Luftgitarren-Meisterschaft:Voll in die Luft gegriffen

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Bei der Deutschen Meisterschaft im Backstage zeigt sich, dass auch die Luftgitarre beherrscht werden will. Zum Schluss gibt es einen würdigen Sieger.

Von Stephan Handel

Als der Wettbewerb vorbei ist, singt drüben in der anderen Halle gerade einer seinen in Musik gefassten Lebenslauf und beginnt diesen natürlich mit der Geburt, die er in den sehr schönen Satz fasst: "Ich steh am Anfang meiner Endlichkeit." Daraus ergibt sich natürlich sofort die Frage, was die Menschen denn so anfangen mit der ihnen zugemessenen, endlichen Lebensspanne. Eine der skurrileren Möglichkeiten, seine Zeit herumzubringen, war kurz zuvor im Saal nebenan zu besichtigen, Samstag Abend im Backstage.

Dort traten nacheinander acht Leute auf die Bühne, die mutmaßlich keine Gitarre besitzen und diese auch nicht spielen können, die aber trotzdem so tun, als hätten sie eine und als könnten sie. "Luftgitarre" heißt das verrückte Spiel: die pantomimische, tänzerische Darstellung eines Musikers und seiner Bühnenposen mit allem, was dazu gehört - bis auf das Instrument. Im Backstage findet die deutsche Meisterschaft statt; der Gewinner darf zur Weltmeisterschaft nach Finnland, denn dort ist die Hochburg der Luftgitarristen. Das Ganze ist natürlich eine ernste Sache, bei der es vor allem um die so genannte "Airness" geht, ein Fachbegriff, der in der gängigen Übersetzung "Luftigkeitstauglichkeit" nur höchst unzureichend eingedeutscht ist.

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Los geht's mit einem, der sich "Simon Zorn" nennt, aber eigentlich Simon Gosejohann heißt und in verschiedenen Fernsehformaten bewiesen hat, dass er nichts richtig kann, das aber immer mit vollem Einsatz. Zur Musik hat er sich John Zorns "Naked City" erkoren, ein durchaus anspruchsvolles Stück Punk-Jazz. Simons Darstellung leidet aber etwas darunter, dass seine linke Hand die ganzen ihm zugestandenen 60 Sekunden lang E-Dur in die Luft greift, was Zorns Musik gewiss nicht gerecht wird und wahrscheinlich auch Abzüge bei der Luftigkeitstauglichkeit bringt - nur knapp über fünf Punkte geben ihm die Juroren.

Der zweite Kandidat nennt sich Arie Houdini in Anlehnung an den berühmten Entfesselungskünstler aus dem frühen 20. Jahrhundert, weshalb Arie eine Kette mit Vorhängeschloss um die Brust trägt. Die imaginäre Gitarre lässt er zunächst auf dem imaginären Ständer stehen, er zeigt zuerst hüftwackelnd ein paar Zaubertricks. Schließlich aber - Queens "Kind of magic" ist seine Musik - pantomimiert er mit großer Hingabe Brian Mays Gitarrensolo - Wertungen um die 5,5 sind der Lohn.

Dr. Shorty Jekyll zeichnet sich durch einen Arztkittel aus und dadurch, dass er ständig Greifhand und Schlaghand wechselt, den Gitarrenhals also mal rechts, mal links hat, als sei er jetzt Paul McCartney und dann wieder nicht. Onkel Udo, der auf ihn folgt, nutzt seine eindrucksvolle Haarmähne leider nicht zum angemessenen Headbangen, sondern tut, als würde er ein Country-Stück zupfen, allerdings gibt die Gitarre aus Luft sehr schön den Blick auf sein lasziv kreisendes Becken frei. Sowohl er wie Dr. Shorty Jekyll erhalten von der Jury Wertungen um die 5,7. Dann aber geht's richtig los. Moredrive, der nächste Kandidat, heißt im echten Leben Daniel und ist "eigentlich ein ganz Lieber", wie Leute im Publikum sagen, die ihn kennen. Nun aber kommt er im Ledermantel und mit weit aufgerissenen Augen auf die Bühne - ein richtig böser Junge. Seine Performance beginnt mit Carmina Burana, obwohl in der kaum Gitarren vorkommen, was Moredrive aber nicht daran hindert, die Zähne zu fletschen und gefährlich ins Publikum zu starren. Später geht die Musik in ein wüstes Thrash-Geschrammel über, und da ist er in seinem Element - an die 5,8 gehen die Wertungen.

Chuck Airy ist die einzige Frau im Feld, heißt eigentlich Marie von Borstel und hat sich kostümiert als Axl Rose, als der noch gut aussah. Sie liegt in der Jury-Gunst deutlich vor Kevin Raytar Hero, der auch irgendwas im Fernsehen macht, aber trotz Nietenhalsband und bauchschwabbelnder Performance nicht über 5,6 Punkte hinauskommt. Zum Schluss der Favorit: Patrick, genannt Ehrwolf, ist amtierender deutscher Luftgitarren-Meister und laut eigener Aussage "Künstler, Songschreiber und Musiker", hat also eine Gitarre zumindest schon mal von Weitem gesehen, und das würde man seinem Auftritt auch anmerken - wäre da nicht dieser pailettenglitzernde Jumpsuit, aus dem das Brusthaar quillt, ein für ungeübte Augen nur schwer zu ertragender Anblick.

Dann ist Pause vor der zweiten Runde. Auf der Bühne spielt jetzt "Sad" sehr brauchbare Metallica-Cover, ansonsten ist das Backstage-Publikum zu inspizieren: Tatoos sind Pflicht, Band-T-Shirts zumindest empfohlen, nur ein Junggesellinnen-Abschied fällt per Mickymaus-Ohren aus den Style-Vorschriften. In der zweiten Runde wird improvisiert: "Sad" spielt acht Mal hintereinander die immer gleichen 60 Sekunden, und die Kandidaten müssen zeigen, was ihnen dazu einfällt. Ehrwolf lag nach dem ersten Durchgang in Führung, aber Moredrive kommt ihm sehr, sehr nahe - die beiden sind auch die Einzigen, die den Gitarren-Break gegen Ende des Stückes sinnvoll in ihre Choreographie integrieren. Am Ende aber ist der alte Meister der neue: Ehrwolf gewinnt vor Mordedrive, Chuck Airy alias Axl Rose alias Marie von Borstel wird Dritte.

In der Halle nebenan spielt immer noch die echte - und tatsächlich ziemlich gute - Band, ihr Sänger heißt Henning Vehland und gehört eigentlich zu H-Blockx, einer in Deutschland weltberühmten Crossover-Combo. Sein Gitarrist bläst gerade, kurz vor Mitternacht, auf einer echten Gitarre ein echt tierisches Gitarrensolo durch die Boxen. So geht das, Leute.

© SZ vom 30.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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