Lochhausen:Ausflug ins Raritätenkabinett

Das Aubinger Moos ist ein zwölf Quadratkilometer großes Biotop mit seltenen Tier- und Pflanzenarten. Die Moorlandschaft bietet beste Bedingungen für den Naturkundeunterricht. Unterwegs mit einer Schülergruppe zu Knabenkraut und Helm-Azurjungfer

Von Ellen Draxel, Lochhausen

Der Gesang klingt vertraut. "Di-di-di-di-di-di-düüü", zwitschert die Goldammer - doch als Nicht-Vogelkundler lässt sich die Arie nur schwer aus dem vieltönigen Stimmengewirr auf der Wiese herausfiltern. 17 Mädchen und Jungen der Grundschule am Schubinweg und ihre Lehrerin Kathrin Treichel spitzen an diesem Vormittag im Aubinger Moos die Ohren. Sie versuchen, das Tirili auszumachen, aber alles, was sie hören, ist die Feldlerche. Bei Regen wie an diesem Tag, erklärt ihnen Matthias Schwahn, lasse das Goldammer-Männchen seinen Lockruf eher ungern erschallen. Schade - der Gesang wäre das Zuckerl der Exkursion in die Moorlandschaft gewesen. Denn, dass die Schüler den Wiesenbrüter nicht sehen würden, hatte der Landschaftsarchitekt der Klasse 4 a schon tags zuvor bei einem Unterrichtsbesuch erklärt.

Die Goldammer gehört zu den bedrohten Tierarten. "Einst war dieser Vogel eine Allerwelts-Art", sagt Schwahn. Doch inzwischen gebe es in Deutschland "alarmierende Bestandseinbrüche". Naturschützer schätzen die Zahl auf zwischen einer Million und 2,8 Millionen Tieren. Der Grund: Die Goldammer nistet am Boden oder bodennah, meist in der Nähe von Hecken, Säumen oder Gräben. Solche Kleinstrukturen werden immer weniger, zudem wird auf vielen Kulturflächen gedüngt oder gespritzt. Die Rote Liste Deutschlands führt den kleinen Singvogel bereits als "Art der Vorwarnliste".

Lochhausen: Landschaftsarchitekt Matthias Schwahn (ganz rechts) vermittelt einen kindgerechten Zugang zum Naturschutz.

Landschaftsarchitekt Matthias Schwahn (ganz rechts) vermittelt einen kindgerechten Zugang zum Naturschutz.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Matthias Schwahn gehört zum Umsetzungsteam des Arten- und Biotopschutz-Programms Bayern-Netz-Natur. Er, der als Kind selbst die Lochhausener Grundschule besucht hat, jetzt in Aubing wohnt und "überhaupt mit dem Münchner Westen verheiratet ist", wie er sagt, engagiert sich dort für das Projekt "Aubinger Moos". Exkursionen sind fester Bestandteil dieses Projekts - weshalb Schwahn und sein Team in den vergangenen Jahren schon öfter mit Dritt- und Viertklässlern der umliegenden Grundschulen zu den Behausungen der unterschiedlichsten Moorbewohner unterwegs waren.

Schlechtes Wetter gibt es für die Forscher nicht, ihren Enthusiasmus können weder Nässe noch Kälte bremsen. Einmal allerdings musste die Wanderung ins Moos tatsächlich verschoben werden: Der Teich, in dem der Springfrosch hätte beobachtet werden sollen, war zugefroren und mit einer dicken Schneedecke getarnt. Der Termin fand dann eine Woche später statt. "Wir hoffen, mit diesem kindgerechten und lokalen Ansatz in der einen oder anderen Familie einen persönlicheren Zugang zu Naturschutz zu bekommen", sagt Schwahn. Erreicht werden solle schließlich nicht nur der Verstand der Menschen. Sondern auch ihr Herz.

Lochhausen: Laufen und Lernen: 17 Mädchen und Jungen der Grundschule am Schubinweg studieren Erklärtafeln über Vögel.

Laufen und Lernen: 17 Mädchen und Jungen der Grundschule am Schubinweg studieren Erklärtafeln über Vögel.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Bei den Schülern der 4a hat dieses Ziel bereits Früchte getragen. "Da, da, da", rufen die Teenager und zeigen gen Himmel. Sie freuen sich über jeden kreisenden Vogel, jedes Mauseloch und reagieren verzückt, als sie sieben Rehe über die Wiese springen sehen. Außerdem kennen sie jetzt das Verhalten "ihres" Singvogels. "Die Goldammer", erzählt Nico beim Wandern durch die Moorlandschaft, "haust am Boden in Verstecken, wenn sie brütet." Sie fliege auch nicht direkt zu ihrem Nest, sondern gehe die restlichen Meter zu Fuß, damit ihre Feinde ihr Nest nicht entdeckten. "Ganz schön schlau", findet der Zehnjährige. Theo hat sogar ein Vogelbuch dabei, er hat gelesen, dass die Goldammer zwischen vier und sechs Eier legt.

Dass sich die Wiesenbrüter im Aubinger Moos wohlfühlen, wissen die Naturschützer. Dort gibt es zur Brutzeit genügend Insekten und im Winter ausreichend Samen. Das zwölf Quadratkilometer große Niedermoor wird nur zweimal im Jahr gemäht, an verschiedenen Stellen. So verbleiben immer Bereiche, die blühen. Überhaupt ist das zum Dachauer Moos gehörende Biotop ein Raritätenkabinett der Münchner Flora und Fauna. Seltene Tiere wie die Moorameise, die Moor-Federkiemenschnecke oder die Libellenarten Helm-Azurjungfer und Sumpf-Heidelibelle finden sich in dem Gebiet ebenso wie die sonst kaum noch zu entdeckenden Pflanzen Kriechender Sellerie oder Fleischfarbenes Knabenkraut, ein Orchideengewächs. "Diese Vorkommen dokumentieren eindrucksvoll, was für einen wichtigen Beitrag das Aubinger Moos gegen das weithin grassierende Artensterben leistet", sagt Schwahn.

Lochhausen: Die Schüler wandern durchs Moor.

Die Schüler wandern durchs Moor.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

In den vergangenen Jahren gab es für Grundschüler bereits "fleischfressende" Schmetterlinge zu bestaunen - gemeint ist der Dunkle Moorbläuling, dessen Raupe bis zur Verpuppung an die 600 Ameisenlarven verspeist - oder die langschnäbeligen Bekassinen, denen während des Vogelzugs eine nasse Wiesenmulde im Aubinger Moos seit Jahren als Rastplatz auf ihrer langen Reise dient. Und eine Exkursion widmete sich eben dem bayernweit gefährdeten Springfrosch, dessen wichtigste Laichplätze im Aubinger Moos liegen. Die eisige, die verschoben werden musste.

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