Hasina war im Unterricht schon einmal außen vor. "Letztes Jahr hatte ich Quali-Prüfungen", erzählt die 17-jährige gebürtige Afghanin. "Davor konnte ich bei den Videokonferenzen nicht dabei sein, weil ich kein Internet hatte." Die Schule schickte ihr stattdessen Arbeitsblätter, mit denen beschäftigte sie sich allein. Ihren Quali hat sie trotzdem geschafft. Seitdem habe sich nichts geändert, sagt sie. Außerdem fehlten Rückzugsräume zum Lernen: "Man lebt nicht allein, es gibt viele kleine Kinder, die sind laut, und meine Schwester kommt die ganze Zeit ins Zimmer".
So wie Hasina geht es vielen geflüchteten Schülerinnen und Schülern in München. Die junge Frau lebt in einer Gemeinschaftsunterkunft an der Truderinger Straße, sie besucht die zehnte Klasse am Campus di Monaco, einer Montessori-Mittelschule, die von vielen Kindern mit Flucht- und Migrationserfahrung besucht wird. Von 109 Schülerinnen und Schülern leben 23 in Gemeinschaftsunterkünften, nur drei von ihnen können digital am Unterricht teilnehmen. Ein zusätzliches Problem sei, dass die Jugendlichen dort häufiger als andere Schüler unter Quarantäne stünden, weil in den Unterkünften viele Menschen eng beieinander leben, sagt Matthias Weinzierl vom Campus di Monaco. Sie seien also besonders auf das Homeschooling angewiesen.
Zusammen mit den Flüchtlingsräten von München und Bayern hat Campus di Monaco einen Brandbrief an Staatsregierung und Schulämter geschrieben, in dem sie fordern, "dass das Grundrecht auf Bildung und auf schulische Teilhabe für alle Kinder nicht zu einer hohlen Phrase verkommt". Jetzt spitzt sich die Lage wohl zu: Von diesem Mittwoch an werden an bayerischen Schulen alle Klassen ab der achten Jahrgangsstufe geteilt, es gibt Wechselunterricht, in Corona-Hotspots mit einer Sieben-Tage-Inzidenz von über 200 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohnern müssen alle daheim bleiben. Schon im vergangenen Schuljahr seien viele Schüler auf der Strecke geblieben, als die bayerischen Schulen von Präsenz- auf Distanzunterricht umstellten, schreiben Campus di Monaco und die Flüchtlingsräte in ihrem Brief.
Zuständig für die meisten Gemeinschaftsunterkünfte für Geflüchtete ist in München die Regierung von Oberbayern. Diese untersteht dem bayerischen Innenministerium - und das verweist auf den monatlichen "Betrag für Nachrichtenübermittlung", den Asylbewerber erhalten. Einen Familie mit zwei grundschulpflichtigen Kindern bekomme 99,74 Euro monatlich. Davon könne sie "neben dem Versand von Briefen auch ihren Bedarf nach Internetzugang decken". Doch das ist leichter gesagt als getan: In Gemeinschaftsunterkünften dürfen sich die Bewohner selbst kein eigenes Wlan einrichten. Anders als Strom und Gas gehört DSL auch nicht zur Grundversorgung. Zudem stünden die Adressen vieler Unterkünfte bei den Mobilfunkanbietern aufgrund vormals nicht bezahlter Rechnungen auf schwarzen Listen.
Campus di Monaco finanziert seinen Schülern daher zum Teil über private Initiativen mobile Datenpakete, um stundenweise am Distanzunterricht teilnehmen zu können. Ansonsten bleibe der Schule nur, Sozialarbeiter mit Arbeitsblättern in die Unterkünfte zu schicken, aber "kein versendetes Arbeitsblatt kann das Ermutigen, Motivieren und Unterstützen der Fachkräfte ersetzen", heißt es im Brief. Als Reaktion darauf erklärt das Kultusministerium, man habe mit einem Sonderbudget die Beschaffung von Tablets ermöglicht, die sich die Schüler ausleihen könnten. Für das Internet in den Unterkünften sei aber das Innenministerium zuständig. Dort heißt es auf Anfrage, das Problem sei bekannt und werde gelöst: "Wo es möglich ist und technisch umsetzbar, soll ein kabelgebundener Internetzugang beschafft werden." Einen Zeitplan nennt das Ministerium nicht.