Ludwig-Thoma-Musikanten auf dem Oktoberfest:Der Code der guten Laune

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"Taaa taaa ta-taaa" - und die Bräurosl bebt: Seit 40 Jahren bringen Fred Geißer und seine Ludwig-Thoma-Musikanten das Oktoberfest-Zelt zum Kochen. Einst etablierte die Kapelle Schlager wie "Schöne Maid" in den Festzelten. Und auch den Wiesnhit 2012 glauben Geißer und seine Musiker schon zu kennen.

Tobias Dorfer

So leer wie jetzt wird die Bräurosl am frühen Abend in den nächsten 16 Tagen nicht mehr sein. Die Decke ist bereits mit den typischen gelb-blauen Stoffbändern verziert, Zinnkrüge zieren die Bretter über den Boxen, Tische und Bierbänke stehen akkurat an ihrer Position. In der Luft liegt noch nicht der Geruch von Hendlfett und Schweiß der Wiesnbesucher - dafür aber die Melodie von "Rosamunde".

Einheizer: Die Ludwig-Thoma-Musikanten unter der Leitung von Fred Geißer (Foto) treten seit 40 Jahren in der Bräurosl auf.  (Foto: privat)

"Taaa taaa ta-taaa", tönt es von der Bühne und Fred Geißer schaut zufrieden auf das Bier, das im Halbliterglaskrug leichte Wellen schlägt. "Christian, spielst du bitte", sagt einige Meter entfernt der Toningenieur ins Mikrofon und tippt auf einem roten Kasten herum. Es ist Mittwochabend und die Kapelle, die an 16 Wiesntagen das Publikum der Bräurosl zum Toben bringen soll, spielt sich für den großen Auftritt warm.

40 Jahre geht das nun schon so. Seit 1972 tritt Fred Geißer im Bräurosl-Zelt auf, zunächst als Musikant der "Dachauer Blaskapelle", die sich 1978 in "Ludwig-Thoma-Musikanten" umbenannte. Inzwischen hat der 70 Jahre alte Rentner, der die letzten 17 Jahre seines Berufslebens Betriebsratschef einer Dachauer Papierfabrik war, bei der Kapelle das Sagen.

Bei seiner ersten Wiesn, da habe er drei Nächte vor dem ersten Auftritt nicht mehr geschlafen, erzählt er, während seine Musikanten auf der Bühne proben. Und inzwischen? Geißer winkt ab. "Alles Routine."

Dass die Ludwig-Thoma-Musikanten überhaupt in der Bräurosl spielen, verdanken sie dem Bariton Hermann Prey. Damals, im Jahr 1972, ging die Nachricht durchs Land, dass in der Bräurosl eine Kapelle gesucht wird. Die Thoma-Musikanten meldeten sich daraufhin bei Festwirt Willy Heide, der lud zum Vorspiel in sein Lokal in Planegg, und am Ende war es Prey, der im Publikum saß und ein gutes Wort für die Dachauer einlegte. Seitdem sind Geißer und seine 25-köpfige Kapelle fest gebucht.

Viel hat sich in dieser Zeit getan. Denn das Oktoberfest von heute ist nicht mehr die bedächtige Wiesn von einst. Damals seien die Gäste noch ins Zelt gekommen, um Konzertmusik zu hören, erzählt Geißer. Operette habe man damals gespielt, Opern-Potpourris, Wiener Walzer und solche Sachen. Heute dienen die Wiesn-Hits zur Untermalung des geselligen Trinkens und heißen "Brenna tuats guat" oder "Schatzi, schenk mir ein Foto".

Überhaupt, die Sache mit den Wiesn-Hits. Da habe er ein Händchen, sagt Fred Geißer nicht ohne Stolz. Gassenhauer wie "Bubi, Bubi noch einmal" oder "Schöne Maid" haben die Ludwig-Thoma-Musikanten aufs Oktoberfest gebracht, erzählt der Kapellen-Chef.

Und weil die Titel, die auf dem Oktoberfest gut laufen, auch außerhalb der Theresienwiese Hit-Potenzial haben, bekommt Geißer immer wieder Noten zugeschickt - versehen mit der Bitte, man möge sich die Lieder doch mal anschauen und auf der Wiesn spielen.

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in Bildern.

Vor einigen Tagen landeten Noten eines Songs mit dem Titel "Trink mer noch a Maß" auf seinem Schreibtisch. Geißer hat kurz drübergelesen und abgelehnt. "Das kennt keiner", sagt er. Größere Chancen auf den Wiesnhit 2012 rechnet der Kapellenchef da Mickie Krauses "Nur noch Schuhe an" oder - etwas bedächtiger - "Tage wie diese" aus dem aktuellen Album der Toten Hosen aus. Im vergangenen Jahr wurde Schlager-Schönling Andreas Gabalier mit "I sing a Liad für di" hoch gehandelt. "Lief aber gar nicht", sagt Geißer. Nun will er die Gabalier-Dosis reduzieren.

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Auf der Bühne wird unterdessen mit Zahlen hantiert. Der Toningenieur legt mit den Musikern die Einstellungen für die Auftritte fest. Lautstärke und Klangfarben werden programmiert, jede Musikart bekommt ihren eigenen Code. 12 ist der Sound für die Blasmusik. 15 heißt moderne Musik, 17 steht für Sologesang, und so geht es weiter.

Im vergangenen Jahr, erzählt Fred Geißer, hätte er zunächst keinen Toningenieur engagiert. Dann habe am ersten Wochenende der Wirt geredet, irgendjemand sei zu nahe an den Kontrolllautsprechern gestanden, und plötzlich durchdrang das Zelt ein ohrenbetäubendes Pfeifen. "Peinlich", sagt Geißers Frau. Passiert halt, sagt der Kapellen-Leiter.

Fred Geißer hat schon viel erlebt in 40 Jahren Bräurosl. Da können ihn auch keine dröhnenden Lautsprecher aus der Ruhe bringen. Geißer weiß, wie er wann reagieren muss. Zum Beispiel, wenn Münchens Oberbürgermeister vorbeischaut. Entweder sieht Geißer selbst, dass Ude das Zelt betritt. Oder er bekommt ein Zeichen. Dann ist klar: "Il Silenzio" wird angestimmt, Udes Lieblingslied. Im Idealfall laufen dann sechs Posaunen auf die eine Empore des Zeltes, sechs Trompeten auf die andere Empore, und ein Solo-Trompeter bläst auf der Bühne in sein Instrument.

Auch am ersten Wiesn-Wochenende, wenn in der Bräurosl die Schwulen und Lesben zum Gay-Sunday kommen, wissen die Ludwig-Thoma-Musikanten genau, was von ihnen erwartet wird: "Heidi" und "Er gehört zu mir" von Marianne Rosenberg - jeweils mindestens fünfmal. Und zum Abschluss des Abends wird das Wiesn-Publikum mit "Angels" von Robbie Williams verabschiedet - wie an jedem Tag.

Ansonsten wird das Programm spontan zusammengestellt. Geißer schreibt immer drei oder vier Nummern auf eine Tafel, hält sie seinen Musikern entgegen und die wissen dann Bescheid. Wenn der Kapellen-Leiter sieht, dass viele Bedienungen an der Essensausgabe stehen, heißt das für ihn: Tempo und Lautstärke reduzieren. "Denn beim Essen wollen die Leute nicht gestört werden." Auch ab 14.30 Uhr verzichtet Geißer erst einmal auf die schnellen Nummern. "Da müssen wir die Stimmung etwas runterfahren." Schließlich sei um halb fünf Reservierungswechsel: "Sonst gehen die Leute nicht heim."

Irgendwann ist halt Schluss - für die Gäste, wenn die Reservierung ausläuft und für Geißer und seine Musiker nach 16 Tagen Wiesn-Marathon. Aber dann geht es auch schon weiter zur After-Wiesn nach Niedersachsen. In Golmbach, 70 Kilometer südlich von Hannover, wird auch ein Oktoberfest gefeiert. In diesem Jahr sogar mit einer richtigen Wiesn-Kapelle: den Ludwig-Thoma-Musikanten aus Dachau. Aber dann reicht es Fred Geißer auch. Zusammen mit seiner Frau fährt er anschließend nach Südtirol. "Da will ich dann keine Blasmusik mehr hören."

© SZ vom 20.09.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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