Live-Musik:Wenn der Kneipenchor baden geht

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Lange Nacht der Musik: Die Chornacht im Müllerschen Volksbad. (Foto: Stephan Rumpf)

Das Müllersche Volksbad als Konzertsaal, ewige Schlange vor dem einstigen Odeon. Wer die Lange Nacht der Musik genießen will, braucht gnadenlosen Willen zum Auslassen.

Von Anna Hoben

Die Wäsche trocknet an der Sonne, die Wäsche trocknet auch am Wind, die Wäsche trocknet auch am Licht." Der Kneipenchor steht auf der Empore der kleinen Schwimmhalle im Müllerschen Volksbad und singt das Lied "Wäsche" der Oberammergauer Band Kofelgschroa. Unten stehen und sitzen die Besucher um das Becken herum, manche halten die Füße hinein und trommeln im Takt auf der Wasseroberfläche. "Wie schön ist das eigentlich?", so geht eine Zeile im Lied, und genau das fragt man sich in dem Moment auch: Ein Konzert in einem der hübschesten Jugendstil-Hallenbäder Europas - ja, wie schön ist das eigentlich?

Es ist halb zwölf in dieser Langen Nacht der Musik; mit Schwimmbrillen auf dem Kopf, in Unterhemden und mit Bierdosen in der Hand waren die Sängerinnen und Sänger kurz zuvor hereinmarschiert. Auch sie sind so entzückt von diesem Auftrittsort, dass sie in jeder Pause zwischen zwei Liedern ihre Handys zücken und Selfies machen, blau schimmerndes Becken im Hintergrund.

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Es sei erlaubt, ohne Badekleidung zu kommen, hatten die Veranstalter angekündigt, die missverständliche Formulierung dann aber noch geändert: Es sei auch erlaubt, in Straßenkleidung zu kommen. Der Chor jedenfalls ist in Badekleidung gekommen, irgendwann entledigen sich die Sänger ihrer Unterhemden. Später werden sie konsequenterweise ins Wasser gehen. Wer sagt denn, dass man nur im Trockenen singen kann?

Es ist ja immer so eine Sache mit Veranstaltungen, die die Wörter "Lange Nacht" im Titel tragen. Man ist eigentlich gewarnt; man weiß, dass es unmöglich ist, auch nur annähernd all die Orte aufzusuchen, die man gerne aufsuchen würde. 400 Konzerte in sieben Stunden; würde man bei jedem mal kurz vorbeischauen wollen, hätte man jeweils ziemlich genau eine Minute Zeit.

Die einzige Möglichkeit, halbwegs mit Würde und Gelassenheit durch so eine Nacht zu kommen, besteht also darin, dass man einen gnadenlosen Willen zum Auslassen an den Tag legt. Man weiß das natürlich, trotzdem denkt sich der Kopf immer wieder: Was, dies und das und jenes auch schon verpasst?

Dass die Menschen wild entschlossen waren, das Beste aus dem Abend herauszuholen, hatte man von Anfang an beobachten können. Manche versuchten das Raum-Zeit-Kontinuum offenbar durch penible Organisation bestmöglich auszunutzen. So wie der junge Mann, den man auf dem Odeonsplatz sah, das Programmheft in seiner Hand mit neonfarbenen Klebezetteln durchstrukturiert. Ein älterer Herr mit einem Pullover in der Farbe der pinken Eintritts-Armbändchen verriet seiner Begleiterin, dass er in der Nacht zuvor schon mal vorgeschlafen habe.

Sichtlich nervös war ein Mann in weißem Hemd und Anzughose, der vor der Siemens-Zentrale in der Schlange stand. Wer wisse schon, wie lange man dort nun stehen müsse, sagte er immer wieder zu seiner Frau. In der Nähe gebe es doch auch die Theatinerkirche oder das Innenministerium, alles zu Fuß erreichbar, ob sie nicht lieber ... ? Er solle Ruhe geben, entgegnete die Frau bestimmt, woraufhin sich die Tür öffnete und die Schlange sich in Bewegung setzte.

Drinnen gab es klassische Musik von der Orchesterakademie des Bayerischen Staatsorchesters in einer Kooperation mit dem Kunstförderprogramm von Siemens - live und vom Band, aufgenommen mit einem 3-D-Audioverfahren. Im Innenministerium nebenan hatte um 20 Uhr ein achtköpfiges Ensemble des BR-Symphonieorchesters mit Mendelssohn Bartholdy den Abend eröffnet. Die Bestimmungen waren streng, nur 190 Menschen durften in den Innenhof, dorthin, wo einst das von Leo von Klenze erbaute Konzerthaus Odeon gestanden hat, Namensgeber für den Odeonsplatz.

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Ein besonderer Ort, der 100 Jahre lang das musikalische Zentrum der Stadt gewesen war, der die Entwicklung eines ganzen Stadtteils eingeläutet hatte, und den deshalb besonders viele Menschen sehen wollten; die Schlange vor der Gebäude bildete ein großes S und bog dann um die Ecke, viele mussten beim ersten Versuch draußen bleiben. Wer wollte, konnte von hier aus ins Werksviertel fahren und so eine Reise machen von der Vergangenheit in die Zukunft: hin zum künftigen Spielort der Symphoniker.

Schließlich blieb dann doch noch Zeit für Zufallsentdeckungen, etwa den Chor Gospel 'n' Soul im Carl-Orff-Saal des Gasteigs mit einer kongenialen Version von Michael Jacksons "Man in the Mirror". Oder für die Improvisationsmusiker vom Duo Notenlos im Theater Drehleier. Wie sie auf Zuruf des Publikums "Sweet Caroline" sangen, röhrten und nuschelten, als Opernarie, im Nirvana-Stil und als Udo-Lindenberg-Song, das war ein echter Konditions-Kraftakt, vor allem aber sehr lustig.

© SZ vom 30.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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