Süddeutsche Zeitung

Verhandlungen laufen bereits:Warum Lufthansa den Firmensitz nach München verlegen könnte

Das Unternehmen denkt über einen Umzug nach Bayern nach. Von der Staatsregierung wird es schon länger forsch umgarnt. Für beide Seiten ergäben sich daraus Vorteile.

Von Jens Flottau, Andreas Glas und Catherine Hoffmann

Lufthansa prüft eine Verlegung seines Firmensitzes von Köln nach München. Operativ gelenkt wird Europas größte Airline-Gruppe schon seit vielen Jahren von Frankfurt aus. Dort hat der Konzernvorstand seine Büros. Dennoch hat die bayerische Landeshauptstadt gute Chancen, künftig Sitz der Aktiengesellschaft zu werden. Für München spricht, dass das Unternehmen und der Flughafen eine enge Beziehung haben. Ein Überblick über den Stand der Gespräche.

Warum denkt das Lufthansa-Management über einen Wechsel des Firmensitzes nach?

Köln ist zwar seit den Fünfzigerjahren Hauptsitz des Konzerns, jedoch sind nach und nach immer mehr Abteilungen nach Frankfurt abgewandert. Der Finanzchef, der einst als einziges Vorstandsmitglied seinen Dienstsitz in Köln hatte, arbeitet ebenfalls seit vielen Jahren im Lufthansa Aviation Center in Frankfurt. Derzeit sind in Köln nur noch die Versicherung Delwag und die Konzerntochter Eurowings angesiedelt. Daher ist klar: Köln wird auf Dauer nicht Sitz des Unternehmens bleiben.

Wie kommt München ins Spiel?

Lufthansa liegt seit Langem im Clinch mit dem Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport, dem der Konzern Qualitätsmängel an seinem größten Drehkreuz vorwirft. Die hessische Landesregierung hat sich auch nicht als große politische Stütze für die Interessen des Unternehmens hervorgetan. Dem Vernehmen nach haben weder Fraport noch die hessische Landesregierung nach dem Bekanntwerden der Umzugspläne ein Umsteuern zu erkennen geben. In der bayerischen Staatsregierung sieht Lufthansa dagegen eine politische Kraft, die ihre Interessen verteidigt, in Deutschland, aber auch auf europäischer Ebene.

Welche Rolle spielt die bayerische Staatsregierung bei den Verhandlungen?

Dem Vernehmen nach umgarnt Bayern die Fluggesellschaft schon sehr lange und sehr forsch. Hätte es die Pandemie nicht gegeben, könnte der Deal bereits unter Dach und Fach sein, heißt es in Kreisen der Staatsregierung. Dort ist Albert Füracker der Strippenzieher, Aufsichtsratschef der Flughafen München GmbH und bayerischer Finanzminister von der CSU, die sich gerade für die Landtagswahl am 8. Oktober rüstet. Da kämen gute Nachrichten für den Wirtschaftsstandort Bayern natürlich höchst gelegen.

Nach Bekanntwerden der Umzugspläne wächst in Bayern und in der CSU nun allerdings die Sorge, dass Hessen doch noch etwas intensiver in die Balz um den Lufthansa-Sitz einsteigen könnte. Auch Hessen wählt ja, ebenfalls am 8. Oktober.

Was verspricht sich Bayern von einem Erfolg?

Für die bayerische Staatsregierung wäre der Lufthansa-Umzug nach München vor allem ein Prestigeerfolg, der sich bestens fügen würde ins Bild vom Wohlstands- und Wachstumsland Bayern, das die CSU so gern pinselt. Darüber hinaus verspricht sich die Staatsregierung von dem Dienstsitzwechsel einen Dominoeffekt - zum Beispiel mit Blick auf den immer noch fehlenden ICE-Anschluss am Münchner Flughafen. Aktuell bremst der Bund ja bei diesem Projekt. Ein Umzug nach München könnte die Bremse lösen, so lautet zumindest das Kalkül in Bayern.

Was würde ein Umzug der Stadt bringen?

Wenn der Rechtssitz nach München käme, würde sich auch das zuständige Finanzamt ändern. Allzu große Erwartungen an mögliche neue Gewerbesteuerzahlungen sollte man aber nicht haben: Ihre Höhe hängt nicht allein vom juristischen Sitz ab, vielmehr kommt es auf die Zahl der Arbeitsplätze vor Ort und die damit verbundene Lohnsumme an. Das Unternehmen müsste also schon größere operative Einheiten nach München ziehen, damit sich das steuerlich auszahlt.

Derzeit wird über eine hohe dreistellige oder vielleicht sogar vierstellige Zahl an Mitarbeitern spekuliert, die umziehen könnten. In jedem Fall würde ein Umzug aber Licht auf den Wirtschaftsstandort München werfen, der immer wieder durch die Ansiedlung namhafter Konzerne Aufmerksamkeit auf sich zieht.

Welche Geschäfte sind heute schon in München angesiedelt?

München ist nach Frankfurt das zweitgrößte Drehkreuz der Lufthansa. Zunächst konzentrierte sich die Airline darauf, ein dichtes europäisches Streckennetz aufzubauen, doch mittlerweile ist München auch eine große Basis für Langstrecken. Alle Airbus A350 fliegen von München aus, auch die verbleibende A380-Flotte zieht um. Gemeinsam mit der Flughafen München Gesellschaft (FMG) betreibt Lufthansa das Terminal 2. Daneben ist das Konzernmarketing ebenso in München angesiedelt, wie die Regionaltochter Lufthansa CityLine und die Pilotenschule Lufthansa Aviation Training (LAT).

Was bedeuten die Überlegungen für den Hub Frankfurt?

Frankfurt ist immer noch deutlich größer als München und profitiert auch davon, dass mehr Partner-Airlines nach Frankfurt als nach München fliegen. Viele Frankfurter Strecken sind auch immer noch profitabler. Durch den Umzug des Rechtssitzes ändert sich an der Verteilung der Strecken nichts, es werden auch nicht automatisch weitere Abteilungen in München angesiedelt.

Wann soll eine Entscheidung fallen?

Klarheit könnte auf der Hauptversammlung 2024 geben. Sie findet traditionell im Mai statt, die Aktionäre müssten einem denkbaren Antrag des Vorstandes zustimmen. Bis sechs Wochen vor der Veranstaltung können Anträge für die Tagesordnung angenommen werden.

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