Süddeutsche Zeitung

Ludwigsvorstadt:Angst vor einem Torso aus Stahl und Glas

Hindernislauf für die Reisenden durch die Ladenzeilen und Shoppingmeilen-Ästhetik: Beim Erörterungstermin für den Bau eines 70 Meter hohen Turms am Starnberger Flügelbahnhof wird harsche Kritik geäußert

Von Julian Raff, Ludwigsvorstadt

Begeisterung hört sich anders an: Der geplante 70-Meter-Turm am Starnberger Flügelbahnhof kommt im Viertel und stadtweit an sich schon nicht allzu gut an. Noch fremder könnte der 17-geschossige Geschäfts-, Büro-, und Gastronomiebau im Bahnhofsviertel wirken, falls er am Ende isoliert da steht - sollte das teure Gesamtprojekt Bahnhofsumbau aus finanziellen oder technischen Gründen aufs Abstellgleis geraten. Anwohner, örtliche Gewerbetreibende, vor allem aber Kritiker aus den Reihen der "Altstadtfreunde München" warnten beim ersten offiziellen Erörterungstermin im Planverfahren unisono vor einem rein kommerziell genutzten Torso aus Stahl und Glas im Bahnhofensemble.

Bahnmanager, Planer und städtische Baubeamte versicherten hingegen, man wolle aus einem Guss und zügig am Stück bauen. Projektleiterin Iris Ludwig räumte allerdings ein, dass die Bahn AG mit dem Baubeginn nicht warten werde, bis der technisch schwierige Umbau der Bahnhofshalle komplett finanziert und genehmigt ist. Vorziehen möchte die Bahn den Hochhausbau offiziell vor allem deshalb, weil er unabhängig vom unterirdischen Betonrahmen ("Nukleus") für den Zugang zur zweiten Stammstrecke läuft, der den Umbau des Empfangsgebäudes bremsen könnte.

Dass der Turm überdies eine rasche Amortisation der dreistelligen Millioneninvestition und anschließende Gewinne in Form von Laden- und Büromieten verspricht, wollten die Bahnmanager gar nicht leugnen. Auf der Immobilienmesse Expo Real hätten sich bereits zahlreiche Interessenten für Läden, aber auch für die Büros gemeldet, so Ludwig. Etwas Geduld werden diese aber sicher brauchen: Eine dreijährige Bauzeit vorausgesetzt, könnte der Komplex frühestens ab 2026 eröffnen. Zuvor steht unter anderem noch ein eigenes Planfeststellungsverfahren für den Abriss des Flügelbahnhofs an, der 2010 unter Denkmalschutz gestellt wurde, sieben Jahre nach dem Neubaubeschluss samt Planerwettbewerb.

Falls der somit geltende Vertrauensschutz für Planer und Bauherren den Denkmalwert des knapp 70 Jahre alten Gebäudes überwiegt, könnten ab 2023 auf insgesamt 17 Stockwerken Geschäfte, Büros und Gastronomie entstehen, alles gekrönt von einer öffentlichen "Sky Bar" in 70 Metern Höhe. Verträglichkeit sichern sollen laut Ludwig zehn begleitende Gutachten, bis hin zu Themen wie elektromagnetischer Umweltverträglichkeit und Artenschutz. Ungeprüft bleibt aus Kritikersicht aber die Frage, was der normale Bahnnutzer und Anwohner vom geplanten "Dienstleistungs- und Kundenservice-Center" (so die Bahn) hat, wo doch die "bahnunabhängigen" (so ebenfalls die Bahn) Läden und Büros überwiegen.

Nein, man wolle kein "Shoppingcenter mit Gleisanschluss", versicherte Architekt Martin Klemp und fasste doch zusammen, was Martin Schreck, Florian Grüning und Hans Hanfstingl vom Altstadtfreunde-Verein befürchten, mit einigem Zuspruch aus dem Publikum. "Monströs" findet Hanfstingl das Gesamtkonzept. Dass der Bahn auf halber Strecke das Geld ausgehen oder der Stammstreckenbau ins Stocken geraten könnte, ist für die Altstadtfreunde ein schwacher Trost. Der Turm überm Flügelbahnhof stünde als Relikt eines überambitionierten Projekts umso sinnloser herum.

Bahnfahrern bringt das Projekt dabei nicht nur keinen Nutzen, sondern einen lästigen bis gefährlichen Hindernislauf, vorbei an den halbdurchlässigen Ladenzeilen, die das heutige Foyer des Flügelbahnhofs ersetzen sollen. Für Grüning ein Problem nicht erst im Notfall, sondern tagtäglich, wenn volle Pendlerzüge einfahren und sich Hunderte von Passagieren durch den nur noch 10 bis 15 Meter breiten Durchgang zwängen wollen. Der Weg zum zweiten Stammstrecken-Bahnhof droht bei der jetzigen Aufteilung von Geh- und Verkaufsflächen vollends zur Odyssee zu werden, so die Kritiker. Flüssigen Verkehr vom und zum Bahnhof soll unter anderem ein separates Fahrradparkhaus für Pendler in der Arnulfstraße gewährleisten. Die zweistöckige Pkw- und Radl-Tiefgarage unterm Neubau bleibt dagegen Kunden und Mitarbeitern vorbehalten.

Überreichen Diskussionsstoff boten natürlich die ästhetischen Fragen. Wenn schon das Gebäude eher nach Pasing Arcaden aussehe, als nach klassischem Bahnhof, so sollten doch wenigstens künstlerische Elemente an die Vergangenheit erinnern, regte ein Teilnehmer an. Architekt Klemp hält dagegen neue, bahnbezogene Kunst am Bau für überflüssig: "Der Eisenbahnbetrieb hat hier Zukunft". Er müsse deshalb nicht museal konserviert werden. Das abstrakte Mosaik des renommierten Münchner Künstlers Rupprecht Geiger, drüben am Hauptbau, bleibe aber erhalten, sicherte Klemp zu.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4182253
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 24.10.2018
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.