Luftreinhaltung:Was Sie über das mögliche Diesel-Fahrverbot in München wissen müssen

Im gesamten Stadtgebiet kommt es vor allem durch Dieselfahrzeuge zu hohen Belastungen mit giftigem Stickstoffdioxid. Oberbürgermeister Dieter Reiter will sie deshalb verbannen.

Von Nina Bovensiepen und Andreas Schubert

Für die einen dürfte es eine Karte des Grauens sein, andere mögen darin die letzte Bestätigung finden, dass dem Verkehrskollaps in München dringend Einhalt zu bieten ist. Es handelt sich um jene Karte, aus der hervorgeht, wie stark die Luft in München mit dem gesundheitsgefährdenden Stickoxid belastet ist - und die Oberbürgermeister Dieter Reiter nun ernsthaft über die Einführung eines flächendeckenden Diesel-Fahrverbotes nachdenken lässt.

Worum geht es?

Die Europäische Union schreibt ihren Mitgliedsländern für die Luftreinhaltung Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide vor. In München ist die Problematik der Stickoxide inzwischen größer. Für das Reizgas Stickstoffdioxid (NO₂), das zur Gruppe der Stickoxide gehört, gilt ein Mittelwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter. Weil dies ein Jahresdurchschnittswert ist, wären temporäre Fahrverbote wenig sinnvoll. Es gilt: ganz oder gar nicht.

Wie gefährlich ist Stickstoffdioxid?

Das Abgasprodukt NO₂ ist sehr giftig. In Ballungsräumen sind Autos die größte NO₂-Quelle. Die höchsten Konzentrationen des Reizgases werden an viel befahrenen Straßen gemessen. In München etwa am Stachus oder der Landshuter Allee. Laut Umweltbundesamt sind zu hohe NO₂-Konzentrationen in der Luft vor allem für Asthmatiker problematisch. Doch Stickstoffdioxide greifen nicht nur den Menschen an - sie schädigen auch Pflanzen. Zudem trägt NO₂ zur Überdüngung und Versauerung von Böden und - in geringem Maße - auch von Gewässern bei.

Was ist der Stand?

Die neuen Daten zeigen, dass es über das ganze Stadtgebiet verteilt zu Überschreitungen der Grenzwerte kommt. Mal liegen die Werte bei 40 bis 50 Mikrogramm pro Kubikmeter, mal bei 50 bis 60, teilweise sogar über 60. "Diese neuen Daten haben mir zu denken gegeben", sagt Reiter. Er sei bisher davon ausgegangen, dass sich die Überschreitungen stärker auf das Gebiet innerhalb des Mittleren Rings konzentrieren würden.

Wie wird gemessen?

Man kann die NO₂-Belastung sehr genau mit elektronischen (und sehr teuren) Messgeräten feststellen oder mit sogenannten Passivsammlern. Das sind mit einer Trägersubstanz gefüllte Behälter, in denen sich Schadstoffe anreichern. Aus der gesammelten Menge wird dann ein Mittelwert errechnet. Für OB Reiter ist klar, dass es künftig vor allem deutlich mehr Messstationen geben muss, um genauere Daten zu erhalten.

Welche Autos wären betroffen?

Von den 720 000 in München zugelassenen Fahrzeugen sind 295 000 Diesel. Autos mit der aktuellen Abgasnorm Euro 6 wären nach Reiters Vorstellungen ausgenommen. Es wären dann voraussichtlich zwischen 133 000 und 170 000 Fahrzeuge betroffen. Doch da könnte sich der OB irren. Messungen der Umweltbundesamt haben ergeben, dass Euro-6-Diesel ebenso die Grenzwerte überschreiten, aus technischen Gründen bei kühlen Temperaturen teilweise sogar noch deutlich höher als ältere Dieselfahrzeuge.

Darf die Stadt Fahrverbote erlassen?

Das wird sich erst im Herbst zeigen, wenn das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einen entsprechenden Beschluss fasst.

Welche Ausnahmen könnte es geben?

Für den Oberbürgermeister steht fest, dass es Härtefall- und Ausnahmeregelungen geben müsste. Ausnahmen sind für Taxis, die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) sowie Rettungs- und Notfalldienste vorstellbar. Für Wirtschaftsverkehr eventuell in Maßen.

Gibt es für Busse und Taxis Alternativen zum Diesel?

Bei Linienbussen gibt es derzeit noch keine leistungsfähige Alternative, wie die MVG wiederholt betont hat. Elektrobusse sind noch in der Entwicklungs- und Testphase. Dennoch soll noch vor 2020 eine Elektrobuslinie in Betrieb gehen - probehalber. Elektrotaxis gibt es zwar schon, doch die Ladeinfrastruktur und -technik ist laut Aussagen von Taxibetreibern noch nicht so weit, dass sich der großflächige Einsatz rentiert. Vor allem die Ladezeiten seien noch zu lang.

Wie werden die Reaktionen auf die Pläne ausfallen?

Von Umweltverbänden und den Grünen dürfte es ein positives Echo geben. Ansonsten ist viel Kritik zu erwarten, auch Klagen sind vorstellbar. Mit BMW hat einer der großen Autohersteller seinen Sitz in München, auch viele Zulieferer sind hier ansässig. Auch dem Kooperationspartner im Rathaus, der CSU, dürften die Äußerungen Reiters nicht gefallen.

Sind noch weitere Maßnahmen in Sicht?

Reiter sieht Fahrverbote als ein Mittel, um eine umfassende Verkehrswende einzuleiten. "Das Mobilitätsverhalten muss sich grundsätzlich ändern", sagt er. Es müsse ein Primat des öffentlichen Nahverkehrs gelten. Ziel müsse außerdem sein, "das die Menschen sich nicht alle selber ein Auto anschaffen".

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