Live in München: "Belle and Sebastian":Im Wohnzimmer des Indie-Pop

Wenn Schotten rocken: Die Band "Belle and Sebastian" entstand aus einem Sozialprojekt für Arbeitslose - das war 1996. Heute sind die Britpopper aus Glasgow eine der bekanntesten Bands der Insel. In München brachten sie nun die Muffathalle zum wippen.

Felicitas Kock

Schwarze Jeans, ein weißes, fast zu kurzes Polohemd und eine Stimme, die glockenheller nicht sein könnte: Stuart Murdoch sieht aus wie eine Mischung aus Britpopper und Langstreckenläufer - letzteres vor allem wegen dieser unglaublich hageren Figur und weil dem Schotten schon nach zwei Liedern in der ausverkauften Muffathalle der Schweiß auf der Stirn steht. Gerade schallt Write About Love aus den Lautsprechern, die Menge jubelt und nach den ersten Akkorden setzt es ein, das Wippen, das für Konzerte der Band Belle and Sebastian so typisch ist.

Belle and Sebastian

Rockte gewohnt unaufgeregt im weißen Poloshirt: Stuart Murdoch, Frontmann der Band "Belle and Sebastian".

(Foto: AFP)

Es ist ein fröhliches Auf- und Abhüpfen, bei dem die Zehenspitzen nie den Boden verlassen - so wie früher auf dem Schulball, als sich keiner wirklich getraut hat zu tanzen oder wie bei einer Wohnzimmerparty, bei der nicht genug Platz ist für ausschweifendere Bewegungsabläufe.

Überhaupt fühlt sich das, was da gerade in der Muffathalle passiert, sehr nach einem Freitagabend im Wohnzimmer von Freunden an. Im Publikum: normale Menschen, Durchschnittsalter um die 30, einige bekannte Gesichter, weder aufgebrezelte Münchner Schickeria noch schwarzgeschminkte Emokinder. Die meisten Leute sind mit dem Fahrrad gekommen. Auf der Bühne: Neben dem schwitzenden Marathonmann Murdoch eine blonde Sarah Martin im Ringelshirt, die singt und gelegentlich zur Geige greift, ein Gitarrist, der seinen Vokuhila von ABBA-Benni geklaut haben muss und the one and only Stevie Jackson.

Stevie Jackson, seit den Anfängen der Band im Jahr 1996 mit im Boot, ist eines der Highlights des Konzerts. Der große, dunkel gelockte Mann mit der bärigen Gestalt singt mit Hingabe, spielt Gitarre und sieht dabei aus wie jemand, den man zum Freund haben möchte. Als das Publikum bei Piazza, New York Catcher den Refrain mitsingen soll, verabredet er ein Zeichen, damit niemand den Einsatz verpasst. Er wird dann über seine Brille hinweg in den Saal zwinkern - ein Mienenspiel, das die Menge jedes Mal in Gelächter ausbrechen lässt.

Belle and Sebastian spielen Lieder vom neuen Album Write About Love, die beim Publikum genausogut anzukommen scheinen, wie die alten Klassiker I'm a Cuckoo, Dear Catastrope Waitress oder The Blues Are Still Blue. Nach jedem Song jubelt die Menge, Stuart Murdoch vollzieht in den Pausen minimalistisches Umstyling (er nimmt seinen Hut ab) und lobt das Publikum ("Ihr habt ziemlich viel Rhytmusgefühl für Leute, die nördlich der Alpen wohnen").

Mit einem Wippen im Herzen

Viele Menschen können nur wenig mit Belle and Sebastian anfangen. Mit dieser nerdig-schrägen Underground-Band, die von Sänger Stuart Murdoch im Rahmen eines Sozialprogramms für Arbeitslose in Glasgow gegründet wurde. Weil sie für richtig schlechte Laune zu beschwingt und für richtig gute Laune oft zu trist sind. Weil auf einem Album alle Lieder ähnlich klingen und die Entwicklung zwischen den verschiedenen Platten - von Tigermilk bis Write About Love - nicht gerade ein Quantensprung der modernen Popmusik ist.

Doch die Leute, die an diesem Abend in die Muffathalle gekommen sind, wissen, was auf sie zukommt. Niemand erwartet hier große Hymnen oder tiefgehende Balladen. Stadtdessen wippen alle fröhlich vor sich hin, mal schneller mal langsamer - je nach Tempo des Lieds und Temperament des Wippenden.

Um 22.45 Uhr, nachdem das Publikum die Band mit "Zugabe"-Rufen zurück auf die Bühne geholt hat, schlägt Stuart Murdoch auf der Gitarre die Töne von Get me away from here I'm dying an. Obwohl es noch viele, so viele Lieder gäbe, will ihm diesen Wunsch niemand verwehren, ein bisschen auch aus Angst, dass dieser schwitzende coole Mensch im weißen Poloshirt sonst vor Anstrengung von der Bühne kippen könnte.

Die Menschen in ihrem Muffat-Wohnzimmer haben anderthalb Stunden mit den Knien gewackelt und in die Hände geklatscht. Sie haben auf den Zehenspitzen gewippt und mit dem Kopf genickt. Gelegentlich war ein kleiner Hüftschwung dabei. Es ist jetzt warm im Wohnzimmer, auch in den Gesichtern des Publikums haben sich Schweißperlen gebildet und es ist bereit, sich in die Nacht zu stürzen - gut gelaunt und mit einem feinen Wippen im Herzen.

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