Schau:Briefe an Muttl

Die talentierte Kunststudentin Ida Junginger studiert von 1931 bis 1933 in München. Eine Ausstellung erinnert an eine selbstbewusste Frau

Von Nicole Graner, Lochhausen

"Liebes Muttl!" Es ist eine liebevolle Anrede. Eine, die spüren lässt, dass die Beziehung zwischen Mutter und Tochter eine sehr innige und offene gewesen sein muss. In der Tat. Ida Junginger liebte ihre Mutter sehr. Sie schrieb ihr viele Briefe, bat sie um Rat und erzählte von ihren Erlebnissen in der Stadt München. Sie liebte sie so, dass sie nach ihrem Studium wieder zu ihr zog und sie bis zu ihrem Tod pflegte.

Aber wer war Ida Junginger? 1911 in Nürnberg geboren, war sie eine äußerst talentierte Künstlerin und später eine bei ihren Schülern sehr beliebte Kunsterzieherin. Schon als 17-Jährige zeigte sich, dass ihr der Sinn für das Schöne, Ästhetische und der richtige Blick für Perspektive und Farben in die Wiege gelegt worden waren: Sie zeichnete mit feinem Strich, malte filigrane Aquarelle, fertigte Scherenschnitte und detailgenaue Radierungen. Sie war eine gute Mathematik-Schülerin und hatte eine sehr gute Stimme - bei musikalischen Aufführungen der Schule sang sie die Soli. Viele Talente brachte sie mit. Aber sie entschied sich, wohl einer inneren Sehnsucht folgend, für die Kunst. Zum Leidwesen ihres Vaters.

Nach der Mittleren Reife am Mädchenlyzeum begann sich Ida Junginger mit vielen Zeichnungen auf das Studium an der Nürnberger Staatsschule für Angewandte Kunst vorzubereiten. Dort studierte sie vier Semester. Dann ging sie nach München. Und sie studierte weiter an der Staatsschule für Angewandte Kunst an der Luisenstraße 37. Vom Sommersemester 1931 bis zum Wintersemester 1932/33. Wie richtig ihre durchaus selbstbewusste Entscheidung war, Kunst zu studieren, um Zeichenlehrerin zu werden, mag sich daran gezeigt haben, dass Ida immer glücklich war, wenn es um Kunst ging - und stets in sich. Noch als 98-Jährige hält sie einen Vortrag über Picasso.

Schau: Ida (rechts) und drei Freundinnen vor der Staatsschule für Angewandte Kunst an der Luisenstraße 37, dahinter die Technische Hochschule um 1932.

Ida (rechts) und drei Freundinnen vor der Staatsschule für Angewandte Kunst an der Luisenstraße 37, dahinter die Technische Hochschule um 1932.

(Foto: privat)

Dass man ihren Spuren so gut folgen kann, ist ihrer Leidenschaft zu verdanken, alles, woran sie hing, aufzuheben. Und der Akribie ihres Neffen, Dieter Birmann, den Nachlass der Künstlerin zu durchforsten. Nach dem Tod Idas 2012 - ein knappes Jahr nach ihrem 100. Geburtstag - findet Birmann auf dem Speicher seiner Großtante Ida Bilder über Bilder, unzählige Zeichnungen Briefe, Ausweise - Dokumente eines Lebens, das, wie Birmann sagt, ein "reiches, ein ausgefülltes" war. In einer kleinen Ausstellung hat er nun besonders den Fokus auf die Münchner Studienzeit gelegt.

Schau: Ihr Zimmer an der Schellingstraße skizzierte Ida natürlich. Für ihr "Muttl".

Ihr Zimmer an der Schellingstraße skizzierte Ida natürlich. Für ihr "Muttl".

(Foto: privat)

"Liebes Muttl! Ich habe ein herrliches Zimmer. (. . .) Allerdings kostet es 45 Mark mit Bedienung, Licht und Frühstück. Ich habe ein weißes Metallbett. (. . .)", schreibt Ida am 19. April 1931. Genau schildert sie ihrer Mutter ihr neues Zuhause an der Georgenstraße 110. Voller Stolz und Glück. Sie erzählt von der Schule mit "lauter Gängen und Höhlen, Löchern von Schulzimmern und Hallen von Ateliers". Ida liebt ihr Studentenleben. Die Professoren loben ihre Arbeiten, und die Frau, die offen, selbstbewusst, aber auch liebenswert und sensibel gewesen sein muss, findet schnell Anschluss. Das Verhältnis zu den Vermietern ist schnell ein warmherziges. "Sie zählen mich ganz als Familienmitglied", schreibt die Kunststudentin eine Woche später an ihr "Muttl". Auch berichtet sie vom Brandanschlag am 15. Juni 1931, der den Münchner Glaspalast zerstörte - und 3000 Bilder der Jahresausstellung "Malerei der Romantik". "Ganz München ist in Aufregung und bestürzt über dieses gemeine Attentat. Hier ist wirklich gefährlich auszustellen." Aber nur einen Tag später bittet sie die Mutter um Rat - ob sie auf ein Atelierfest des Künstlers Göschel gehen solle. Man liest in den Zeilen, dass die junge Frau gerne hingehen würde. Ob sie gegangen ist? Geschrieben hat sie es nicht. "Bestimmt", glaubt Birmann. "Meine Tante war so lebensfroh." Später zieht Ida um. "Liebes Muttl, ich habe ein sehr nettes Zimmer. Es ist allerdings in der Schellingstraße. Das ist aber noch im guten Viertel." Bescheiden lebt die Studentin, führt genau Buch, was sie ausgibt, um die Mutter finanziell nicht zu sehr zu belasten. Für eine Suppe zahlt sie fünf Pfennig, für die Monatskarte der Tram 2,50 Mark. Ihr Monatsbudget: 100 Mark. Am 25. März 1933 bekommt Ida Junginger ihr Prüfungszeugnis. Ihr Durchschnitt: 1,6. Allerdings: Eine 1,5 hätte sie gebraucht, um sofort eine Anstellung als Zeichenlehrerin zu bekommen. Ida kämpft um das fehlende Zehntel. Vergebens. Erst 1935 wird sie Lehrerin. In Nürnberg, als sie wieder zu ihrer seit 1932 verwitweten Mutter zurückgezogen ist. Sie hat nun einen Job, der beide Frauen finanziell absichert. "Muttl" stirbt 1964, stets umsorgt von Ida. Geheiratet hat die hübsche Frau nie. Ihre große Liebe verunglückte tödlich. " Dieser Mann wäre der Mann fürs Leben gewesen", muss sie ihrem Neffen einmal gesagt haben.

"Meine Großtante", erinnert sich Dieter Birmann, "war eine kleine Kämpferin, eine wunderbare, sehr sozial eingestellte Frau und ein guter Gesprächspartner." Jeden Sonntag, während der Tatortzeit, hat Birmann mit seiner Großtante telefoniert. Und das fehle ihm heute richtig. Seine Familie habe "Tante Ida" sehr geschätzt, man sah sich, so oft es ging. Die Ausstellung sei nun eine Hommage an sie, die zeitlebens keine eigene Ausstellung gehabt hat. Vieles gäbe es über eine Frau noch zu berichten, die selbstbewusst ihren künstlerischen Weg ging. Und die mit ihren Bildern, aber auch in den Briefen das Bild einer talentierten Künstlerin spiegelt, die in einer schwierigen politischen Zeit zielbewusst umsetzte, wovon sie träumte. Dieter Birmanns aufwendige und liebevolle Recherchearbeit hat sich gelohnt: Das Münchner Stadtarchiv wird den Nachlass dieser Künstlerin, besonders die Dokumentation ihrer Münchner Zeit, bewahren.

"Ida Junginger - Kunststudentin in München und Künstlerin": zu sehen bis 17. Mai, Evang. Gemeindezentrum Bartimäus, Giggenbacherstraße 20, Samstag und Sonntag, 14 (Führung) bis 16 Uhr, Vereinbarungen unter Telefon 864 12 89. Eintritt frei.

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