Süddeutsche Zeitung

Ludwigsvorstadt/Isarvorstadt:Schutz vor Verdrängung

Der Stadtrat verlängert die seit 1988 bestehende Erhaltungssatzung im Schlachthofviertel um weitere fünf Jahre. Als nächstes will die Verwaltung prüfen, ob das Gebiet erweitert werden kann

Von Alfred Dürr und Thomas Kronewiter, Ludwigsvorstadt/Isarvorstadt

Die Beliebtheit des gesamten Stadtbezirks Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt als Wohn- und Zuzugsort für Münchner ebenso wie für Zuzügler aus ganz Deutschland und dem Ausland ist ungebrochen. In den vergangenen 15 Jahren war der Innenstadtbezirk, zu dem das Schlachthofviertel zählt, bei den Zuzügen immer unter den Top Drei der 25 Münchner Stadtbezirke. 2016 fiel die Zuzugsquote mit 19 Prozent erstmals unter die 20-Prozent-Marke. Den höchsten Wert gab es 2009 mit einer Zuwanderungsquote von 24 Prozent. Um die typische Struktur des Schlachthofviertels zu schützen, hat der Planungsausschuss des Stadtrats mit großer Mehrheit die seit 1988 bestehende Erhaltungssatzung um weitere fünf Jahre verlängert.

Vor allem alteingesessene Mieter sollen vor Verdrängung bewahrt werden. Luxussanierungen von Häusern im großen Stil sind in einem Erhaltungssatzungsgebiet nicht möglich, Mietwohnungen können nur mit Zustimmung der Stadt in Eigentumswohnungen umgewandelt werden. Gerade das Schlachthofviertel sei von der Gentrifizierung stark betroffen, sagte Stadträtin Ulrike Boesser (SPD). Die hohe Anziehungskraft des Viertels habe auch eine starke Aufwertung mit den entsprechenden Folgen für die Bewohner zur Folge.

Das Viertel gilt schon seit vielen Jahren als besonders multikulturell und lebendig. Es gibt vor allem im Bereich der Lindwurmstraße und um den Goetheplatz eine Vielzahl von Geschäften und Lokalen. Diese attraktive Mischung zieht nach Aussage des Planungsreferats auch zunehmend einkommensstärkere Bevölkerungsgruppen an. Zwischen 2012 und 2016 sind mit 7,1 Prozent im Schlachthofviertel signifikant mehr Wohnungen umgebaut worden als im übrigen Stadtgebiet. Da waren es 3,1 Prozent. Für das Planungsreferat deutet das auf ein nach wie vor hohes Aufwertungspotenzial hin.

Auch die folgenden Zahlen der Behörde sind interessant. 31 000 Euro beträgt die durchschnittliche Kaufkraft je Einwohner des Schlachthofviertels. Der Vergleichswert für die Gesamtstadt liegt bei 29 500 Euro. Andererseits gebe es im Satzungsgebiet aber auch eine nennenswerte Anzahl an einkommensschwächeren Haushalten. So verfügten 16,6 Prozent nur über ein monatliches Nettoeinkommen von maximal 1 500 Euro - ein Wert, der über dem Durchschnitt der Gesamtstadt liegt (15,2 Prozent).

Inzwischen ist die Gefahr einer Verdrängung der ansässigen Bevölkerung vor allem in den Innenstadtbereichen nicht mehr nur für Geringverdienende, sondern auch für Haushalte, die dem Münchner Durchschnitt entsprechen, vorhanden, schreibt das Planungsreferat in der Vorlage für den Stadtrat: "Selbst wenn diese Haushalte in der Lage wären, die durch Modernisierungen entstehenden Mehrkosten bei der Miete weiterhin zu tragen, besteht immer noch die Gefahr, dass eine Umwandlung von Mietwohnungen in Wohnungseigentum und als Folge gegebenenfalls eine Eigenbedarfskündigung erfolgt." Der Druck auf das Schlachthofviertel wird nicht so schnell nachlassen. Im Gegenteil: Mit der geplanten Neubebauung des Viehhof-Geländes kommt es zu einer weiteren Aufwertung des Quartiers.

Der Bezirksausschuss Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt (BA) hat sich nicht nur dafür eingesetzt, die Mitte März 2018 auslaufende Erhaltungssatzung Schlachthofviertel zumindest im bisherigen Umgriff um weitere fünf Jahre zu verlängern. Die Stadt solle auch prüfen, ob eine Erweiterung des Satzungsgebiets möglich ist.

Dabei geht es um die Gebiete nördlich der Lindwurmstraße zwischen Poccistraße und Goetheplatz sowie westlich der Thalkirchner Straße zwischen Kapuzinerstraße und Sendlinger-Tor-Platz. In diesen Bereichen gebe es in vielen Häusern noch "erhebliches Aufwertungs- und Verdrängungspotenzial", so der BA. Der Umbau des alten Arbeitsamts an der Thalkirchner Straße in einen Luxus-Wohnblock sei ein Extrembeispiel, aber es zeige, wie wichtig der Schutz von Häusern mit noch erträglichen Mieten sei. Erhaltungssatzungen böten nach wie vor eine der wenigen Chancen für die Kommune, regulierend in die Stadtentwicklung einzugreifen.

1988 wurde die erste Erhaltungssatzung für das Schlachthofviertel erlassen. Jetzt wird das Planungsreferat prüfen, ob zu der am Mittwoch beschlossenen Verlängerung auch noch eine Ausweitung des Gebiets, wie vom BA vorgeschlagen, erfolgen kann. Zunächst wollte man aber eine übergangslose Verlängerung der auslaufenden Satzung gewährleisten. Für weitere Prüfungen brauche man noch Zeit.

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Quelle:
SZ vom 18.01.2018
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