wetter oder Reisepläne. Doch weit gefehlt: Zwar sind die Texte meist kurz und oft pointiert, wie kleine Anmerkungen zum Alltag. Doch jeder hat es in sich, wirkt federleicht und dabei sorgenschwer. Ist hier vom Wetter die Rede, dann sind die Wolken schon mal „Rabenschwestern“, die um den Horizont zanken: „hinter Kampfspuren / krepiert der Tag“. Und schweift der Blick in die Ferne, dann zwar schon mal zu Zitronen im sonnenmilden Süden, doch immer wieder auch in die Ukraine, nach Uschhorod oder Mariupol, und damit zum Krieg.

Die Gedichte über den Krieg rahmen diesen Band nicht zufällig. Und Trost ist nicht in Sicht, wenn Leupold von den Jet-Streams „am enthofften Himmel“ schreibt und von der „Mobilmachung“, die auch im Sitzen oder Liegen funktioniert. Denn wie sehr Sprache manipulieren kann, ist der Schriftstellerin nur zu bewusst: „die paar Buchstaben / – von wegen magisch! – / folgen jedem Anschlag aufs Wort“. Auch wer schreibt, hat eben die Finger mitunter „in trefflicher / Krümmung am Abzug“.

Dagmar Leupold ist für ihre zahlreichen Romane, Gedichtbände und Essays vielfach ausgezeichnet worden, zuletzt mit dem Literaturpreis der Stadt München.
Dagmar Leupold ist für ihre zahlreichen Romane, Gedichtbände und Essays vielfach ausgezeichnet worden, zuletzt mit dem Literaturpreis der Stadt München. (Foto: Florian Peljak)

Nur folgerichtig, dass bei Leupold viel Sprachskepsis im Spiel ist. Schon im ersten Gedicht „Lautschrift: Krieg“ kommt sie von der Sepsis sogleich zur Skepsis angesichts all der „Akrobaten / Advokaten des Worts“. Umso achtsamer jongliert sie selbst mit der Sprache, tastet sich schreibend ins Alter voran und zu Edeka, witzelt beim Coiffeur den Tod weg und weiß um die Bedeutung der Sprache für die eigene Existenz: „In Versen behaust“ zu sein, das ist für das lyrische Ich eines der „kleinen Wunder / die am Leben halten“. Und die sich nie ganz entschlüsseln lassen, da sie „bei näherer Betrachtung / zum Geheimnis reifen“.

Stella Nyanzi würde sich dem vermutlich anschließen – doch ihre Lyrik schöpft aus anderen Quellen, hat eine andere Kraft. „Im Mundexil“ (Wunderhorn, aus dem Englischen übersetzt von Matthias Göritz) heißt der erste auf Deutsch erschienene Gedichtband der ugandischen Schriftstellerin, die in München in den vergangenen Jahren über das Writers-in-Exile-Programm des PEN eine – mehr als nur vorübergehende? –  Exil-Heimat für sich und ihre Kinder gefunden hat. In ihren eingängigen, oft mit Wiederholungen arbeitenden Texten brechen sich die Traumata der Vergangenheit und die Ängste der Gegenwart Bahn, und wer Einblicke in die Komplexität eines jeden Exilschicksals gewinnen möchte, kann hier viel erfahren.

Denn ja, Exil ist „ein Ort zum Durchatmen uuuu aaaah“, wie Nyanzi in einem Stoßseufzer schreibt, „Ohne Angst vor dem Tod / ohne Angst vor Verhaftung“. Und man sehe die Schriftstellerin und Aktivistin beim Lesen vor dem inneren Auge, wie sie energetisch, rhythmisch treibend eine Bühne bespielt – der Klang ist hier Teil des Gesamtkunstwerks (die Autorin Cornelia Zetzsche hat jenem „Klang des Lesens“ bei verschiedenen Schriftstellern übrigens jüngst ein profundes Buch gewidmet).

Die Anthropologin und Autorin Stella Nyanzi, geboren 1974 in Uganda,  floh vor einigen Jahren mit ihren Kindern nach Deutschland.
Die Anthropologin und Autorin Stella Nyanzi, geboren 1974 in Uganda,  floh vor einigen Jahren mit ihren Kindern nach Deutschland. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Doch auch wenn Stella Nyanzi, die bis heute an den Folgen der Gewalt in ugandischen Gefängnissen leidet, um die Heilungschancen im Exil weiß: Sie spürt auch, dass sie die Sicherheit mit Einsamkeit bezahlt, mit „schmerzlicher Isolierung“, mit Entfremdung. Was ihrem lyrischen Ich die Sprache bedeutet? „Ich schreibe, um Dämonen zu bekämpfen“, heißt es da, um zu entgiften: „Ich schreibe mich aus der Dunkelheit ins Licht.“

Man tritt Slata Roschal hoffentlich nicht zu nahe, wenn man ihrem lyrischen Ich einen ähnlichen Impuls bescheinigt – und doch sind diese Gedichte vor einem ganz anderen Hintergrund entstanden. Erkennbar ist jedenfalls auch dieses Ich nicht im Reinen mit sich und der Welt. „Ich brauche einen Waffenschein ein neues bitteres Parfüm ein Haus in dem mich keiner kennt“ (Wunderhorn), das macht schon der Buchtitel deutlich. Und auch, dass das Private immer politisch ist.

Das Private wird hier unter anderem in einem Garten in München, Neuperlach Süd, verortet. Die Idylle ist trügerisch, denn Trauerschnäpper und Spechte haben den Garten verwüstet, und auch die Menschen tragen ihr „Raubtiergebiss“. Das lyrische Ich weiterer Gedichte gibt sich als Vorort-Mutter zu erkennen, die sich bitte ungestört die Nägel lackieren will und Botox stechen lässt – doch im nächsten Moment über das „Kriechende das Pochende und Seichte“ unter dem Asphalt nachdenkt, über den Urgrund unseres Seins.

Die Schriftstellerin Slata Roschal liebt lange Buchtitel, wie zum Beispiel auch bei ihrem vorherigen Roman nicht zu übersehen: „Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten“.
Die Schriftstellerin Slata Roschal liebt lange Buchtitel, wie zum Beispiel auch bei ihrem vorherigen Roman nicht zu übersehen: „Ich möchte Wein trinken und auf das Ende der Welt warten“. (Foto: Georg Wendt / dpa)

Im Flow der Gedanken wechseln sich das scheinbar Banale und die Tiefenbohrung ab. Der Körper wird schön hergerichtet, doch die Psyche geht ihre eigenen Wege: „Ich habe Angst darüber nachzudenken wer ich bin“. Die Folge, in einem Berliner Imbiss beschrieben, der sich mit kyrillischen Buchstaben „Russland“ nennt: „Ich schreite en passant und tue deutsch“. Es ist einiges an Wut zu spüren in den langen Verszeilen, vor allem jedoch an Selbstzweifeln bis hin zur Depression. Alles „Luxusleid“, urteilt das lyrische Ich: „Die achte Sünde ist sich selbst zu ernst zu nehmen“. Und doch bleibt es gefangen in einem Alltag zwischen emotion Magazin und Mandelblüten-Badeschaum, zwischen Steuererklärung und Sinnsuche.

Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch? „Als Lehrkraft für besondere Aufgaben unterrichte ich Scheitern“, ließe sich mit einer Zeile von Slata Roschal antworten, die Skepsis sitzt auch hier tief. Und doch ringt auch in diesem Gedichtband nicht nur ein lyrisches Ich mit der Fassung, sondern eine Schriftstellerin lustvoll mit der Form. Ob auch Slata Roschal sich in Versen „behaust“ fühlt? Sie schreibt: „Lyriker sind professionelle Obdachlose“. Und so nah man das auch betrachten mag, es bleibt auch hier ein Rest Geheimnis.

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