Süddeutsche Zeitung

Münchner Flughafen:Die Lufthansa fliegt auf Sicht

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Die Airline leidet schwer unter der Corona-Krise, aber deshalb den Stützpunkt "MUC" aufgeben? Davon wollen Konzern und Flughafen nichts wissen.

Von Dominik Hutter, München

Dem Flughafen im Erdinger Moos droht ein harter Winter - mit viel mehr Ruhe als den MUC-Verantwortlichen lieb sein kann. Denn der Luftverkehr, das zeichnet sich deutlich ab, bleibt trotz einer kurzen sommerlichen Erholungsphase coronabedingt ein echter Tiefflieger. Nicht einmal mehr 15 Prozent der sonst zu dieser Jahreszeit üblichen Passagiere eilen derzeit durch die riesigen Hallen des zweitgrößten deutschen Airports. Eine rasche Erholung ist weiterhin nicht in Sicht.

Bei der Lufthansa sind nur acht der insgesamt 16 Langstreckenflieger des modernen Typs Airbus A 350 im Einsatz. Die übrigen, die derzeit auf dem Vorfeld geparkt sind, werden nun erst einmal nach Frankfurt verliehen und ersetzen dort die größeren und durstigeren Boeing 747-8 (vulgo Jumbo-Jet). Die Münchner Besatzungen werden gleich mitverliehen. Im Erdinger Moos werden sie aktuell nicht benötigt.

Eine Abkehr vom Lufthansa-Stützpunkt München, das versichern Flughafen wie Airline einmütig, bedeutet dies aber nicht. Zwar rotiert das Drehkreuz, also das zeitlich abgestimmte Umsteigen zwischen Europa- und Interkontinentalfliegern, derzeit deutlich langsamer als vor der Corona-Krise. Allein auf Frankfurt, wie bis in die Neunzigerjahre der Fall, will die mit Staatsgeldern gestützte Lufthansa aber trotz ihrer prekären Lage nicht setzen - das Unternehmen bekennt sich weiterhin explizit zu "MUC".

Was auch an einigen speziellen Vorteilen des Münchner Flughafens liegen mag: So hat die Airline das Terminal 2 und den (aktuell geschlossenen) Satelliten auf dem östlichen Vorfeld mitgebaut und betreibt ihn gemeinsam mit der Flughafengesellschaft FMG. Das spart Geld - in den eigenen vier Wänden wirtschaftet es sich einfach preisgünstiger. Eine solche Investition gibt man normalerweise nicht einfach auf.

Dazu kommen der Ruf des Münchner Flughafens als besonders komfortable und moderne Anlage "aus einem Guss". Das partiell immer wieder und wieder erweiterte Frankfurt, das allerdings auch deutlich größer ist, wirkt dagegen wie ein zusammengestückeltes Labyrinth. Zudem beschwert sich die Lufthansa regelmäßig über die dortigen Gebührensätze.

Flughafen wie Airline erneuerten am Dienstag denn auch demonstrativ ihre Absichtserklärung, "MUC" nach Ende der Corona-Krise als Drehkreuz des internationalen Luftverkehrs weiter auszubauen. "Wir stehen ohne Wenn und Aber zu unserem Premium-Drehkreuz in München", versichert Lufthansa-Chef Carsten Spohr. FMG-Boss Jost Lammert kündigt an, man werde "die vor uns liegende Durststrecke gemeinsam durchstehen". Vereinbart wurde, dass bis 2024 wieder bis zu 30 Langstreckenflugzeuge von München aus fliegen und ein entsprechendes Europanetzwerk eine hohe Passagierzahl ermöglicht. Vorausgesetzt, die Corona-Situation lässt dies zu. Zudem halten beide Unternehmen an der Erweiterung des Satelliten-Terminals fest. Der Einsatz von synthetischem klimaneutralem Treibstoff soll in der Münchner Lufthansa-Flotte forciert werden.

Sorgen macht man sich trotzdem im Erdinger Moos. In der laufenden Woche sind nur etwa 2100 Starts und Landungen geplant. Das schaffte "MUC" früher locker in zwei Tagen. 110 Flüge davon sind Langstrecke. Die 42 verbliebenen Interkontinentalverbindungen der Lufthansa werden allesamt mit dem sparsamen A 350 geflogen. Die Riesen-Airbusse des Typs A 380, die die Lufthansa nach ursprünglichen Planungen komplett in München konzentrieren wollte, müssen derzeit ebenso am Boden bleiben wie der für München klassische vierstrahlige Langstrecken-Jet Airbus A 340-600.

Ob diese überwiegend im spanischen Teruel abgestellten Großraummaschinen jemals wieder zum Einsatz kommen, ist unklar. Angesichts der schwer vorhersagbaren Situation fliegt die Lufthansa derzeit auf Sicht. Es dürfte dauern, bis die Passagiernachfrage wieder für einen doppelstöckigen A 380 reicht. Nur ein Bruchteil des einst so stolzen Interkontinentalangebots ist noch vorhanden: New York und Chicago beispielsweise, Seoul oder Denver. Mitfliegen kann freilich nicht mehr jedermann. Zahlreiche Länder haben Einreisebeschränkungen erlassen.

Dennoch: Ein Drehkreuz existiert im Erdinger Moos auch jetzt noch, betont Lufthansa-Sprecherin Bettina Rittberger. Nur eben ein kleineres. Womit MUC keineswegs alleine ist. Die Luftfahrt ist weltweit stark zurückgegangen. Die FMG rechnet nach Angaben ihres Sprechers Ingo Anspach erst 2024 mit einer Rückkehr zu den Vor-Corona-Zahlen. Sicher ist freilich auch das nicht.

In den weißen Glashallen der Terminals sind nach wie vor zahlreiche Läden und Restaurants geschlossen. Was offen ist, hat der Flughafen auf seiner Internetseite zusammengefasst. Für die Betreibergesellschaft ist das ein ernsthaftes Problem: Denn ihr entgehen nicht nur die Start- und Landeentgelte sowie sonstige Servicegebühren für die abgefertigten Maschinen. Ihre Finanzen sind in steigendem Maße von den sogenannten Non-Aviation-Erlösen abhängig, also Geld, das nicht direkt mit dem Fliegen erwirtschaftet wird. Dazu zählen vor allem die Mieten der Terminal-Geschäfte, die Parkgebühren und auch die Erlöse der eigenen Restaurants wie dem Airbräu.

Angesichts der bedrohlichen Finanzsituation hat die FMG bis Mitte November ein sogenanntes Schuldscheinverfahren gestartet, an dem sich Banken zu den angebotenen Konditionen beteiligen und Geld an den Münchner Flughafen verleihen können. Nach SZ-Informationen geht es dabei um eine dreistellige Millionensumme. Interesse gibt es offenbar ausreichend, Liquiditätsprobleme bestehen daher aktuell nicht. Im schlimmsten Fall müssten sonst wohl die Gesellschafter des Flughafens einspringen - zu 51 Prozent der Freistaat Bayern, zu 26 der Bund und zu 23 die Stadt München. Dies ist derzeit aber nicht erforderlich.

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Quelle:
SZ vom 28.10.2020
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