Lesung mit Vorstellungsgespräch:Keine Lust auf "Selbstbelangweilung"

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Bereits gebeugt von der Bürde vieler Aufgaben? Diesen Eindruck macht Literaturfest-Kurator Lukas Bärfuss, hier vor seiner Lesung im Literaturhaus, eigentlich nicht. (Foto: Catherina Hess)

Im Literaturhaus präsentiert Lukas Bärfuss sein neues Buch - und lässt ahnen, was das Münchner Publikum beim von ihm kuratierten Literaturfest-Forum erwarten darf.

Von Antje Weber

Am Anfang ist Lukas Bärfuss erstmal geplättet. Kundig und wortreich ist er im Literaturhaus von Chefin Tanja Graf und Moderator Dieter Heß vorgestellt worden, als künftiger Literaturfest-Kurator, als Büchner-Preisträger mit großem Werk. Und jetzt soll er aus dem Stand erklären, ob er es als seinen Auftrag sehe, menschliches Leid zu beschreiben? "Hoi! Grüezi, München!" verschafft sich der Schriftsteller mit dem unüberhörbar weichen Schweizer Zungenschlag etwas Luft. Und bedankt sich für das Geschenk, eine große "Gemeinschaft von Lesenden" im Saal vorzufinden.

Diese Gemeinschaft nimmt Bärfuss mit Humor und Gelassenheit sofort für sich ein; mit einer bedächtigen Wortwahl, die immer eine Dringlichkeit spüren lässt, mit unverstellt offenen Sätzen, die in ihrer Klarheit und vordergründigen Einfachheit stets auf das große Ganze zielen. Denn natürlich antwortet Bärfuss doch noch ausführlich auf die Frage nach seinem Auftrag, den er allerdings nicht als solchen bezeichnen würde. Er umkreist seinen Ansatz eher so: "Ich versuche, mich zu orientieren in der Welt, in der ich lebe - und das gelingt mir häufig überhaupt nicht."

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Denn was ihn umtreibt, das sind die Ungerechtigkeiten, die falsche Sprache, die Regression in der Gesellschaft. Das verarbeite er in seinen Büchern mit einer "gewissen Rücksichtslosigkeit", die schon mal die "Frühstückslaune" verderben könne. Weil er eine Haltung, eine Auseinandersetzung verlange, mit Fragen wie: "Wie stehst du zu dieser Welt, in der du lebst?" "Wie willst du leben?" "Und was hindert dich daran?"

Dass ihn diese Fragen auch in seinem eigenen Leben beschäftigen, verschweigt Bärfuss nicht. In der Hauptfigur Adelina seines neuen Romans "Die Krume Brot", die in den Siebzigerjahren in der Armutsfalle steckt, sieht er "meine Mama". Von seinem eigenen Scheitern, den Jugendjahren in der Obdachlosigkeit habe er wiederum seinen Kindern viel zu spät erzählt. Denn er muss konstatieren: "Meine Herkunft liegt in Trümmern vor mir." All die "unsicheren Verhältnisse" seien aber natürlich "entzückende Voraussetzungen für eine Schriftstellerexistenz".

"Ich versuche immer dorthin zu gehen, wo ich nicht weiß, wie es geht."

Da ließen sich jetzt viele Anknüpfungspunkte finden, um intensiver über Herkunft und Erbe zu sprechen und zumindest kurz das Motto einzukreisen, das Bärfuss fürs Münchner Literaturfest im Herbst gewählt hat: "Was wir erben, was wir hinterlassen". Doch dafür interessiert sich der Moderator leider nicht. Wer aber zwischen den Zeilen zu lesen vermag, kann Bärfuss' Antworten auf Fragen nach seinem Schreiben mühelos in einen weiteren Zusammenhang stellen.

Denn dass er keine Lust auf "Selbstbelangweilung" hat, lässt sich sicher nicht nur in Hinblick auf das Schreiben deuten. Er suche ein "Reizklima", sagt Bärfuss, wolle immer etwas lernen, "eine Erfahrung machen". Wichtig sei, Raum zu schaffen für das, was er mit Else Lasker-Schüler "Platz machen für Gott" nennt - zurückzutreten von der eigenen Ambition, vom Willen, alles kontrollieren zu wollen: "Ich versuche immer dorthin zu gehen, wo ich nicht weiß, wie es geht." Das sei "nicht ohne Risiko", führe zu "furchtbaren Ängsten". Und doch sucht Bärfuss diese "Zonen der absoluten Verunsicherung" immer wieder. Es sind entzückende Voraussetzungen für ein Literaturfest, das gewiss nicht langweilen wird.

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