Lyrik:Angst am Rande des Abgrunds

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Die albanische Lyrikerin Luljeta Lleshanaku verarbeitet ihre Erinnerungen an die Repressionen ihrer Jugend in Gedichten - und als wissenschaftliche Leiterin eines Instituts zur Aufarbeitung dieser Zeit in Tirana. (Foto: Marsh Starks)

Die albanische Autorin Luljeta Lleshanaku wuchs in einer Familie auf, die des Anti-Kommunismus beschuldigt wurde. In ihrer Heimat bedeutete das damals, in Isolation zu leben. Fürs Lyrik Kabinett spricht sie mit ihrer Übersetzerin über diese Zeit - und ihren neuen Gedichtband.

Von Antje Weber

Auf Youtube findet man ein zehn Jahre altes Video, in dem Luljeta Lleshanaku ein Gedicht auf Albanisch vorliest, in einer weich und herb zugleich wirkenden Sprache, in deren Fluss nur wenige international verständliche Wörter wie "Melancholia" auftauchen. Man sollte sich allerdings keinen Illusionen hingeben. Der Klang sei ihr egal, schreibt ihre Übersetzerin Andrea Grill im Nachwort des Bands "Die Stadt der Äpfel" über diese Dichterin, das Schreiben für sie "ein rein rationaler Akt".

Luljeta Lleshanaku ist eine bemerkenswerte Stimme aus Albanien, und das Lyrik Kabinett bietet bald die Gelegenheit, sie wieder einmal zu hören (wenn auch jetzt nur online statt live). Nicht nur der verstörenden Wirkung ihrer tatsächlich von Melancholie und manchmal unterschwelliger Wut geprägten Gedichte wegen ist diese Dichterin interessant. Sondern auch wegen des politischen Hintergrunds dieser Texte, der zugleich auf die schwierige Biografie dieser Autorin verweist.

Denn die Lyrikerin, 1968 in der albanischen Stadt Elbasan geboren, hat ihre Kindheit in unfreiwilliger Isolation verbracht. Ihre Familie galt als anti-kommunistisch, und der sozialistische Diktator Enver Hoxha grenzte Oppositionelle systematisch aus der Gesellschaft aus. Ihre Kindheit und Jugend verbrachte Luljeta Lleshanaku daher in der Kleinstadt Kruja auf einem Steilhang des Küstenrandgebirges, "wie in Quarantäne", schreibt Grill. Selbst Kinder waren den vielen Repressionen ausgesetzt, so wurde Lleshanaku sogar bei einem Auftritt ihrer Kindergartengruppe im Fernsehen "im letzten Moment aussortiert und nach Hause geschickt". Sie durfte bis zum Alter von 22 Jahren nicht studieren und kein Gedicht veröffentlichen, arbeitete in einer Teppich-Fabrik.

Das Ende des kommunistischen Regimes nach 1989 bedeutete für Lleshanaku eine Befreiung - jedoch nicht vom Thema: Heute ist sie in Tirana die wissenschaftliche Leiterin eines "Instituts für die Aufarbeitung des kommunistischen Genozids in Albanien". Außerdem hat sie neun Gedichtbände veröffentlicht, in denen immer wieder die Traumatisierungen ihrer Jugend aufscheinen. Auffallend oft zum Beispiel ist in ihrem zweiten von Grill ins Deutsche übersetzen Band "Die Stadt der Äpfel" (Edition Lyrik Kabinett bei Hanser) das Wort "Angst" zu lesen. Mal als "Angst vor dem Unbekannten", mal in der Variation: "Wie ähnelten wir einander aber in der Angst."

Diese Zeile steht in dem besonders eindrucksvollen Gedicht "Via politica". "Ich bin in einem großen Haus aufgewachsen, / in dem Schwäche und Freudenschreie / bestraft wurden", beginnt es. Das Ich sei mit dem "Fett von Kerzen aus glorreichen Tagen" gefüttert worden: "Ich brannte. Meine Hefte, Haare, mein Herz rochen nach Rauch." So unterschiedlich die Menschen waren, so ähnlich sei doch ihre Angst am "Rand des Abgrunds" gewesen. Einige von ihnen hätten den Ausweg ins Erzählen gewählt, die anderen "nahmen den Weg über den Ozean" und emigrierten. "Und ausgerechnet die, die am weitesten fortgegangen waren, / sprachen nie mehr davon / (eine ärgerliche Geschichte des nackten Überlebens)".

Luljeta Lleshanaku hat den Weg in die Sprache gewählt. Die Zeit, in der sie von Büchern vor allem den "Vorgang des Versteckens" in Erinnerung behalten hat, ist vorbei. Zwar schreibt sie selbst einmal: "Wörter sind überschätzt." Und tritt in ihren Gedichten doch an, das Gegenteil zu beweisen.

Luljeta Lleshanaku, Online-Lesung des Lyrik Kabinetts, Video ab Di., 8. Feb., 19 Uhr, unter lyrik-kabinett.de

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