Lochhausen:Zuhause, in der Unterkunft

In einem neuen Flüchtlingsheim im Münchner Westen leben fast nur Männer. Die Betreuerinnen sind überrascht, wie gut das geht

Von Ellen Draxel

Das Erste, was beim Betreten des zweistöckigen Holzhauses an der Langwieder Hauptstraße auffällt, sind die offenen Bürotüren. Es ist kurz nach halb acht in der Früh, Inge Knobloch ist schon da und hat Besuch. Einer ihrer Schützlinge ist gekommen, er redet leise auf sie ein. Ein paar Meter weiter im Gang schrubbt ein junger Mann mit gelber Warnweste geflissentlich den Linoleumboden. Beim Vorbeigehen grüßt und lacht er freundlich, seine weißen Zähne blitzen in dem dunkelhäutigen Gesicht.

"Ich bin richtig glücklich mit diesem Männerhaufen", sagt Knobloch kurze Zeit später. Seit einem Monat leitet die 54-Jährige mit viel Engagement und Empathie die Flüchtlingsunterkunft in Lochhausen. Die Arbeit, bekundet sie mit Nachdruck, sei ihr Traumjob. Jeden Abend gehe sie erfüllt nach Hause, verabschiedet mit "Have a nice evening"-Wünschen.

Am Anfang, das gibt Knobloch zu, habe sie durchaus Bedenken gehabt. Auch im Viertel gab es Bedenken. 230 Männer, vornehmlich aus Schwarzafrika, bezogen überraschend am 28. Dezember drei der vier Trakte des Neubaus am Ortsrand von Lochhausen. Die Regierung von Oberbayern hatte die Unterbringung der Alleinstehenden an der Langwieder Hauptstraße angeordnet, die meisten von ihnen waren zuvor im Fürstenfeldbrucker Fliegerhorst untergebracht. Gerechnet hatten Knobloch und ihr Team genauso wie die Lochhausener Anwohner mit dem Zuzug von Familien. Inzwischen aber weiß die Leiterin: "Die Probleme, die die jungen Menschen mitbringen, lassen sich gut handhaben, wenn man präsent ist." Sehr aufgeschlossen und hilfsbereit seien die Männer: "Begegnet man ihnen respektvoll und hat ein offenes Ohr für ihre Bedürfnisse, honorieren sie das mit Offenheit und dem Willen, ihr Bestes zu geben."

Einige der Bewohner winken fröhlich durchs Fenster, bepackt mit Rucksack und offensichtlich in Eile. Sie sind auf dem Weg zur Schule, aber spät dran. "Die jungen Leute sind pflichtbewusst, wollen rechtzeitig da sein", sagt Petra Bauer. Die Sozialpädagogin managt die Asylsozialberatung und sagt, sie habe "noch nie eine Arbeitsstelle gehabt, in der die positive Stimmung so dominierte". Wenn Knobloch oder Bauer durch die Gänge gehen, schallt ihnen ein fröhliches "Hi Mum" entgegen. Für die Männer ist das Betreuungsteam wie eine zweite Familie: Eine Kollegin von Bauer nennen sie "Sister", Knoblochs Stellvertreter ist für sie nur der "Boss".

Die Asylsuchenden aus der Langwieder Hauptstraße, davon sind beide Chefinnen überzeugt, wollen sich "wirklich integrieren". Bereits am zweiten Tag nach ihrer Ankunft baten sie um Arbeit. "Sie helfen uns alle ehrenamtlich beim Aufräumen, beim Reinigen, melden sich an und sind dann auch pünktlich da." Einige arbeiten inzwischen bei der Münchner Tafel mit, andere haben Jobs mit geringer Bezahlung. Etwa 30 Bewohner besuchen regelmäßig am Sonntag den Gottesdienst, der Pfarrer hält einen Teil seiner Predigt bereits in Englisch. Deutschkurse und einen Fitnessraum, bestückt mit Spenden der Nachbarn, gibt es in der Unterkunft auch schon. Nun sollen noch eine Laufgruppe, Schwimmkurse und Aktionen wie Spaziergänge durch die Stadt initiiert werden. Erst kürzlich, erzählt Bauer, seien einige der Männer mit Bürgern aus Lochhausen beim Schlittenfahren gewesen. "Wir haben noch schnell Skihosen und Schlitten organisiert, bevor alle in voller Montur Richtung Teufelsberg losgezogen sind."

Bislang, betonen Knobloch wie Bauer, gebe es zwischen den Männern keine ernstzunehmenden Konflikte. "Wir haben darauf geachtet, Nationalitäten zusammenzulegen, die gut harmonieren - aber inzwischen mischt sich das." Nigerianer helfen mittlerweile Somalis und umgekehrt - ein Miteinander, von dem zuvor kaum einer zu träumen gewagt hatte. Zu verdanken ist dieser Erfolg der engmaschigen Betreuung, rund um die Uhr stehen in der Einrichtung kompetente Ansprechpartner zur Verfügung. "Unser Team spricht fast alle Sprachen", sagt Inge Knobloch. Nicht nur Englisch, das ist ohnehin Voraussetzung. Auch Dari, Farsi, Paschto und Arabisch. Ein Mitarbeiter kommt sogar aus Somalia.

Unterstützt werden die Flüchtlinge bei Behördengängen und Arztbesuchen, sie bekommen aber auch viel von der europäischen Kultur vermittelt. "Wir bringen ihnen zum Beispiel bei, dass man bei uns anklopft, wenn man etwas braucht", erklärt Petra Bauer. Die jungen Männer lernen, dass man die Küche nach dem Kochen wieder sauber hinterlässt, dass Termine einzuhalten sind, wie der Müll zu trennen ist und dass der Bus nicht einfach irgendwann, sondern nur zu bestimmten Zeiten vorbeikommt. Und, ein besonders schwieriges Kapitel: wie der MVV funktioniert. "Wenn sie das anfangs nicht beherrschen, dann ist das keine Boshaftigkeit, sondern einfach nur Unkenntnis und Erstaunen", sagt die Sozialpädagogin. In den Ländern, aus denen die Asylsuchenden kämen, gebe es die Kultur der Pünktlichkeit nicht, ebenso wenig wie Bushaltestellen oder Müllcontainer. "Müll stinkt, also muss er durchs Fenster raus aus dem Haus - so haben sie es als Kinder beigebracht bekommen." Strafzettel wegen falsch ausgestellter Fahrkarten gibt es öfter. Statt 2,80 Euro lösen die Männer zweimal 1,40 Euro, doch das gelte bei der Bahn nicht, kritisiert Bauer. "Da ist leider keine Toleranz gegeben."

Gelernt, das betonen Knobloch und Bauer, hätten auch sie in den vergangenen vier Wochen viel. Wie gastfreundlich und lebensbejahend die Menschen sind, trotz nervenzerreißenden Situationen mit Angst vor Abschiebung, permanentem Kofferpacken und Trennung der Familien. "Die Männer sind fast immer gut drauf, weil sie eine unglaubliche Ehrfurcht vor dem Leben haben", sagt Bauer. "Davon können wir nur lernen." Wenn sie sich und anderen etwas Gutes tun wollen, kochen die jungen Männer - und bringen dann dem Team immer etwas mit. Ob sie aber auf deutsches Brot stehen, da sind sich Bauer und Knobloch noch nicht ganz sicher. Als eine Nachbarin vor wenigen Tagen Vollkornbrot verteilte, meinte einer: "Is this wood?" (Ist das Holz?) So etwas hatte er noch nie gesehen.

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