Lohn-Dumping am Bau:"So geht man nicht mit Menschen um!"

Arbeiter schuften an einer Münchner Großbaustelle für gerade einmal drei Euro in der Stunde. Schuld daran haben will niemand.

Bernd Kastner

Manchmal verheddert sich die Gerechtigkeit im Recht. Dann argumentiert jeder juristisch und klagt sein Leid, bis vor lauter Opfer keine Täter mehr übrig bleiben. So wie in dieser Geschichte, in der es nur Opfer zu geben scheint. So sehen es zumindest die unmittelbar Beteiligten, als da sind: die Stadt München in Gestalt der Münchenstift; der Baukonzern Hochtief; ein türkischer Unternehmer, derzeit sesshaft in Stadelheim; und 37 Bauarbeiter, ebenfalls Türken.

Dumping-Lohn am Bau: "So geht man nicht mit Menschen um!"
(Foto: Foto: ddp)

Juristisch gesehen geht es um Lohnwucher, man könnte es aber auch Ausbeutung nennen. Während die Politik heftig über die generelle Einführung von Mindestlöhnen diskutiert, hätten diese Arbeiter Anspruch darauf, weil es diesen am Bau längst gibt. Allein die Türken haben statt des vorgeschriebenen Nettomindestlohns von acht Euro neun Cent gerade mal drei Euro erhalten. Tricksereien sind kein Einzelfall in der Branche, aber selten werden die Unverantwortlichkeiten so offensichtlich.

Es war der 8. März, als Mitarbeiter des Zolls, genauer gesagt der Finanzkontrolle Schwarzarbeit, einer Baustelle in der Agnes-Bernauer-Straße in Laim einen Besuch abstatteten. Sie waren nicht das erste Mal da, erzählt ein Fahnder. Bei einer vorhergehenden Prüfung sei man stutzig geworden, einiges deutete auf Lohnwucher hin, wie die Unterbezahlung formal genannt wird.

Drei-Euro-Job

Meist aber rücken die Arbeiter nicht raus mit der Wahrheit, weil ihnen ein Drei-Euro-Job, den sie haben, lieber ist als ein Acht-Euro-Job, den sie nicht haben. Und weil ein deutscher Hungerlohn für einen Arbeiter aus Ost- oder Südosteuropa immer noch viel Geld ist.

Diesmal aber haben sie ausgepackt, und die Beamten nahmen Isfendiyar Y., den Chef des türkischen Subunternehmens, mit. Seither sitzt er in Stadelheim in Untersuchungshaft. Seine Arbeiter waren ihre Jobs los und sind wenige Tage später in ihre Heimat zurückgereist.

Nun ist dies keine x-beliebige Baustelle in Laim, sondern eine der Münchenstift. Der städtische Träger von Altenheimen lässt dort für rund 23 Millionen Euro ein Pflegeheim für 215 alte, kranke Menschen errichten, und ausgerechnet dort, wo Fürsorge walten soll, werden Menschen um ihren Lohn betrogen.

Gerd Peter ist sehr verärgert. Der Münchenstift-Chef sieht seinen Betrieb als Opfer von - ja, das wenn er wüsste. Des Subunternehmers? Oder von Hochtief? ,,Wir wollen'', sagt er, ,,dass die Dinge auf den Tisch kommen.'' Alles in seiner Macht Stehende wolle er tun, damit die Arbeiter ihr Geld bekommen. Er gebraucht Worte wie ,,Rufschädigung'' und ,,Sauerei'' und sagt Sätze wie: ,,So geht man nicht mit Menschen um!'' und: ,,Wir werden mit aller Härte durchgreifen.'' Im Vertrag mit dem Generalunternehmer Hochtief sei festgelegt, sagt Peter, dass auf der Baustelle die Tariflöhne bezahlt werden. Was wolle man als Auftraggeber mehr tun?

"So geht man nicht mit Menschen um!"

Es ist in dieser Geschichte nicht das einzige Papier, auf das sich die Beteiligten berufen, und nicht das einzige, das die Verantwortung von A auf B überträgt. Und so stützt sich auch Bernd Pütter, Sprecher von Hochtief, auf ein Papier, um die Unschuld seines Unternehmens darzutun. Die Arbeiter hätten gegenüber Hochtief schriftlich bestätigt, dass sie den Mindestlohn erhalten hätten. Wie also solle man auf die Idee kommen, dass dies nicht stimme? Zumal man mit dem Subunternehmer bislang schon ,,mehrere Projekte'' abgewickelt habe, immer ,,ohne Probleme''.

"Vorzeigeunternehmen" Hochtief

Nun aber habe der seine Arbeiter um ihren Lohn gebracht und zudem Hochtief in ein schlechtes Licht gerückt, ausgerechnet Hochtief, das ,,Vorzeigeunternehmen'' in Sachen Gesetzestreue. Außerdem habe man sich, ohne verpflichtet zu sein, schon sehr kulant den Arbeitern gegenüber gezeigt. Hochtief habe ihnen 200 Euro für die Heimreise gegeben und die Wohnheimkosten teilweise übernommen. Pütter fasst die Situation seines Konzerns so zusammen: ,,Wir sind auch Geschädigte.''

Dieser Logik nach muss also Isfendiyar Y. der Täter sein. Der spricht über seinen Anwalt Klaus Höchstetter, und der sagt, dass auch sein Mandant Opfer sei. Opfer von Hochtief. Weil nämlich Hochtief Gelder nicht ausbezahlt habe, die seinem Mandanten aufgrund der von seinen Arbeitern erledigten Arbeit zugestanden hätten. ,,Abzüge ohne Ende'' habe die kaufmännische Abteilung von Hochtief vorgenommen, und das bei Rechnungsposten, die von den Bauleuten beider Seiten vor Ort genehmigt gewesen seien.

Weil er also zu wenig Geld bekommen habe, habe er logischerweise zu wenig an seine Arbeiter weitergeben können. Denn als kleiner Unternehmer, der seine Leute je nach Bedarf anheuere, habe er nicht das Kapital, die Lohnkosten für eine solche Baustelle vorzufinanzieren. In die eigene Tasche habe Y. jedenfalls nichts gesteckt. Seine Verwandten hätten Geld für eine Kaution gesammelt, doch trotzdem habe man ihn nicht rausgelassen. Höchstetter sagt über seinen Mandanten, der in Stadelheim auf seinen Prozess wartet: ,,Er geht wirtschaftlich ruiniert aus der Geschichte raus.''

Mindestlöhne unmöglich

Ein Kurzgutachten, das von der Staatsanwaltschaft in Auftrag gegeben wurde und der SZ vorliegt, vermerkt, dass gemäß der ursprünglichen Vertragsgestaltung zwischen Hochtief und dem Subunternehmer die Bezahlung des Mindestlohnes ,,theoretisch möglich gewesen'' wäre. Die tatsächlich ausgezahlten Beträge aber hätten für den Mindestlohn ,,zu keiner Zeit ausgereicht''.

Statt 400000 Euro seien nur 165000 geflossen, was unterm Strich rund drei Euro pro Stunde mache. Hochtief-Sprecher Pütter erklärt die Abzüge vor allem mit zwei Gründen: Angesichts der sich abzeichnenden Insolvenz habe man Gelder zurückgehalten, zudem habe es Baumängel gegeben. Beides sei ,,üblich''.

Bettina Ogidan, Anwältin, spricht gleich für 37 Mandanten, 36 Arbeiter und einen Bauleiter. Sie will deren Geld eintreiben, und so macht sie folgende Rechnung auf: Seit November 2006 waren ihre Mandanten auf der Baustelle der Münchenstift tätig, von Montag bis Freitag, von sieben bis 18 Uhr, samstags von sieben bis 14 Uhr, ergibt, abzüglich Pausen, 915 Stunden bei den meisten. Mal 8,09 Euro Nettostundenlohn. Minus ausbezahlter Lohn. Bettina Ogidan hat eine lange Liste bei Gericht eingereicht:

Ali A. zum Beispiel habe demnach 1900 Euro netto bekommen, 5502,35 Euro stünden noch aus.

Yusuf A.: 2105 Euro erhalten, 5297,35 fehlen.

Sami A.: 2125 Euro erhalten, 5277,35 fehlen.

Adem A.: 2600 Euro erhalten, 4802,35 fehlen.

Und so weiter. Insgesamt fehlen knapp 170000 Euro netto, rechnet Ogidan. Später wird sich zeigen, dass auch dieses Papier wenig wert ist.

Firmenkonstruktionen, wie sie am Bau üblich sind, schaffen Arbeitsplätze auch in Deutschland - bei der Truppe von René Matschke vom Hauptzollamt, die hinter solchen Machenschaften her ist, auch im Rahmen von Werkverträgen wie in diesem Fall. Diese Verträge ermöglichen die Beschäftigung ausländischer Arbeiter zu bestimmten Kontingenten. ,,Bei Werkverträgen sind Dumpinglöhne Standard'', sagt Matschke: ,,Das weiß jeder, es gibt aber keiner zu.''

Der für die Münchenstift-Baustelle zuständige Fahnder erklärt, dass die Beschäftigten trotzdem das Gegenteil erklärten: ,,Osteuropäer unterschreiben das immer'', sagt der Ermittler. Sonst wären sie ihren Job sofort los. ,,Diese Bescheinigungen sind nicht das Papier wert, auf das sie geschrieben sind.''

"So geht man nicht mit Menschen um!"

Um Papiere wie dieses aber wird es vor den Gerichten gehen, und zuerst in den Ermittlungen. Bald will die Staatsanwaltschaft Anklage erheben gegen Y., dem sie Lohnwucher vorwirft. Der Mann sei geständig, berichtet Anton Winkler, Sprecher der Staatsanwaltschaft, gebe die Schuld aber an Hochtief weiter. Winkler will nicht mehr sagen zu den Ermittlungen, nur, dass so ein Fall nicht selten sei, und die Ermittler sich generell auch fragen: Was hat das deutsche Unternehmen, das den ausländischen Subunternehmer angeheuert hat, gewusst von den Dumpinglöhnen. Die Antwort darauf kann weitreichende Folgen haben für den deutschen Generalunternehmer, bis zum mehrjährigen Ausschluss von Bauvergaben der öffentlichen Hand.

Zahlungsunfähiger Subunternehmer

Zuerst aber trifft man sich vor dem Arbeitsgericht in der Winzererstraße. Dort ergibt sich eine interessante Konstellation: Der Subunternehmer stellt sich auf die Seite seiner unterbezahlten Arbeiter. Via Anwalt erkennt er die Forderung im Grunde nach an: ,,Wir sind interessiert daran, dass die Arbeiter ihr Geld bekommen'', sagt Höchstetter. Doch Y. ist zahlungsunfähig. In diesen Fällen müsste der Hauptauftraggeber, also Hochtief einspringen, denn der ist formal Bürge.

Doch der Konzern aus Essen, einer der Riesen in der Branche, weist die Forderung der Arbeiter zurück, diese seien ,,inhaltlich nicht schlüssig dargelegt''. Man will exakte Aufstellungen. Welcher Arbeiter hat wann wie lange gearbeitet? Hochtief selbst führe keine Aufzeichnungen über die Stundenzahl der Arbeiter auf der eigenen Baustelle, auch der Bauleiter habe ,,keine Kenntnis'', wer wann arbeitet. Wie aber will Bettina Ogidan im Namen ihrer Mandanten die genauen Arbeitszeiten ermitteln? Die Aufzeichnungen auf dem Bau sind meist ungenau und unvollständig. ,,Das könnte sehr schwer werden'', sagt die Anwältin.

Ihre Kollegin, die für Hochtief da ist, sagt nur, dass sie nichts sage. Sie verweist auf den Schriftsatz, in dem steht, dass man notfalls, falls Hochtief zahlen müsse, mit den übernommenen Reisekosten aufrechne. Und überhaupt stelle man in Abrede, dass die Anwältin von den Arbeitern korrekt bevollmächtigt worden sei. Später wird die Hochtief-Vertreterin noch sagen, dass sie ihren Namen nicht in der Zeitung lesen wolle.

Der erste Termin am Arbeitsgericht nennt sich Güteverhandlung, um einen Kompromiss zu finden, um Zeit und damit Geld zu sparen und sich der Gerechtigkeit anzunähern. Man sollte jetzt meinen, dass der Richter sich bemüht, die Parteien zusammenzubringen, schon allein der betrogenen Arbeiter wegen.

Skandalöse Gerichtsverhandlung

15 Minuten hat der Richter angesetzt, und er gibt gleich zu verstehen, dass er, der demnächst in Pension geht, wenig Lust auf diesen Fall hat: ,,Über 36 Leute soll ich mit Ihnen reden?'' ruft er in Richtung der Klägeranwältin. Die möchte die Vorgeschichte des Falles thematisieren, doch der Richter sagt: ,,Die Vorgeschichte will ich gar nicht kennenlernen.''

Im Saal sitzt der zuständige Staatsanwalt, ihn interessiert, ob es zu einer Einigung kommt, denn kriegen die Arbeiter ihr Geld, würde sich das strafmildernd für Y. auswirken. Stattdessen wird er Zeuge, wie der Richter gedrängt werden muss, die prinzipielle Anerkenntnis der Forderung durch den Subunternehmer ins Protokoll zu schreiben. Es fallen Worte wie ,,Schwachsinn'' (der Richter zu sich selbst) und ,,Irrsinn'' (Richter zur Klägeranwältin) und ,,Skandal'' (die Klägeranwältin zum Richter), die Atmosphäre wird von Minute zu Minute giftiger.

Als dennoch das eigentliche Ziel der Güteverhandlung in greifbare Nähe rückt und sich eine Lösung andeutet, ruft der Richter: ,,Wozu brauchen Sie einen Richter? Sie müssen untereinander reden! Ich fühle mich komplett überflüssig!'' Es klingt, als hätte sich dieser Fall ein weiteres Opfer gesucht. Einen Richter, dem kurz vor dem Ruhestand die Paragraphen zumuten, 37 türkischen Arbeitern zu ihrem Recht zu verhelfen.

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